Eine Legende des New Yorker „New Thing“
Dave Burrell im Cafe Wüller
TEXT: Ingo Marmulla | FOTO: Ingo Marmulla
Es ist gleich sieben. 19 Uhr war für das Interview mit Dave Burrell vereinbart. Irgendwie ist das schon ein komisches Gefühl und zugleich eine Reise zurück in die Zeit, als der Freejazz mit seinen amerikanischen und europäischen Ikonen boomte. Bei mir selbst waren das die Siebziger. Der Free Jazz entstand natürlich einige Jahre früher, und eigentlich entstand er in Amerika, genauer gesagt in New York. Dave Burrell war mitten drin in dieser musikalischen Revolution, die schon Anfang der 60er eingeleitet wurde von Leuten wie Coltrane, Coleman, Cecil Taylor und Sun Ra. Heute Abend mit einem Pianisten zu sprechen, der Teil dieser Revolution war, ist spannend, zumal ich mit einigen seiner Mitmusiker später selbst spielen durfte. Ich stehe vor dem Eingang des Cafes und klingele. Das „Cafe Wüller“ ist die Wohnung des Hausherren in der Etage über dem jetzigen Cafe. In der Küche sitzt Dave Burrell mit einigen Freunden von Tom „Tornado“ Klatt, der im Rahmen seiner „Creative Outlaw“-Konzerte auch diesen Abend möglich gemacht hat. Und das ist wirklich eine unglaubliche Geschichte... Leider kennen heute nicht mehr all zu viele „Jazzfans“ den Namen Dave Burrell. Aber diejenigen, die ihn kennen, wissen, auf welchen Platten er zu hören ist. Marion Brown: „Three for Shepp“ (Impulse), Archie Shepp: „Blasé“, „Black Gipsy“, „Live at the Pan-African Festival“, „Yasmina, a Black Woman“ (BYG), „The Way Ahead“, The Cry of my People“ (Impulse), „Monteux One & Two“ (Arista). Man könnte diese Liste endlos fortführen... Und nicht zu vergessen „Tauhid“ (Impulse) mit Pharoah Sanders, eine Platte, die ich eine Zeit lang endlos gehört habe: Lower and Upper Egypt ...! Mein Gott... Nach einer freundlichen Begrüßung setze ich mich zu Dave an den großen Küchentisch. Ich beginne das Gespräch damit, dass ich ihm erzähle, wie ich ihn zusammen mit der Archie Shepp Band 1976 in Moers gesehen habe. „Ich glaube, ihr spieltet mit Grancan Monchur III, unter anderem „Miss Toni“ und natürlich auch deine Komposition ...“ . „Crucificado!“, ergänzt Dave schnell, die Erinnerung an diese Jahre erfreuen ihn sichtlich und wir kommen sehr schnell in ein entspanntes Gespräch, für das man eigentlich viel mehr Zeit haben müsste, als diese knappe halbe Stunde vor dem „Wohnzimmerkonzert“ in Recklinghausen. Und wenn ich nun an das Gespräch zurück denke, und meine kleinen Recherchen danach, hätte ich natürlich endlos weiter fragen können...
„Dave, du kommst gerade von einem Konzert in Dachau. Wie geht es mit deiner musikalischen Europareise weiter ...?
Ja, ich komme gerade von einem Konzert in Dachau, und ich hab mich gefrag, wie es hier so ausschaut. Und gerade gestern hatte ich ein wunderbares Erlebnis mit Zuhörern, die eigentlich keinen „Free Jazz“ mochten. Nun hatte ich nach einem Jahr ein Folgekonzert und plötzlich mochten sie die Musik. Da hat also eine Entwicklung stattgefunden. Morgen geht es weiter nach Graz, da spiele ich mit der virtuosen Altsaxophonistin Silke Eberhardt. Sie spielt auch Bassklarinette und hat mich eingeladen, Duette mit ihr zu spielen. Wir haben eine CD zusammen aufgenommen, sie heißt „Darlingtonia“. Wir haben sofort gut zusammen gespielt... Aber es ist schön, wieder in Deutschland zu sein. Vorher war ich in Amsterdam. Ich war eingeladen zum 40. Geburtstag des „Bimhuis“. Ich spielte da eine Woche zur späten Stunde einen Set im Cafe: „Round Midnight mit Dave Burrell“. Ich bin eigentlich jedes Jahr in Holland.
Wann warst Du das letzte Mal in Deutschland bzw. in Europa?
Ich glaube, das war bei den Berliner Jazztagen, das ist aber schon einige Jahre her. Ich spielte mit William Parker irgendwo in den Alpen ... und ich erinnere mich, da gab es keinen Schnee...
Im Übrigen habe ich eine Farm in Schweden, eine Farm ohne Tiere. Meine Frau Monika Larsson, sie ist Schriftstellerin, hat die Farm erworben. Wir sind tief in die Wälder gefahren und die kannst dich denken hören ... Das Klavier steht da, wo mal die Kühe waren. Die Natur ist einfach großartig. Dort gibt es Elche, manchmal schauen wir uns gegenseitig an, es ist eigentlich ihr Revier ... Sie lieben die Apfelbäume, und sie überqueren die Straße, um von „ihren“ Äpfeln zu essen, in einer speziellen Art und Weise, zu einer speziellen Zeit. ... das machen sie schon seit Ewigkeiten: weil die Äpfel auf Grund des Gährungsprozesses im Herbst besonders gut schmecken ... (Apfelmost).
Dave, Du warst Teil des Free Jazz zu Anfang der Bewegung in New York... Wenn Du 50 Jahre zurück denkst, wie würdest Du die damalige Szene Beschreiben? Was hat diese Bewegung angetrieben? War es Coltrane, der viele junge Musiker förderte, oder Ornette Coleman oder Cecil Taylor?
Ja es ging sehr rapide, wie es mit revolutionären Bewegungen so ist. Es gab damals die „Frauenbewegung“ und den Kampf um gleiches Wahlrecht. Und die Künste, die Kultur und New York waren bereit sich gegenseitig zu beeinflussen. Es gab hinreichend international reisende (weiße) Künstler, sie haben auch den Krieg gesehen, und sie hatten Frauen aller Hautfarbe. Und sie waren stolz auf ihre Frauen. Und du hast sie zum ersten Mal auf den Straßen gesehen, und du dachtest: Was für ein tolles Paar. Vielleicht war sie Vietnamesin, oder was auch immer... Das gab diesen Typen, die gemalt haben, ein besonderes Selbstwertgefühl. Und alle Lofts der Bowery (Stadtviertel von NY) waren voll von Malern und Schriftstellern. Und es war nichts Ungewöhnliches zu den Lesungen von William Borroughs zu gehen, der zusammen mit dem malenden Michael Goldberg auftrat. Und Michael Goldberg gab seine Räume an Rothko weiter, der sie von der YMCY kaufte. Das war ein altes Gymnasium, dort arbeitete er.
Für die meisten Jazzmusiker waren Leute wie Coltrane und Cecil Taylor unerreichbar. Alle suchten nach Arbeit. Wir jungen Musiker gingen in die Bowery und hörten uns häufig die Geschichten der Maler, Schriftsteller und Bildhauer an. In ihren Räumen spielten sie die neuesten Schallplatten tierisch laut. Alles war brand neu! Und die Musik des „Free Jazz“ oder des so genannten „New Thing“ war der Katalysator für die Veränderung ihres Malstiles. So gab es einen Raum für alle. Die Maler erzählten von der Musik, die Musiker erzählten von der Malerei. Wir wurden zu ihren Kunstaktionen eingeladen, und umgekehrt kamen sie zu unseren Konzerten und hörten zu. Wir spielten damals häufig im „Slug’s“.
(Anmerkung: Club in Lower Manhatten, hier trat z.B. jeden Montag Sun Ra mit seinem Orchester auf ...) In diesem Klima, wenn du zum Max’s Kansas City gingst, Park Avenue, und du Andy Warhol gesehen hast, aus der Entfernung, du bist zwar nicht zur Show eingeladen, aber du spürst den besonderen Geist des Ortes und seiner Entourage, und du hattest das Gefühl, die Dinge ändern sich. Vielleicht war das die Speerspitze einer neuen Bewegung.
Es gab auch Künstler, die waren so begabt und fanden Beachtung: Paul Bley rief mich an und sagte mir, er suche einen Übungsraum. ‚Ich habe gehört, du hast ein zweistöckiges Loft in der Bowery. Kann ich dahin kommen?’ Ich sagte ihm: ‚Klar!’ Wir fanden es toll, dass er kam. Ich hatte oben ein „Wurlitzer Grand“ (Flügel). Paul setzte sich ans Klavier und er liebte es auf Anhieb. Ich setzte mich daneben und schaute auf seine Hände. Er blickte mich an, als wollte ersagen: ‚Du machst Witze! Geh jetzt bitte! Du kannst hier nicht bleiben!’ Mein Gott! Ich ging nach unten und lauschte nach oben. Was ging hier vor? Jeder wollte halt irgendwie dazu lernen... Und weißt du, es war wie mit den Malern, sie benannten ihre Gemälde nach Straßen, weil sie gerade dort wohnten, oder eine Ausstellung machten: ‚Der Name des Bildes ist: 42 Madison Avenue.’ Das erzählte ich beispielsweise Marion Brown. Der sagte mir darauf hin: ‚Ich werde eine Komposition schreiben, die heißt 37 Cooper Square.’ Und das war die Straße, wo Leroy Jones und Archie Shepp lebten. Also ich dachte mir, du kannst dir einen Titel überlegen, dann einen entsprechenden Song nach deiner Fantasie komponieren. Und wieder jemand anderes kauft es, es wird aufgenommen und möglicher Weise international vertrieben. Das ist großartig. Und ich glaube, die ersten, die so etwas taten waren Bernard Stollman (ESP-Records) und Alan Douglas (versuchte Jimi Hendrix mit Miles Davis und Gil Evans zusammen zu bringen ...). Alan sagte: ‚Nach Woodstock nehme ich einfach die ungemixten Bänder der Musiker, z.B. Jimi Hendrix, und bringe es zusammen mit Malcolm X - Reden, Kennedy - Reden, und Richie Heavens und dich, er sprach über mich. Er fragte mich: ‚Willst du Lenny treffen?’ Ich sagte.: ‚Lenny Wer?’ ‚Leonard Bernstein, Westside Story! Ich lade ihn ein, dich zu treffen...!’ Aber darauf war ich noch nicht vorbereitet... Aber Alan kam zu unseren Konzerten in seinem Bentley. Er hatte ein Penthouse-Office im „Plaza“, ich hatte ihn dort schon einmal aufgesucht, dort war alles extravagant, tolle Bedienung, alles umsonst. Er fragt mich: ‚Wann bist du bereit, aufzunehmen?’ Insgeheim dachte ich: ‚Niemals!’
Aber schließlich entschied ich mich dazu, den „West Side Story Medley“ aufzunehmen („High Won High Two“ ,Black Lion). Ich wurde in diese Richtung gedrängt, und ließ es schließlich auch zu . Und als wir es dann schließlich aufnahmen, war ich häufig im Radio zu hören. Die Aufnahmen müssen etwa 1967 entstanden sein. Alan Douglas saß während der Aufnahmen immer dabei. Leonhard Bernstein habe ich zwar persönlich nicht kennen gelernt, aber die Platte wurde ein großer Erfolg.
Dave, ich selbst habe in den 70ern mit Gunter Hampel gespielt und so auch mit vielen Musikern, die du ebenfalls gut kanntest: Jeanne Lee, Perry Robinson, und auch Marion Brown. So kann ich natürlich etwas über den freien Jazz sagen, weil ich diese Musik gespielt habe, natürlich etwa 10 Jahre nach der Anfangszeit des Freejazz... Ich habe später musik-soziologische Bücher über den Ursprung des Free jazz gelesen. Da gab es z.B. die Theorie, der Freejazz wäre die klassenkämpferische Auseinandersetzung mit der weißen Kommerzialisierung des Jazz gewesen. Gewissermaßen ein Kampf zwischen schwarzen Musikern und der weißen Musikindustrie. Ich habe aber vor einiger Zeit auch ein Interview mit Peter Brötzmann geführt, in dem er mir sagte: Die Schwarzen Jazzmusiker hatten ihre Gründe für einen radikalen Bruch, wir hatten unsere Gründe: z.B. die unbeantworteten Fragen zum Faschismus an die Elterngeneration in Deutschland. Wie siehst du diese Katalysatoren, die die Entwicklung des freien Jazz vorangetrieben haben?
Weißt du, der Freejazz in den 60ern in New York hatte einen großen Einfluss auf die Jazzentwicklung in Europa. Und was mir in meiner Naivität so auffiel, so auch in Paris – einem der damaligen europäischen Zentrum des neuen Jazz, war, dass alle hören wollten, was wir spielten und zu sagen hatten. Und wir bekamen sehr viel mehr Geld für unsere Musik, als wir es jemals in NY hätten verdienen können... weil die Zuhörer unseren kulturellen Hintergrund verstanden, und sie wussten, dass unser Jazz der nächste Schritt nach vorn war, sie hatten das Einfühlungsvermögen für unsere avantgardistische Spielweise. ...So sieht meine Hypothese aus. Ich glaube aber, jeder Musiker hatte seine eigenen Vorstellungen, Vorlieben und Abneigungen, und jeder machte seine eigenen Erfahrungen.
In meiner musikalischen Umgebung - seit wir nach Afrika gegangen sind, wir spielten auf dem Panafrikanischen Festival (Algier 1969) - hatten wir belgische Betreuer eines speziellen Musikmagazins, die interessierten sich besonders für Don Cherry. Diese Leute waren sehr „selektiv“... und machten Black & White Cover, und es wurde eines der wichtigsten unabhängigen Magazine. Es hieß „Actuel“. Und als das Magazin mit dem Schallplattenlabel (BYG) zusammenging, sie hatten dasselbe logo, wurden wir Berater für weitere Produktionen. Sie waren von unserer Musik einfach hingerissen. So fragten sie mich beispielsweise: ‚Wen kannst du noch rüber holen, den wir aufnehmen könnten?’ Ich sagte: ‚Meinst du vielleicht Sunny Sharrock?’ ‚Ja, können wir den bekommen?’ ‚Ja, ich sag ihm Bescheid, wenn ich wieder drüben bin, und auch Pharoah Sanders...’ Das war toll... Nach einiger Zeit gab es ein Festival in Belgien (1969 Amougies, Hennegau), das ursprünglich in Paris stattfinden sollte, von den Behörden aber unterbunden wurde. Aber das war sehr widersprüchlich, den es hatte neben den Free Musikern viele Popstars wie Frank Zappa, Captain Beefheart, Pink Floyd ...und es ging drüber und drunter, teilweise jammten wir auch zusammen. Die Zuschauer zogen sich aus und drehten durch ... Das war schon verwegen, aber es machte auch Spaß ...
Du hast sehr häufig mit Archie Shepp gespielt, einer der großen Motoren des Neuen Jazz, er spielt gerade in Berlin auf dem Festival, zur Zeit singt er sehr viel (Blues)...
Ja, das macht er, er kennt seine Vergangenheit. Er hatte beeindruckende Perioden, selbst als er unten war, er kam immer zurecht. Ich habe nie jemanden gekannt, der so viel Energie hat. Selbst mit seinen Zahnproblemen, er machte weiter Musik. Aber mit Archie, das war schon interessant. Er machte häufig Scherze. Im „Keystone Korner“ in San Francisco sagte er zu mir, geh mal hoch, dein Vater wartet auf dich ...
Aber er war ein ebenso guter Pianist wie ich und zeigte mir immer genau, wie ich zu spielen hatte ... Das hat mich anfangs ziemlich aufgeregt, er wollte mich ständig belehren ... das machte er übrigens mit allen so, z.B. auch mit Roswell Rudd, und der kam von der Yale Universität. Hinterher habe ich mich darüber hinweg gesetzt. Aber ich habe auch einiges dabei gelernt. Als Charles Greenlee in die Band kam, kritisierte der uns gleich alle, wir hätten doch alle keine Ahnung! ‚Diese Bridge ist total falsch gespielt! Spiel das so nicht im Vanguard. Ihr blamiert mich ja total...’ Ich fragte ihn: ‚Was machen wir den falsch...?’ Ich glaube, es war Coltrans „Straight Street“ ... Das Stück ist rhythmisch vertrackt... John Hicks hat es gleich drei Mal aufgenommen, wollte es immer besser spielen ... Das Klavier spielt vor dem Themenvortrag durch die Bläser einen rhythmischen Akzent, danach geht es sehr farbig weiter, unterbrochen durch Bopakzente des Klaviers, ein Hardbob Klassiker, wie man weiß, und wenn es sauber und präzise gespielt wird, ist es ok, sonst geht es total daneben. Das war schon eine Herauforderung für uns alle. Eine andere Geschichte: Wir spielten für die Kommunistische Partei Italiens in Reggio Emiglia. Und überall sah man Plakate: Willkommen Kameraden! Es war so kommunistisch, dass es bald ungemütlich wurde. Wir sollten als Band natürlich in einem Raum schlafen, macht das so ... und so... und diese roten Brigaden verstanden irgendwie keinen Spaß. Nichts desto Trotz, sie hatten das Konzert bestellt und sollten es bekommen. Cal Massey (trp) hatte ein Stück komponiert, das hieß „Massage from Trane“, das hatte 4 Akkordwechsel in jedem Takt! Eine ganze Seite. Und Calvin schreibt mit scharfer None, flatted 5 ... ein wunderbarer Komponist und Arrangeur. Nun also dieses Stück für Shepp... und so schnell konnte ich das Stück nicht begreifen. Ich frage Shepp: ‚Was ist das für ein Stück?’ Er brüllt mich an: ‚Steht doch da! Massage from Trane!’ Ich sage: ‚Aha, das ist also die Massage!’ Die Kommunisten waren begeistert von einer solchen Massage vom Trane... ‚Eine Botschaft!’ Ich frage: ‚Wie ist denn das Tempo, Cal?’ Er sagt: ‚300!!!’ ... Zu diesem Zeitpunkt fiel ich ins Koma ... Aber irgendwie hab ich es dann doch noch gespielt ... Und Calvin sah mich danach an ... und sagt: ‚Hm, ja, ja ?!’ So gab es sehr viele sonderbare Geschichten vor, während oder nach unseren Konzerten.
Während der Folgejahre vermischten sich Musiker unterschiedlicher Herkunft, und wir traten auch mit europäischen Musikern zusammen auf. Die waren teilweise ganz anders geschult und gingen ganz anders vor. Einige europäische Jazzer meinten, sie hätten den neuen Jazz erfunden ... Das behaupteten unter anderem auch die südafrikanischen Musiker (Chris McGregor). Letztlich befreiten wir uns alle von nationalen und überkommenen Beschränkungen. Das war eigentlich das Wichtigste!
Du schreibst selbst sehr viel, auch in klassischen Formen. Du hast eine Oper geschrieben. Viele dieser Kompositionen könnte man auch der Neuen Musik zuordnen.
Nach meinem Konzert in Graz fliege ich zurück nach Philadelphia. Dort bin ich „Musican-in-Residence“ in der Bibliothek-Rosenbach (http://rosenbach.org/). Ich arbeite dort die historische Sammlung von Schriften nach musikalischen Manuskripten durch. Ich initiiere auch Konzerte, die mit den Wechselausstellungen des Museums koordiniert sind. Manchmal spiele ich auch selbst. Es befinden sich dort sehr viele alte Originalschriften unter Glas. Bis April 2015, wenn das große Jubiläum „150 Jahre Ende des Amerikanischen Bürgerkrieges“ gefeiert wird, arbeite ich an einem neuen Werk für improvisierenden Operngesang: „Civilians during Wartime“
Wenige Minuten bleiben bis zum Beginn des Konzertes. Ich bedanke mich für das Interview und gehe mit den anderen Gästen in einen Raum mit Stühlen, an den sich ein Arbeits- und Lesezimmer mit zwei Flügeln anschließt. Man könnte diese Atmosphäre als sehr intim bezeichnen. Dave betritt den Raum und bedankt sich für unser Erscheinen.
Er beginnt mit einem Stück aus seiner Suite über die „Leiden der Zivilbevölkerung während des Amerikanischen Bürgerkrieges“: Requiem for the Fallen at Fort Pillow.
Sein Spiel ist intensiv aber überlegt. Es geht ihm nicht um Virtuosität auf den Tasten. Er lässt sich Zeit und gibt seiner Musik Raum. Das Publikum dankt es ihm mit ehrlichem Applaus. Es folgt Margy Pargy, eine Reminiszenz an das Stridepiano des Swing. Nach den Eigenkompositionen wechselt er das Repertoire und spielt einen einstündigen Medley von Balladen. Er beginnt mit dem September Song von Kurt Weill und unterbricht sein Konzert, um uns mitzuteilen, dass er dieses Stück besonders liebt und hofft, dass er hoffentlich dieser fantastischen Musik noch etwas Schönes hinzufügen kann... So geht es weiter mit My Funny Valentine, Body and Soul, Round about Midnight. Nach den klangvollen Einstiegsphasen in die Standards verlässt er häufig die tonale Basis und wird freier. Die linke Hand spielt quirlige Bassfiguren, die rechte Hand pointiert mit gezielten Sekundklängen die Klangflächen, ganz so, wie Punkte auf einem Gemälde.
Nach zwei Stunden intensiven Spiels und konzentriertem Zuhören unsererseits will Dave Burell eine Pause machen und danach weiter spielen... Keiner der Anwesenden hatte gemerkt, wie schnell die Zeit verflogen war. Es wird schnell klar, dass Konzert nun zu Ende ist, denn am nächsten Morgen geht es um 4 Uhr zum Flughafen nach Köln, von da weiter nach Graz ...
Für mich wird dieser besondere Klavierabend für unvergessen bleiben. Dank an Dave Burrell.
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