Bild für Beitrag:
Bild für Beitrag:

"Doch wieder gerne tanzen"

Im Gespräch mit Tobias Hoffmann

Köln, 06.04.2020
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper

Tobias Hoffmann freut sich, dass gerade viel Familienleben stattfindet. Im Gespräch betont er, wie glücklich er sich schätzen darf in Krisenzeiten breit aufgestellt zu sein. Seine künstlerische Haltung ist eine Plädoyer für Qualität, die ein Publikum findet.

Wie geht es Dir?

Gut. Meine Familie ist gesund, auch einschließlich Großeltern usw.., Da kann man also nicht klagen, vor allem wenn man mal die Nachrichten anschaut und sieht was in anderen Regionen los ist. Da Schulen und Kindergärten geschlossen sind, haben wir momentan unsere zwei Kinder rund um die Uhr zu Hause. Und da auch Spielplätze geschlossen sind, sich die Kinder nicht mit ihren Freunden treffen können, viele Freizeitaktivitäten wegfallen, sind wir gut beschäftigt und verbringen gerade eine intensive Zeit als Familie miteinander, was zuweilen anstrengend, aber auch schön ist. Soviel hätten wir unter normalen Umständen ja nicht miteinander. Daher bleibt aber tatsächlich auch nicht viel Zeit für Arbeit momentan. Eigentlich weniger als sonst. Die Kolleginnen und Kollegen mit Kindern werden mir zustimmen. Wir sehen die momentane Zwangspause also als Chance und versuchen, was draus zu machen. Aber ich weiß, dass es viele nicht so entspannt sehen können, denn viele hat es auch finanziell hart getroffen.

Wie sieht es bei Dir aus?

Es hält sich bisher bei mir noch in Grenzen mit den Einbußen. Zum Glück bin ich breit aufgestellt. Ich habe eine 50/50-Finanzierung meines Lebens durch Unterricht und Konzerte. Dazu kommen, wenn auch in geringerem Maße, Einnahmen aus Plattenverkäufen, GEMA, Gvl usw.. Mein Gitarren-Unterricht an der Jazzhausschule in Köln läuft jetzt online und das klappt überraschend gut. Man kann zwar nicht richtig miteinander spielen, aber zumindest Dinge zeigen, vormachen und erklären. Bei meinem Lehrauftrag für Jazzgitarre an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover ist es so, dass der Semesterbeginn um ein paar Wochen nach hinten verschoben wurde. Auch hier starten wir dann voraussichtlich erstmal mit Online-Unterricht. Was Konzerte betrifft hatte ich viel Glück im Unglück. Ich war dieses Jahr viel unterwegs bis Mitte März. Dann wäre es bei mir sowieso erstmal ruhiger geworden, inklusive Osterurlaub mit der Familie. Bisher habe ich also nicht so viele Einbußen. Ab Mai wird es etwas anderes. Aber hier ist vieles noch im Unklaren, zum Beispiel ob Veranstalter trotz Ausfall doch Gagen zahlen, oder ob vielleicht der Gig doch noch in irgendeiner Form stattfindet.

Ist der Verkauf von CDs ein Einahmefaktor?

Ja, die CDs, und auch LPs und Downloads, machen sich bezahlt. Was ich an echtem Geld reinstecke, habe ich bislang immer rausbekommen und auch darüber hinaus. Aber jeder weiß, dass man hier sicherlich nicht den gesamten Arbeitszeit-Aufwand für eine Produktion in Rechnung stellen darf. Also all meine Arbeitszeit, die ins Aufnehmen, Mischen, Mastern, Produzieren, Covergestaltung, Promotion usw. geht, ist da nicht eingerechnet. Aber man muss natürlich auch wiederum sagen, dass eine Album-Produktion sich durch mehr auszahlt als nur durch das Geld, was man mit dem Verkauf erzielt.

Siehst Du Chancen, jetzt in dieser Zeit mehr CDs zu vermarkten? Sozusagen als Ersatz für Konzerte?

Das würde ich mir natürlich wünschen, aber ich glaube nicht, dass es soviel wird, dass damit die Einkünfte aus den Konzerten kompensiert werden können. Was sich die letzten Jahre auszahlt hat, ist, in regelmäßiger Frequenz etwas heraus zu bringen. Und ich habe ja über den Vertrieb meiner eigenen Tonträger unmittelbare Rückmeldung, da sie nur bei unserem eigenen Label Klaeng-Records bestellt werden können. Ich hoffe allgemein, es gerät etwas mehr ins Bewusstsein, dass die Künstler am meisten profitieren, wenn die Leute ein Album direkt beim Künstler, oder wie bei Klaeng Records direkt beim Label bestellen, denn bei Klaeng Records gehen 100% der Einahmen an die Künstler. Ich wünsche mir darüber hinaus, dass es mehr ins Bewusstsein gerät, dass uns das Streaming so gut wir gar nichts bringt! Speziell CD-Verkäufe sind ein sehr komplexes Thema. Für die heutige Nutzung wird es immer wichtiger auch der CD einen Downloadcode beizufügen, da es einfach immer weniger CD-Spieler gibt. Manche haben nur noch einen im Auto. Bei Vinyl-Releases ist der Downloadcode ja schon Standard. Aber obwohl die CD in Musikerkreisen gern schonmal für tot erklärt wird, verkaufe ich immer noch gut. Und tatsächlich sind bei Alben die ich sowohl als CD, als auch als LP herausgebracht habe, die CD-Verkäufe immer noch höher als die der LPs.

Wie hältst Du es mit online gestreamten Konzerten?

Grundsätzlich spricht nichts dagegen, ein Live-Konzert zu streamen und Menschen, die nicht zum Konzert kommen können, daran teilhaben zu lassen, sozusagen als Zusatzangebot. Das muss aber auch nicht umsonst sein! In der jetzigen Situation Streaming-Konzerte zu machen, kommt aber für mich nicht in Frage. Denn generell gilt natürlich: Online-Konzerte sind keine Alternative zum Live-Konzert! Das ist einfach etwas ganz anderes. Ich finde es gut, die momentane Pause wirklich als „Auszeit“ zu nutzen, auch um die Leute wieder hungrig zu machen. Mein Bandkollege Lukas Kranzelbinder meinte: Die Leute werden hinterher umso mehr Bock auf Livemusik haben!

Was denkst Du über die Praxis, Konzerte zu verschieben und nicht gleich abzusagen?

Grundsätzlich finde ich das mit den Verschieben fair und erstmals bei den gebuchten Acts zu bleiben, ohne die Sache komplett abzusagen. Überhaupt erlebe ich momentan bei den Veranstaltern viel Solidarität in dieser Hinsicht.

Siehst Du andere Beispiele für Solidarität?

Die Jazzhausschule hat sich sehr für die Solidarität der Schüler und Eltern mit den Dozenten der Schule eingesetzt. Es gab ein offizielles Schreiben mit dem Hinweis auf die Situation der auf Honorarbasis beschäftigen Dozenten, die zum Großteil auch im Konzertbetrieb arbeiten und denen auf dieser Seite jetzt die Einnahmen fehlen. Bis jetzt haben sich meines Wissens nur sehr wenige Leute von Unterricht abgemeldet. Ich habe immer noch alle meine Schüler. Da spürt man also große Solidarität und das fühlt sich wirklich gut an. Wir haben unsere Tochter auch nicht vom Tanzunterricht abgemeldet, obwohl der natürlich auch erstmal nicht in der Form stattfindet, wie es gedacht war. Aber alle geben sich Mühe, alternative Wege zu finden. Wir müssen uns gegenseitig unterstützen, denn das hält die Dinge am laufen.

Macht eine solche Krise auf neue Weise kreativ?

Ich denke schon. Oder zumindest zeigt es Alternativen auf - ich habe ja schon über den Online-Unterricht gesprochen. Mir kam die Idee, auch private Kurse via Skype anzubieten. Ich war überrascht von der Resonanz, denn es haben sich auf Anhieb eine ganze Reihe Leute gemeldet.

Leute, die Du kennst?

Ich kannte die meisten nicht. Leute, die Platten von mir haben, oder mich irgendwo live gesehen haben. Oder es gab einen, der hatte sich eine Gitarre bei Vintage Guitar in Oldenburg gekauft. Für diesen Vintage Gitarrenladen mache ich regelmäßig Promo-Videos von den schönen alten Instrumenten. Kann man bei YouTube gucken. Der Kunde hatte sich die Gitarre wegen des Promo-Videos blind gekauft und wollte dann bei unserer Online Stunde genau wissen was ich da gespielt habe und wie das geht. Das hat mich sehr gefreut.

Also ergeben sich umso mehr überraschende Synergieeffekte, je breiter man als Freelancer seine Produktivität streut?

Dann kann gut sein. Ich habe vor einigen Jahren mit der Gründung von Klaeng Records die Entscheidung getroffen, alles selber zu machen. Ich wollte wissen wie die Dinge funktionieren und es selber in der Hand haben. Ich habe dann umheimlich viel gemacht, oder auch machen müssen. Überhaupt arbeite ich ja an sehr vielen Baustellen: meine eigenen Bands mit ihren Konzerten und Platten, die Bands, in denen ich Sideman bin, das Unterrichten an Hochschule und Musikschule, Privatunterricht, die Promo-Videos für Oldenburg, hier und da Studioarbeit, die Arbeit im Klaeng Jazzkollektiv Köln inkl. unserem eigenen Label etc., eigene Promotion in Form von Newslettern, ständige Präsenz bei Facebook und Instagram, Booking, Promotion bei der örtlichen Presse vor jedem einzelnen Konzert mit meiner Band, Interviews wie das hier, Workshops für Laien, Workshops an Musikhochschulen, Artikel für Fachmagazine geschrieben, Workshopberichte geschrieben, Liner Notes und Bandinfos verfasst usw. usf. Alles hängt mit allem irgendwie zusammen und oft hat sich die viele Arbeit früher oder später ausgezahlt.

Deine Platten und Bands markieren ja auch in künstlerischer Hinsicht eine konsistente „Marke“, unter der sich das Publikum etwas vorstellen kann. Wie siehst Du das?

Schön, wenn das so ankommt da draußen! Musikalisch ergibt sich in meinen beiden Hauptbands Tobias Hoffman Trio und der gemeinschaftlich geführten Band „Expressway Sketches“ alles von allein. Das ist ein ganz natürlicher Prozess. Was das Außendrum angeht - Albumcover, Texte, Fotos, Liner Notes, mach ich mir schon Gedanken wie ich jetzt die schöne Musik unter die Leute bekomme. Alles natürlich in einem Maße mit dem ich mich auch wohl fühle und einer Art die meinem Wesen entspricht und ehrlich ist. Die Konzepte der Bands sind ja im Grunde nicht wahnsinnig bahnbrechend. Im Trio interpretieren wir Standards im weitesten Sinne und bei den Sketches entwickeln wir die unsere eigene Musik im Stile der 60's Surfmusik. Wichtig ist, auf so einer Basis etwas eigenes heraus zu arbeiten. Ich kann nur jeden ermutigen, seinem Herzen zu folgen. Das ist nicht immer leicht. Es ist natürlich schön wenn man was gefunden hat was niemand sonst macht und du deine "Marke" gefunden hast. Auf der anderen Seite ist man damit in der Musiker-Szene dann aber auch allein damit. Aber weil die Kolleginnen und Kollegen usw. ja schon auch ein wichtiges Umfeld sind, ist es nicht immer einfach. etwas zu machen von dem man oft nicht sicher ist, ob die anderen das cool finden.

Ich bin an dieser Stelle auch immer mal wieder unsicher. Und mache auch schon mal den Fehler wie ein "Musiker" zu denken, anstatt einfach meinem Herzen zu folgen. Aber allein diese Erkenntnis hat mich schon ein gutes Stück nach vorne gebracht. Und so versuche ich auch immer, von außen auf das zu schauen was ich mache und stelle mir selber fragen wie: Wie hört sich das für normale Leute an? Groovt es? Macht es Spaß das zu hören? Hört man sich das auch ein zweites mal gerne an? Klingt das wirklich gut, oder bin ich vielleicht hier und da auch einfach nur verliebt in das was ich da spiele? Usw. Man muss sich ja auch einfach mal vorstellen, dass grundsätzlich instrumentale Musik, also Musik ohne Text, für die meistens Leute da draussen schon völlig außergewöhnlich ist. Ich versuche immer diesen Schritt aus mir selber heraus zu machen und zu probieren, die Situation von außen zu betrachten.

Was braucht der Jazz heute?

Der Jazz hat über die Jahrzehnte ein merkwürdiges Image gekommen. Im Zuge der Anerkennung als vollwertige Kunstform musste man natürlich gewisse Maßnahmen vornehmen, um diese Anerkennung zu bekommen. Und vieles davon war gut und wichtig. Weg von der reinen Tanzmusik, das Publikum sollte zuhören und nicht während der Musik reden usw. Der Jazz wurde konzertant. Das hatte diese Musik verdient. Und dann wurde sie Teil der akademischen Ausbildung. Ein sehr wichtiger Schritt um überhaupt heutzutage als Jazzmusiker arbeiten zu können. Davon profitieren wir immer noch alle. Aber um das zu schaffen, musste man gewisse Standards aus der klassischen Musik erfüllen, um von eben diesen Leuten anerkannt zu werde. Und womit hat man sie bekommen? Mit Virtuosität, komplexer Harmonik, komplexer Melodik, komplexen Rhythmen. Alles natürlich nachweisbar auf dem Papier. Das hatte auch Einfluss auf die Musik selber. Und dadurch hat man auf der anderen Seite leider Publikum verloren. Noch heute gilt Jazz bei vielen als abgehoben und intellektuell. Ich erlebe immer wieder die Reaktion nach Konzerten. "...mir hat die Musik super Gefallen, aber ich verstehe ja nichts von Jazz". Ich sage dann immer, man muss ja auch nichts verstehen, sondern einfach nur zuhören. Aber dieses Bild von der Musik die so wahnsinnig klug ist, formt bei manchen die demütige Grundhaltung "ich verstehe das nicht" und andere gehen auf Konfrontation mit "das ist mir zu abgehoben. Da ist kein Feeling. Ich höre lieber meine Rock-Platten".

Beide Reaktionen entstehen aus einem falschen Bild von Jazz. Natürlich ist Jazz nicht immer leicht konsumierbar. Und natürlich lassen sich gewisse musikalische Parameter auch ver-mathematisieren, bzw. ver-akademisieren. Aber das ist ja nicht worum es im Wesentlichen geht! Das sind ja nur Werkzeuge. Leider sind diese Werkzeuge aber im Laufe der Geschichte dieser Musik dann zu oft in den Vordergrund gerückt worden. Die Werkzeuge wurden das Werk. Und da haben wir die Leute verloren! Ich habe aber das Gefühl, daß sich dies in den letzten Jahren zum Glück wieder etwas ändert. Das die Musiker nicht mehr nur für sich spielen, das man mal wieder Dinge spielen kann die eben nicht "cool" sind, sondern auch schonmal schrullig, witzig, oder simpel. Sachen die Spaß machen und grooven, wo die Leute eben dann doch wieder gerne tanzen sollen! Aber dieser Imagewechsel ist natürlich schwierig und es braucht eine lange Zeit. Und jedes Konzert ist dabei wichtig! Es hat sich die letzten Jahre ja unheimlich viel positiv entwickelt mit der Deutschen Jazzunion, oder auch hier mit NRW-Jazz. Es gibt Musikerinitiativen und die Musiker packen an und es fliessen auch mehr Gelder. Das ist alles super.

Aber wir brauchen trotz allem Leute die uns zuhören! Und zwar nicht nur einmal. Ich hab oft das Gefühl, es wird zu kurz gedacht. Es ist super wenn du ein Budget hast und ein Konzert organisierst und soviel Werbung machst, dass der Laden einmal voll ist. Aber dann muss der Gig auch so stimmig sein, dass die Leute auch beim nächsten Mal noch kommen. Ich muss immer an dieses Restaurant denken, in dem ich einmal war und es hat mir nicht geschmeckt. Ich bin da jahrelang nicht hingegangen, obwohl ich jeden Tag vorbei gegangen bin. Bis mir eines Tages auffiel "Moment mal. Ich hab einfach ein wahnsinnig hartes Urteil gefällt, vielleicht hatte auch der Koch einfach mal nur einen schlechten Tag". Und so passiert das glaube ich auch bei Konzerten. Und gleiches gilt für Alben. Es ist schön eine Platte zu machen und wenn die gut beworben ist und gut besprochen, dann kaufen ein paar Leute das Ding. Aber die viel interessantere Frage ist ja - "kaufen sie auch dein nächstes Album?". Wenn ich solche Dinge sage, komme ich mir immer schlecht vor, weil ich auch weiß, daß andere Musiker das ganz anders sehen. Und natürlich mache auch ich in erster Linie einfach Musik. Aber wenn ich ins Business will und mich auf eine Bühne stelle, und möchte das mir Leute zuhören und nachher ne Platte kaufen, dann muss man sich doch zwangsläufig mal Gedanken in verschiedene Richtungen machen.

Hast Du Bilder im Kopf für die Zeit nach der Zwangspause?

Es ist alles noch ungewiss. Ich denke es wird sicherlich noch langfristige Folgen haben. Positive, aber natürlich auch negative. Im Moment kann man ja tatsächlich nur abwarten. Vielleicht bringen wir durch die Pause den Leuten ins Bewusstsein, wie schön und unverzichtbar Livekonzerte sind. Vielleicht bleiben die Leute aber auch nachher einfach zu Hause, weil es ihnen so gut gefallen hat, oder weil sie kein Geld mehr haben. Wir werden sehen. Ich bin wie auch schon vorher, total glücklich, dass ich Musiker sein darf. Es ist ein großes Privileg, überhaupt das zu machen, was einem am Herzen liegt, womit man sich ausdrücken kann, und dass einem die Leute überhaupt zuhören. Dafür bin ich sehr dankbar.

Suche