Ein zivilgesellschaftliches Projekt für Griechenland
Günter "Baby" Sommer appelliert ans Mitgefühl
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Per Zufall hatte Günter „Baby“ Sommer vor einem Auftritt im griechischen Komeno erfahren, dass dieser abgelegene kleine Ort während des zweiten Weltkrieges von Soldaten der deutschen Wehrmacht brutal überfallen wurde. Fast die ganze Zivilbevölkerung wurde dabei regelrecht abgeschlachtet. Von diesen Verbrechen im Jahre 1943 kündet noch heute ein Obelisk auf dem Dorfplatz von Komeno.
Die Scham über dieses von eigenen Landsleuten verübte Verbrechen machte den Schlagzeuger aus Dresden auf Anhieb sprachlos. Sofort abreisen, war der erste Impuls. Aber dann ist Günter „Baby“ Sommer doch in dem Ort geblieben, hat vielen Zeitzeugen und Hinterbliebenen eine Woche lang zugehört. Getroffen von den Geschehnissen versprach er den Menschen von Komeno, die vielen Schicksale und Empfindungen in die Welt hinaus zu tragen. Die „Songs for Komeno“, welche mittlerweile auch als CD auf dem Intakt-Label vorliegen, waren das Resultat. Eine Aufführung des bewegenden Projekts war das Finale des diesjährigen Klang-Art-Festivals in Wuppertal. Vorm Konzertauftritt zusammen mit der Sängerin Savina Yannatou und weiteren griechischen Musikern fand Günter „Baby“ Sommer Zeit für ein Gespräch mit nrwjazz.
Beschreiben Sie die Ausgangssituation für dieses außergewöhnliche Projekt!
Ich wurde im Jahr 2009 auf Initiative des Bürgermeisters von Komeno zu einem Festival eingeladen. Komeno kennt niemand, es liegt weit ab von allen touristischen Plätzen. Dieses Dorf hat 65 Jahre lang wie unter einer Glocke gelebt – und es war doch noch völlig dominiert von den Erinnerungen an dieses Massaker.
2009 sollte dort ein kleines Musikfestival etabliert werden. Der musikalische Leiter ist ein Kollege von mir. Um diesem Festival einen internationalen Anstrich zu geben, hatte er mich eingeladen. Aber ihm war nicht wirklich bewusst, dass er einen Deutschen in ein von Deutscher Wehrmacht massakriertes Dorf eingeladen hatte. Ihm war nicht bewusst, in was für eine Situation er mich gebracht hatte. Denn ich war einer der ganz wenigen Deutschen, die nach den schrecklichen Geschehnissen überhaupt wieder in diesem Dorf aufgetaucht sind. Normalerweise kommt man dort nicht hin, das Dorf liegt unspektakulär an einer Flussmündung in der Ebene. Es gibt 1000 andere schöne Plätze und Orte in Griechenland.
Was passierte dann?
Am Vorabend fragte mich der Bürgermeister, ob ich die Geschichte seines Dorfes kennen würde. Ich verneinte und dann erzählte er mir diese Geschichte. Bei mir stand fest, ich muss hier sofort wieder abreisen. Aber dann habe ich es mir über Nacht überlegt im Hotel im Nachbarort. Und ich habe mich entschieden – ich setze mich dieser Situation aus und habe mich dann dem Ort, den Umständen und der geschichtlichen Dimension dies Ortes gewidmet.
Sie haben ja trotzdem einen Auftritt in Komeno gespielt. Welche Veränderungen erfuhr dieser Auftritt durch dieses neuen schlimmen Erkenntnisse?
Ich habe Stücke für die getöteten Kinder entwickelt. Ich habe bestimmte geplante Dinge weggelassen, die ich glaubte, jetzt nicht spielen zu können: Ich bin ja sonst bei meinen Konzerten auch kein Kind von Traurigkeit. Da geht es ja oft sehr freudvoll und spaßig zu. Jetzt war der Gestus ganz anders. Ich habe mir eine Rede überlegt und habe das ganze Konzert umstrukturiert.
Was haben Sie den Menschen gesagt? Hat Sie das Erfahrene sprachlos gemacht?
Es hat mich völlig sprachlos gemacht. Deswegen wollte ich ja sofort abreisen. Ich kann hier nicht einfach bleiben und als Deutscher jetzt einfach ein Konzert spielen, als wäre hier nichts passiert. Auf jeden Fall war es gut, dass ich geblieben bin. Ich habe mich eine Woche lang als sozusagen als Klagemauer durchs Dorf führen lassen und mir angehört, was die Bewohner mir erzählten. Der Bürgermeister ist mit mir gegangen und hat alles übersetzt. Nach einer Woche hatte ich so eine Last auf den Schultern gehabt, weil ich auch nicht den Versuch gemacht habe, irgend etwas zu relativieren oder zu erklären .
Sie haben einfach nur zugehört?
Ja, ich habe nur zugehört. Das war das Beste. Ich habe überhaupt nicht den Versuch gemacht, irgend etwas zu erklären. Etwa, dass ja Krieg war und dass es Partisanen gab. Nein, nichts - ich habe nur einfach zugehört!
Was folgte dann daraus?
Am Ende dieser Woche habe ich mit den Dorfbewohnern gesprochen, dass ich mich als Botschafter ihrer Geschichte empfinde und den Namen ihres Dorfes in die Welt hinaus tragen werde. Nach einer Woche bin ich dann abgereist und ein halbes Jahr später habe ich dieses Versprechen umgesetzt.
Kannten Sie Savina Yannatou schon vorher?
Ich kannte sie schon vorher. Ich habe schon viele Improvisationsepisoden mit ihr gehabt und sie auch schon mal nach Dresden eingeladen. Sagen wir mal so: In großen Abständen wussten wir voneinander. Als ich dann überlegte, mit welchen Musikern ich das Komeno-Projekt realisiere, kam mir natürlich Savina in den Sinn.
Wie sieht Savinas künstlerischer Anteil an dem Projekt aus?
Der Großteil ist von mir komponiert. Sehr stark hat sich durch Savina aber eine Färbung entwickelt, eine ganz starke Verbundenheit zu griechischen traditionellen Wurzeln. Auf jeden Fall haben sämtliche Musiker dieser Band einen engen Bezug zur traditionellen griechischen Musik, aber es besteht auch eine ganz starke Offenheit zur freien improvisierten Musik. Savina nutzt ihre Stimme wie ein Instrument. In unserem Ensemble ist sie eine improvisatorische Stimme mit starkem griechischen Kolorit.
Wie vieles in der Musik ist durchkomponiert?
Vieles ist stark durchkomponiert. Andere Stücke haben einen Rahmen, eine Art Geländer, an dem man sich festhalten kann. Von Stufe zu Stufe wird es immer weiter mit Improvisation ausgefüllt.
Es gibt permanent eine Struktur, die auch eine Form beinhaltet. Eine freie Improvisation ist erst dann eine gute Improvisation, wenn sie auch ein Formgefühl beinhaltet. Dieses Formgefühl macht der kompositorische Rahmen aus. Er ist manchmal nur eine Phrase, in welche die improvisatorischen Ausfüllungen hinein kommen. Da finden dann die griechischen Musiker mit ihrem Fundus der eigenen Erfahrung, der eigenen Tradition und der eigenen Erziehung hinein. Das gibt der Musik dieses starke griechische Kolorit.
Es geht bei diesem Projekt ja vor allem um Mitgefühl. Vor allem Mitgefühl mit den Menschen in Griechenland. Wie siehst Du das Projekt in der aktuellen Situationen, in der sich Griechenland und seine Menschen befinden? Und vor allem in Relation zum Bild, was die meisten Medien über Griechenland verbreiten?
Das Komeno-Projekt ist ein zivilgesellschaftliches Projekt. Es besteht eine ganz starke Notwendigkeit, den Ressentiments gegenüber Griechenland und den populistischen Vorbehalten etwas entgegen zu setzen. Aktuell wird wieder ein ganz großer Schaden angerichtet durch alles, was sowohl an deutschen wie auch an griechischen Stammtischen verbreitet wird. Dem muss man etwas entgegen setzen. Zudem füllt die künstlerische Aufarbeitung dieser beschämenden historischen Wirklichkeit noch unglaubliche Lücken im geschichtlichen Wissen – natürlich auch im Hinblick auf die unmittelbaren Bezüge im Verhältnis zwischen Deutschland und Griechenland. Im Moment scheinen die Wissenslücken noch eklatant groß – und nur deswegen sind diese ganzen populistischen Vorbehalte möglich. Die Deutschen sollten sich mal etwas zurückhalten und immer mit dem Finger der Anklage auf Griechenland zu schauen. Meine Erlebnisse in Komeno haben bewusst gemacht, dass es da noch einige andere Dinge zu reparieren gibt!
Der Massenmord von Komeno laut wikipedia
In Komeno wurden am 16. August 1943 von der Wehrmacht 317 Einwohner ermordet. Es handelte sich um 172 Frauen und 145 Männer. 97 der Ermordeten waren jünger als 15 Jahre, 14 älter als 65 Jahre und 13 Personen waren gerade ein Jahr alt. Anlassgebend war, dass am 14. August 1943 einige Widerstandskämpfer im Dorf Nahrungsmittel eingesammelt hatten.