domicil: Interview mit Uwe Plath
"...nicht einfach so weitermachen wie früher"
TEXT: Uwe Plath, Heinz Schlinkert | FOTO: Kurt Rade
Das domicil in Dortmund kennt jeder Jazzfan in NRW. Uwe Plath ist erster Vorsitzender im Vorstand des domicil-Dortmund e.V. Er ist selbst seit 35 Jahren professioneller Saxofonist, Dozent und Big Band Leader und leitet die Glen Buschmann Jazz-Akademie in Dortmund.
nrwjazz: Hallo Uwe, wie ist im Moment die Situation im Domicil?
Die Situation ist im Moment deutlich besser als vor einem Jahr, als die Existenzsorgen sehr groß waren. Mittlerweile gibt es so viel Unterstützung und Förderung, dass wir erst mal über das Jahr kommen. Allerdings sind wir darauf angewiesen, dass auch irgendwann wieder Konzerte stattfinden, denn auf Dauer werden Förderungs- und Überbrückungshilfen zurückgehen. Und es geht ja vor allem auch darum, dass die Künstler wieder / weiter live auftreten können und insbesondere geht es auch um die Arbeitsplätze im domicil.
nrwjazz: Das ist ja mal eine gute Nachricht. Welche Erfahrungen habt ihr bisher mit Konzert Streams gemacht?
Da wir vom Kulturbüro der Stadt Dortmund unterstützt werden, wollten wir als gemeinnützige gGmbh und als Verein natürlich irgendwann auch wieder zeigen, dass wir da sind, dass wir nicht tatenlos da zusehen und dass wir die gesamte Szene, insondere die Künstler, in ihrer Existenz unterstützen. So haben wir dann geschaut, was wir machen können. Wir haben die ganze Institution erst einmal digital umgerüstet und uns – die Belegschafft, die Geschäftsführung und der Vorstand - selber weitergebildet, um dann möglichst schnell wieder Konzerte durchführen zu können.
Bei den Livestreams haben wir viel gelernt, z. B. was Regieanweisungen und Tonaufnahmen, Durchführung professioneller digitaler Veranstaltungen insgesamt angeht. Das sind wichtige Erfahrungswerte und ich glaube, dass viele für ihre berufliche Zukunft viel mitgenommen haben. Das kann man nicht immer nur negativ sehen, sondern das ist auch ein durchaus positiver Ansatz für die weitere Zukunft.
nrwjazz: Werden Konzert Streams auch nach der Pandemie noch eine Rolle spielen?
Ja, ich hab ja gerade schon über den digitalen Ausbau geredet. Wenn es etwas Gutes an Corona gibt, dann dass sich der digitale Ausbau beschleunigt hat, das ist jetzt in allen Bereichen. Am Anfang ist das bei uns wie überall etwas amateurhaft gewesen und dann immer professioneller geworden. Ich denke, dass die Clips im zweiten Jahr an Qualität gewonnen haben.
Die Zukunft nach Corona wird nicht mehr dieselbe sein wie die Situation vor Corona. Natürlich werden Livestreams im Programm bleiben, Live Konzerte können sie natürlich nicht ersetzen. Wie haben durch das, was jetzt aufgebaut wurde, die Möglichkeit das domicil auch zu vernetzen, das heißt jemand in Indien oder Holland oder New York kann sich jetzt auch Konzerte direkt live im domicil ansehen. Das wird wahrscheinlich mit einem finanziellen Ticket verbunden sein – aber wie genau Livekonzerte und Livestreams nebeneinander existieren werden, wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht genau – wir sind hier gerade dabei ein für die Zukunft funktionierendes System zu erarbeiten.
nrwjazz: Viele Musiker sagen, dass sie Livestreams gar nicht mögen und dass diese nur eine vorübergehende Erscheinung sind.
Ich glaube, dass sich das halten wird. Wie man jetzt zum Beispiel bei den Ankündigungen zum Moers- oder Leverkusen-Festival sieht, sind Livestreams nicht mehr wegzudenken. Man erreicht dadurch ein größeres Publikum und gewinnt zusätzlich eine Imageverbesserung. Warum soll man nicht Live Konzerte fahren und Leute, für die das zu weit ist, über Streams mit einbinden?
Ich glaube man muss unterscheiden zwischen wirklichen live Streams und Produktionen. Es gibt natürlich immer wieder Fälle, wo man ein Konzert aufnimmt und es dann ins Netz stellt. Das ist aber jetzt eine andere Digitalität, als wenn man über den reinen Live Stream spricht.
nrwjazz: Ihr legt ja viel Wert darauf, auch jungen Musikern eine Plattform zu bieten. Wie ist es dazu gekommen?
Es ist ja eine wichtige Satzungsgrundlage des Vereins, dass wir junge Musiker fördern. Das ist in diesem Bereich ähnlich wie im Sport, wo gerade eine Generation verloren geht. Diese Leute entwickeln sich gerade in diesem Alter besonders stark und das fehlt jetzt enorm. Man kann aber auch feststellen, dass viele ihre eigene Musik weiterentwickelt haben. Ich merke einfach, dass da eine viel größere Tendenz besteht, eine eigene Musik zu schaffen.
Dazu haben wir digital sehr viele Projekte mit dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW und der LAG Soziokultur NRW auf die Beine gestellt und durchgeführt. Es geht uns eben nicht nur darum Jazz zu machen, sondern auch darum uns mit vielen anderen Bereichen zu verknüpfen. Da ging es um Balkan, HipHop und andere Sachen und es gab gerade im Projektbereich „Play Your Own Thing“ einen Förderwettbewerb mit Preisträgern und Preisträgerkonzert. Ich glaube, dass man da auch in Zukunft den Kopf nicht in den Sand stecken sollte, sondern gerade in dieser Zeit Flagge für junge Musiker zeigen muss, die – oft als Berufsanfänger - 2020 und 2021 finanziellnoch mehr benachteiligt waren als ihre älteren Berufskollegen. Ohne diese Projektlinien wären die jüngeren völlig von der Bildfläche verschwunden. Des weiteren war es uns wichtig, allen Musikern so schnell wie möglich von unserer Seite wieder eine finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen.
Das geeignete Mittel und nahezu einzige Mittel waren in den vergangenen Monaten die Livestream Konzerte oder auch die vorab aufgezeichneten Livestream Produktionen. Natürlich sind Live-Konzerte schöner, aber dieses war der Beitrag, den wir - trotz teilweise sehr angespannter Finanzlage - auch mit Hilfe einer großen Spendenbereitschaft von Mitgliedern oder Außenstehenden zu leisten im Stande waren.
Hierbei war es uns wichtig, der gesamten Jazz Szene NRW eine Bühne zu bieten, wo Unterstützung angebracht war. Wir wollten aber auch Bühnenpräsenz für jüngere Musiker schaffen, die derzeit ihre Existenzgrundlage aufgrund von noch nicht nachweisbarem Einkommen aus den Jahren 2018 /2019 gänzlich verloren haben und / oder zudem reihenweise ihre Zusatzjobs an Musikschulen, Studentenjobs etc. eingebüßt hatten.
Zudem haben sich viele dieser Musiker durch die Veränderung in den Produktionsabläufen (digitale Aufzeichnungen, Livesendungen, neue Soundverhältnisse etc.) erheblich weiterbilden und wesentliche Berufserfahrungen für die Zukunft sammeln können. Man sollte das trotz aller Umstände durchaus auch positiv sehen.
nrwjazz: Hat sich die Rechtsform des domicil als gemeinnütziger Verein in Kombination mit einer gGmbH Geschäftsführung in der Krise bewährt?
Diese Konstellation im Domicil hat sich bewährt. Die direkte Zusammenarbeit zwischen gGmbH Geschäftsführung und ehrenamtlichem Verein war sehr nützlich. Wir konnten nicht mehr vorhandenes Personal durch vielfältige ehrenamtliche Arbeit aus dem Verein teilweise sehr gut ersetzen. Das ist natürlich ein ganz großer Pluspunkt, denn das hat sich bei Förderanträgen sehr positiv ausgewirkt.
Wir haben von unseren Mitgliedern sehr viel Zuspruch, Hilfsbereitschaft, Spenden und vieles mehr erhalten, obwohl der Mitwirkung oftmals durch die diversen Lockdown-Bestimmungen Grenzen gesetzt waren. Die Mitglieder bilden die Basis des Vereins und der jetzt 52 jährigen Grundidee des domcils.Ohne die direkte ehrenamtliche Unterstützung ohne das Zusammenwirken mit der übrigen, teilweise sehr schmalen, Belegschaft hätte manche Veranstaltung und manches Projekt nicht hätte stattfinden können. Die Konstellation gGmbH und Verein domicil e.V. hat sich in diesen Tagen und Monaten also durchaus bewährt.
nrwjazz: Wie siehst du die nächste Zukunft für das domicil?
So wie das domicil vorher war wird das domicil nicht aus der Corona Krise rauskommen und man wird nicht einfach so weitermachen wie früher. Denn durch Corona sind jetzt längst überfällige Entwicklungen angestoßen worden und in Bewegung gekommen, mit denen wir uns jetzt auseinanderzusetzen haben. Dazu stellen sich einige Fragen: Wie kann man zukünftig das Programm im Rahmen der neuen Entwicklungen verändern? Wie kann man es moderner, auch werbewirksamer gestalten? Da werden in Zukunft auch die digitalen und sozialen Medien eine größere Rolle spielen.
nrwjazz: Plant ihr im Sommer wieder outdoor-Konzerte?
Ja, wir wissen noch nicht in welcher Form, denn das ist immer wöchentlich abhängig von den sich stetig verändernden Bestimmungen. Wir planen aber für den Westfalenpark oder, wenn das nicht funktioniert, für die Dortmunder Innenstadt. Insbesondere die Geschäftsführung in der Person von Waldo Riedl beschäftigt sich zurzeit unablässig mit dem Thema „Öffnungen“ und den damit verdundenen Open Air Events des domicils im Jahre 2021.
Ab dem 12.6. gibt es wieder Live Konzerte im domicil!!!
Tickets unter www.domicil-dortmund.de
Foto oben: Joscho Stephan + Tatort Jazz Hausband -- Konzert Stream am 6.5.21 im domicil