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Drei Bandleader, die zusammen spielen

Ein Interview mit der Band Shalosh

Hürth, 15.04.2022
TEXT: Dr. Michael Vogt | FOTO: ACT music

Am 20. März startete das Trio Shalosh in Hürth die Release-Tour zu seinem jüngsten Album „Broken Balance“. Nach diesem Auftakt im Rhein-Erft-Kreis spielte das israelische Ensemble am 2. April im nordrhein-westfälischen Minden. Am 24. September sind Gadi Stern (Klavier), David Michaeli (Bass) und Matan Assayag (Schlagzeug) in Viersen, sodass sie zum dritten Mal in diesem Jahr in Nordrhein-Westfalen auftreten.

Nach ihrem Konzert im Jazzkeller Hürth hatten die Mitglieder von Shalosh noch Zeit, bei einem Kölsch über ihre neuste CD, die Folgen der Pandemie, das Vaterwerden und die Einflüsse zu sprechen, die in ihrer Musik deutlich werden. Der heutige Abend im Jazzkeller markiert den Beginn Ihrer Release-Tournee, die Sie durch Mittel-, Nord- und Südeuropa führen wird.

Wieso steht ausgerechnet Hürth am Anfang dieser Konzertreise?

Gadi Stern: Das hat mit unserer Geschichte zu tun. Als wir mit dem Musikmachen begannen, waren wir eine Art Indieband, die ständig auf Tour war, in einem Kleinbus herumfuhr, gemeinsam in einem Raum übernachtete und so ziemlich alles machte, um unsere Karriere ans Laufen zu bekommen. In dieser Zeit spielten wir auch in Hürth.

Das war vor fünf Jahren.

Gadi Stern:
Genau. Jetzt haben wir uns weiterentwickelt, spielen in größeren Sälen und auch zu besseren Konditionen. Aber natürlich gibt es noch die persönlichen Verbindungen, die gerade mit Hürth über die Jahre gehalten haben. Günter, der Vorsitzende des Hürther Jazzclubs, hat sich die ganze Zeit über dafür eingesetzt, dass wir wiederkommen. Und es ist uns darüber hinaus auch wichtig, in kleineren Clubs zu spielen, wo vielleicht kein großer Steinway-Flügel steht, es dafür aber wirklich um die Musik geht. Das bringt einen zurück auf den Boden und die Musik ins Rampenlicht.

Neben den nordrhein-westfälischen Städten Minden am 2. April und Viersen am 24. September besuchen Sie bis Oktober eine Menge Konzertsäle in Deutschland, Europa und Israel.

Matan Assayag:
Es geht über Allensbach, München, Berlin, Luxemburg, Freiburg, Malmö, Stuttgart, Augsburg, Minden nach Jerusalem und Haifa. Nach einer Pause geht es dann im Juni weiter nach Girona und Barcelona, von dort aus nach Prag, Ceska Lipa, Görlitz, Schloss Elmau, Innsbruck und Bremen. Im September spielen wir drei weitere Termine in Deutschland, Worms, Viersen und Bochum, bevor wir am 5. Oktober in Amsterdam das letzte Konzert der Tournee geben.

Heute sind Sie in Frankfurt gelandet, mit dem Zug nach Köln gefahren und haben eben hier in Hürth gespielt. Morgen früh geht es wieder zum Bahnhof. Klingt nach wenig Schlaf.

Gadi Stern:
Wir müssen um 7 Uhr aus den Federn, aber das ist für mich recht komfortabel. Als Vater zweier Kleinkinder schaffe ich es normalerweise nicht, bis 7 Uhr zu schlafen. Das jüngste Kind ist gerade drei Monate alt, das ältere zwei Jahre. Sie ist gerade in der Nein-Phase…… ändert das etwas für Sie als Musiker?
Es fühlt sich anders an: bittersüß. Für mich ist das Leben als reisender Musiker von zentraler Bedeutung. Meine Kinder zu Hause zurückzulassen, ist nicht leicht. Ich fühle mich schuldig und vermisse sie. Andererseits darf man sich als Elternteil nicht selbst aufgeben. Sind Sie alle drei Väter?

Matan Assayag: Nur Gadi und ich. Und Gadi hat recht: Natürlich beeinflusst das unser Leben und auch unsere Musik. Immerhin ist alles irgendwie mit allem verbunden.Das Album, das Sie auf Ihrer Tour vorstellen, kam 2020 heraus. Die Release-Tour findet aber erst jetzt statt.

Eine Folge der Pandemie?


Matan Assayag:
Ja, wir konnten kaum verreisen. Im letzten Sommer waren wir vielleicht ein, zwei Wochen am Stück unterwegs. Aber unsere Release-Tour ist das erste größere Ding nach der Unterbrechung.Und wie fühlt sich das an?
David Michaeli:
Großartig, es fühlt sich einfach großartig an!

Matan Assayag: Wie alle dachten wir, dass die Pandemie nach ein paar Monaten vorbei sein würde, aber dann dauerte es doch sehr viel länger. Das hat einen großen Einfluss auf unsere Arbeit gehabt. Konzertreisen sind ein wichtiger Teil unserer Identität. Vor Corona waren wir jeden Monat auf Tour, manchmal eine, manchmal zwei Wochen lang. Wir entwickeln unser Material, unsere Stücke eigentlich auf der Bühne. Jetzt waren wir gezwungen, zu Hause zu bleiben. Wir konnten uns nur zum Proben treffen. Einerseits war das auf eine eigene Art und Weise kreativ, andererseits war das sehr herausfordernd.


Gadi Stern:
Wir haben uns auch in der Pandemie regelmäßig zweimal pro Woche zum Proben getroffen. Das gehört einfach zu unserer Band-Identität. Nach acht Jahren unzähliger Konzerte und Tourneen können wir uns glücklich schätzen, dass wir immer noch gerne miteinander musizieren. Es klingt vielleicht ein wenig kitschig, aber ich bin immer noch ganz aufgeregt, wenn ich mit den beiden zusammen spiele. Es ist spannend zu sehen, wie wir uns gemeinsam entwickeln und uns gegenseitig aus unserer Komfortzone herausholen. Ich glaube, das ist etwas, was man als Bandleader nicht in dieser Form erleben kann.

Sie tragen alle drei gleichermaßen zur Musik Ihrer Band bei.

Gadi Stern:
Wir sind drei Bandleader, die zusammen spielen. Auch wenn vielleicht der eine mehr Musik schreibt, gehören ihm die Stücke nicht mehr, sobald wir anfangen zu proben. Dann ist alles möglich. Ich habe schon Nummern in die Band gebracht, von denen am Ende nur noch der erste Akkord übrig geblieben ist. Ich glaube, dass unsere Diskussionen von außen betrachtet um einiges härter sind als in anderen Bands. Da kann es schon einmal heißen: „Ich mag den A-Teil des Stückes, den B-Teil kann ich nicht leiden.“ Dann fliegt der B-Teil eben raus. Ich glaube, andere Musiker wären leicht eingeschnappt, aber das gibt es bei uns nicht. Wir kennen uns so lange, dass wir genau wissen, worum es geht, nämlich um die Musik, nicht um persönliche Dinge oder unser Ego.

Das funktioniert allerdings nur, wenn man sich wirklich gut kennt.

Gadi Stern:
Natürlich! Wir sind miteinander befreundet und trinken nach den Proben auch schon einmal das eine oder andere Bier zusammen.

So wie jetzt gerade! Im Konzert haben Sie nicht das gesamte Album „Broken Balance“ vorgestellt, sondern auch ältere Stücke gespielt. Außerdem haben Sie einen Einblick in zukünftige Projekte gegeben…

Gadi Stern: Wir haben nur drei Nummern aus dem Album gespielt, was ein wenig seltsam ist, weil die Tournee ja unter dem Titel „Broken Balance“ steht. Nach zwei Jahren haben wir uns aber weiterentwickelt. Wir mögen die CD, in der wir unsere Grenzen ausgetestet haben, sehr. Inzwischen sind wir aber in kreativer Hinsicht an einem anderen Punkt angelangt. Deswegen spielen wir auch Stücke, die wir für unsere nächste CD aufnehmen werden. Musik ist Leben und Leben bedeutet Dynamik. Jeden Morgen stehen wir verändert auf. Deswegen kann es auch verhängnisvoll sein, sich zu etablieren, Interviews zu geben und Kritiken über die eigene Musik zu lesen. Am Ende beginnt man nämlich, diese Narrative selbst zu glauben. Man formuliert Erwartungen, wie man klingen sollte. Man wird unflexibel, unbeweglich und verknöchert. Deswegen möchte ich auf dieser Tour auch neue Musik spielen. Ich möchte nicht der Gadi von vor zwei Jahren sein, ich möchte der Gadi von heute sein.

Eben haben Sie im Konzert davon gesprochen, dass Sie an einer Oper arbeiten…

Gadi Stern: Ich bin nicht sicher, ob wir schon bereit sind, viel darüber zu sagen, aber wir arbeiten an etwas, das anders sein wird als alles, was wir vorher gemacht haben. Eine Art Geschichte wird die Klammer für das ganze Album bilden. Wir haben auch zuvor Kompositionen gehabt, die auf einer Geschichte aufbauen. Jetzt wollen wir das Prinzip aber auf eine ganze CD ausdehnen. Einige der Stücke, die Teil dieser Aufnahme werden, haben wir heute Abend zum ersten Mal live gespielt.Beim Begriff Oper stellt sich die Frage, ob Gesang eine Rolle spielen wird.

David Michaeli:
Wir arbeiten derzeit mit einem Geschichtenerzähler zusammen. Aber es ist noch nicht klar, ob er Teil des Albums werden wird.

Ihre Stücke sind durch harte Brüche und ständige Überraschungen geprägt.


Gadi Stern:
Ein wichtiger Einfluss unserer Musik sind unsere Persönlichkeiten. Wir denken gerne jede Idee bis ins Extrem. In Bezug auf das Klavier ist es mir wichtig, auf dieser Schwelle zwischen Kontrolle und Kontrollverlust unterwegs zu sein, die ich als einen mentalen Zustand verstehe. Das macht mir große Freude. Ich glaube nicht, dass wir darüber nachdenken, das Publikum zu überraschen. Wir machen einfach das, was uns Spaß macht und uns elektrisiert. Deswegen haben wir diese Brüche und Änderungen n unseren Kompositionen. Aber je älter wir werden, desto mehr denken wir auch darüber nach, was für die Musik selbst gut ist. Außerdem entwickeln wir uns mit jeder CD weiter. Unser erstes Album „The Bell Garden“ war sehr rund und hatte ein starkes Gravitationszentrum. „Rules of Oppression“ war demgegenüber recht wild. Das dritte Album „Onwards and Upwards“ war ziemlich positiv gestimmt und zentriert, während wir mit „Broken Balance“ – wie der Titel andeutet – emotionale Extreme ausgelotet haben. Dazu kommen sehr viele Einflüsse aus dem Progressive-Rock, Verzerrungen, Muster, die sich überlagern, Growling…

Matan Assayag: … oder Swing. Israel ist ein Land, in dem sich so viele Kulturen, so viele Gerüche, Geschmäcker und Noten treffen. Es ist kulturell so reich, dass man schlicht alles für möglich hält. Apropos: Heute Abend haben Sie auch „Jerusalem State Of Mind“ gespielt, ein poetisches Portrait der Heiligen Stadt mit ihren Geräuschen, ihrem quirligen und lauten Zusammenleben der Religionen, Bekenntnisse und Lebensentwürfe. Das wirkte wie ein Abbild dieser Vielfalt.

Gadi Stern: Das Stück stammt aus unserem ersten Album. Bevor wir es einspielten, gingen wir mit einem Aufnahmegerät auf den Mahane Yehuda Markt in Jerusalem, um dort die ganz alltäglichen Geräusche einzufangen. Das war der Ursprung unseres Songs.

Matan Assayag:
Die Wurzeln unserer Bevölkerung reichen in unterschiedliche Länder, aber niemand verschanzt sich hinter seiner Herkunft und sagt Dinge wie: „Ich komme aus Marokko und deshalb muss ich diese oder jene Musik spielen.“ Man kann spielen oder kochen, was immer man will. Marokkanische, amerikanische, arabische Aromen, alles wird vermischt und zu etwas Eigenem. Wenn ich die Straße entlang laufe, sehe ich vielleicht einen Typen, der Metal hört, einen anderen aus Marokko und einen Amerikaner – alles in weniger als einer Minute. Genau das macht den israelischen Sound aus, wir haben eine große kreative Freiheit, weil es so viel Musik aus den unterschiedlichsten Gegenden in diesem Land gibt.

Gadi Stern:
Aber dann nehmen wir unsere CDs beim deutschen Label ACT auf und sind Teil der europäischen Jazz-Szene. Für mich persönlich ist es wichtig, mich nicht zu sehr von anderen Musikern beeinflussen zu lassen. Es gibt so einen gewissen Sound, der für mich gefährlich ist.

Welcher wäre das?

Gadi: Ich rede nicht über Folklore oder klassische Musik, aber Jazz-Musiker sind etwas anderes. Ich liebe beispielsweise den israelischen Pianisten Shai Maestro. Er ist großartig, mich fasziniert seine Musik, aber ich vermeide es, sie anzuhören, weil ich dann zu sehr beeinflusst werde. Der armenische Pianist Tigran Hamasyan, mit dem ich befreundet bin, ist auch so ein Fall. Ich habe eine Zeit lang seine Musik intensiv gehört, musste aber damit aufhören. Das gilt jedoch für mich, ich weiß nicht, wie es bei meinen Kollegen aussieht.

David Michaeli:
Ich öffne mich gerne allen erdenklichen Einflüssen und höre mir alle möglichen Musiker an, die mich inspirieren, nicht nur Bassisten, sondern auch sehr viel lateinamerikanische Musik, Musik aus Afrika sowie aktuelle Sounds. Es geht einmal in diese Richtung, mal in die andere. Südamerikanische Rhythmen spielen definitiv eine Rolle in Ihrer Musik.

Gadi Stern: Das stimmt. Ich habe eine Weile auf Kuba gelebt und meine Frau singt sehr viel kubanische Musik.

Matan Assayag: Ich selbst lasse mich von allen möglichen Stilen inspirieren. Ich höre mir gerne zeitgenössische Kollegen an und versuche, das nachzuspielen, was mich fasziniert, einfach um mich selbst herauszufordern.
Gadi Stern:
Klar ist, dass man immer irgendwie beeinflusst wird. Man kann das letztlich nicht vermeiden, selbst wenn man sich von bestimmten Musikern fernhält. Und dann gibt es natürlich Musiker, für die man Ausnahmen macht.

Zum Beispiel?

Auf dem Flug haben wir das neue Album von Brad Mehldau gehört. Also, das ist einfach unglaublich, ich kann nur sagen: Wow!Gadi, Matan, David, vielen Dank für das Gespräch!



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