Bild für Beitrag: Dirk Raulf | Ich reite in die Stadt - der Rest ergibt sich
Bild für Beitrag: Dirk Raulf | Ich reite in die Stadt - der Rest ergibt sich
Bild für Beitrag: Dirk Raulf | Ich reite in die Stadt - der Rest ergibt sich
Bild für Beitrag: Dirk Raulf | Ich reite in die Stadt - der Rest ergibt sich

Dirk Raulf

Ich reite in die Stadt - der Rest ergibt sich

Hattingen, 30.09.2014
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker

Dirk Raulf ist ein vielseitiger Musiker, wie wir in nrwjazz bereits häufiger dokumentiert haben, wie es auch der aktuellen nrwjazz-Rezension seiner gerade erschienenen CD Writ in Water zu entnehmen ist. Das Interview mit ihm fand letzte Woche Freitag in Hattingen statt, und zwar vor dem leider nur kurzen Konzert von Dirk Raulf in dem Atelier von Gereon Lepper auf dem Gelände der Hattinger Henrichshütte. Gereon Lepper - gerade ist seine Ausstellung Roaring Forties im Skulpturenpark Wuppertal zu Ende gegangen – stellte unmittelbar seine für ihn typische kinetische Metallskulptur mit dem Arbeitstitel Kopf an Kopf fertig, Dirk Raulf mit Bass- und Sopran-Saxophon improvisierte solo zu der sich bewegenden Doppel-Skulptur.

Bei allen vielfältigen Gemeinschaftsprojekten von dir wie Deep Schrott, Dirk Raulf Orchestra, Theater - Worin besteht für dich der Reiz für ein Solo-Konzert bzw. eine Solo-CD?

Es ist eine völlig andere Situation, nur sich selbst und dem Instrument vertrauen zu können. Man ist gezwungen, der eigenen inneren Stimme zu folgen. Wenn man auch noch weitgehend improvisiert, keine komponierten Solo-Stücke spielt, weiß man nicht, wenn man den ersten Ton spielt, was der zweite sein wird, und nach dem zweiten nicht die folgenden. Das bedeutet eine bestimmte Art von Konzentration, die einerseits hochriskant ist, andererseits auch eine besondere Herausforderung darstellt, einen besonderen Reiz, weil man dem, was da kommt, vertrauen muss. Ich vergleiche das manchmal damit, wenn ich meinem 6-jährigen Sohn Stegreifgeschichten erzähle, da weiß ich mit dem ersten Wort auch nicht, wo die Geschichte landet. Mit der Musik hat man natürlich noch andere Möglichkeiten, weil sie ja nicht wie bei der Geschichte narrativ sein, eine Handlung haben muss mit Anfang, Mitte und Schluss, mit Personen. Mit Musik hat man andere Kommunikationsmöglichkeiten als mit Sprache – und vice versa. Aber Solo-Improvisation ist dem Geschichten-Erzählen nahe, wobei Musik nicht im klassischen Sinne narrativ ist, noch nicht einmal im Sinne eines Stücks. Die Dinge, über die ich zur Zeit, was Solo-Spielen angeht, nachdenke, sind eher statisch als dynamisch oder haben andere Bögen als früher. Das verändert sich mit der Zeit und hängt auch von dem ab, was einen im Moment interessiert.

Aber Wasser ist für dich bis heute ein durchgehendes Thema, bei 60 Minuten. Flussabwärts, jetzt mit der Solo-CD ‚Writ in Water’?

Immer wieder. Wobei der Titel Writ in Water ja nicht bedeutet, dass ich mich im engen Sinne mit Wasser beschäftige, das ist nur ein Bild für Improvisation, für vergehende Zeit, dass man aufs oder ins Wasser schreibt. Das ist beim Medium Musik so, dass man das einmal und in dem Augenblick spielt, danach ist das Ergebnis für keinen mehr aufrufbar. Schon die Tatsache, dass man ein improvisiertes Konzert aufnimmt und veröffentlicht, ist ja eigentlich seltsam - und auch eine Lüge, weil man womöglich nicht das ganze Konzert veröffentlicht, beim Hören auch den Raum nicht vor sich hat usw.. Wenn man denkt, das ist irgendwie gelungen, dann gibt man dem live improvisierten Ausschnitt einen Titel, und das firmiert dann auf der CD als Stück von 3 oder 6 Minuten. So hat es das Thema als Stück aber nie gegeben, sondern das hat sich an einem Abend so entwickelt mit Höhen und Tiefen, mit Dingen, die gelungen oder weniger gelungen sind, mit verschiedenen Reaktionen von Raum und Menschen. Es ist halt ein flüchtiges Medium, mit dem wir da arbeiten. Das alles ist ein bisschen wie in Wasser oder in den Sand geschrieben.

Auf der CD sind die Aufnahmeorte hörbar unterschiedlich.

Ja, man hört die Unterschiede. Das ist ja keine CD, die sauber produziert ist. Ich arbeite da einfach mit einem kleinen digitalen Aufnahmegerät. Hier oder da gibt es wie z.B. in der Kirche eine günstige Aufnahmesituation, manchmal eher eine ungünstige. Das empfinde ich aber nicht als Problem. Die CD betrachte ich eher als Dokumentation. Ich habe erst beim Nachhören nach den Konzerten festgestellt, dass mir das ein oder andere gut gefiel, und mich dann zur Veröffentlichung entschlossen.

Die Auswahl der Titel ist dann eher zufällig: hier ein Monk, da ein Sting ...?

Nein, auf den Konzerten habe ich das nicht unbedingt als Stücke gespielt, Themen dienen eher als Assoziationspunkte. Es gibt ein bestimmtes Repertoire an Motiven, das mir dann zufällt. Das kann aber auch etwas anderes sein wie z.B. ein Stück von Ornette Coleman. Im Moment beschäftige ich mich mehr mit Drone und Doom und verschiedenen Metal-Spielarten. Da gibt es so Bands wie Sunn O))) oder Earth, die mich interessieren. Da habe ich Stücke transkribiert, obwohl die Musik hinsichtlich dessen, was man notieren kann, eigentlich ärmlich daherkommt, zumindest sieht es dann ärmlich aus. Aber es handelt sich hier um eine hochkomplexe und hochvirtuose interessante Klang-Landschaft. Das beeinflusst auch mein Solo-Spiel, das würde ich auch gegebenenfalls so nennen, obwohl ich letztlich etwas ganz anderes spiele. Aber konkrete Motive wie eine bestimmte Akkordsequenz bei einem Friedrich-Hollaender-Stück oder ein Motiv aus dem Sting-Song sind mir schon vorher präsent als Material. Das ist aber auch – um im Bild des Wassers zu bleiben – wie etwas, das aus dem Fluss auftaucht und an die Oberfläche kommt. Das ist dann nicht in dem Sinne ein Stück. Wobei es das auch gibt: Ich spiele z. B. schon einmal, wenn es mich in der Situation anspringt, ein Monk-Stück oder ein Stück von Ellington oder einen Blues.

Oder einen norwegischen Brautmarsch.

Ja, den kenne ich von einer frühen Garbarek-Platte. Das sind ungeplante, situativ sich ergebende Haltepunkte oder musikalisch Wegkreuzungen. Geschriebene Stücke für Saxophon-Solo gibt es zuweilen aber auch. Es gibt ein Stück auf der CD, Placing the Stakes, das ein ausgeschriebenes Thema hat. Das ist aber eher die Ausnahme. Und es gibt solche, die einfach spontan entstehen – wenn ich z.B. für einen Freund ein Stück von Clint Eastwood zitiere, das ich davor noch nie gespielt habe und danach auch nie wieder. Heute interessieren mich die Filme von Eastwood nicht mehr so sehr. Ich mag aber das Zitat von Eastwood, als er nach dem Inhalt eines seiner Filme gefragt wird: Ich reite in die Stadt, und der Rest ergibt sich.

Kannst du zu deiner Blastechnik etwas sagen? Ich finde es phänomenal, wie du auf dem Bass-Saxophon, aber auch auf dem Sopran unglaublich lange Dauer-Arpeggien mit Zirkularatmung....

Das ist ja nicht so ungewöhnlich. Ich bin da auch kein Spezialist wie Evan Parker. Ich nutze das schon mal. Wenn man alleine spielt, versucht man auch, die extremeren Spiel- und Klangtechniken zu verwenden. Aber das muss auch nicht zwangsläufig sein. Z. B. von Steve Lacy wüsste ich nicht, dass der jemals Zirkulartechnik eingesetzt hätte. Aber speziell, wenn du mit langsam ändernden Klangflächen arbeitest, ist das ein probates Mittel, wenn es sich nicht verselbstständigt. Es gibt nichts Öderes, als wenn Leute einen langen Ton aushalten, nur um ihn auszuhalten mit dieser Technik. Die ist übrigens nicht so kompliziert, wie man denkt. Der Verblüffungsgrad ist halt immer noch groß. Bei Deep Schrott können wir die geschriebenen Passagen mit Zirkulartechnik alle. Im Prinzip kann das jeder von uns herstellen, das ist nicht mehr so ungewöhnlich wie vor 20 Jahren. Ich finde es speziell bei jemand wie Evan Parker besonders interessant oder schlüssig, wenn es nicht so eingesetzt wird zur zirkushaften Verblüffung wie bei Kenny G. Der erste, der es konsequent im weitesten Sinne in der improvisierten Musik gemacht hat, war meines Wissens Roland Kirk. Aber es ist nichts Ungewöhnliches mehr. In vielen Weltmusiken kommt es vor. Viele kennen das vom Didgeridoo. In unseren Konzerten gibt es häufig Leute, die sagen: Das Bass-Sax klingt ja wie ein Didgeridoo. Das drehe ich immer um und sage: Das Didgeridoo klingt wie ein Bass-Saxophon. Was ja auch nicht stimmt. Nichts gegen das Didgeridoo, ich mag nur das hippiehafte Herumtröten in Parks nicht, damit möchte ich nicht verglichen werden. Es gibt auch in der orientalischen Musik Instrumente, die grundsätzlich mit Zirkularatmung gespielt werden. Das ist nicht mehr außergewöhnlich, jedenfalls nicht für Saxophon. Trompete, Flöte – das sind Instrumente, bei denen Zirkularatmung objektiv schwerer herzustellen ist. Das gilt bis zu einem gewissen Grad auch fürs Bass-Saxophon, weil man einfach eine andere Luftsäule ins Schwingen bringen muss als bei Oboe oder Klarinette.

Bei manchen Stücken auf der CD finde ich es toll, wie du mit dem Bass anfängst, mit Obertönen, mit schrillen hohen Tönen, gleichzeitig mit den Klappen rhythmische Geräusche erzeugst, der Ton kippt dann ganz nach unten...

Das sind Möglichkeiten, die das Instrument hergibt. Da hätte ich es vielleicht manchmal sorgfältiger mikrophonieren können, weil es da verschiedene Ebenen gibt. Das macht Colin Stetson beispielsweise, indem er verschiedene Mikrophone an seinem Bass-Saxophon anbringt, dann noch eins an seinem Kehlkopf, so dass er die verschiedenen Klangebenen verstärken und beim Live-Spiel die verschiedenen Schichten besser mischen kann.

Das macht Andreas Kaling ja auch.

Ja, er macht so etwas auch. Bei mir ist alles einfach nur Lizenz zum Tröten. Ich mache nichts mit Technik. Bisher jedenfalls.

Ich bewundere das, wie Obertöne, hohe Töne, das Kippen in den tiefen Bereich gleichzeitig klingen...

Ja, das ist gleichzeitig, ich weiß aber auch nicht, warum das geht. Ich kann’s physikalisch nicht erklären. Ich weiß nur, dass es geht. Beim Bass haben ja auch die Klappen ein anderes Gewicht als beim Sopran. Da hast du natürlich so ein Pfund, wenn du eine tiefe Klappe schließt. Es gibt bestimmte Obertonbereiche, die gleichzeitig schwingen. Ich habe das nicht genau recherchiert, da bin ich zu faul, zu desinteressiert. (LACHEN) Habe gerade eine Sendung zum 200. Geburtstag von Adolphe Sax vorbereitet und jede Menge Literatur zum Saxophon durchgelesen. Dabei habe ich zum wiederholten Mal festgestellt, dass mir die Beschäftigung mit physikalischen Hintergründen und Materialfragen eher schwerfällt. Ich bewundere Leute, die sich tagelang mit ihrem Material beschäftigen, ich mache es nicht, es ist mir nicht gegeben. Ich habe schon als Kind sehr ungern gebastelt. Ich kümmere mich auch wenig um Blättchen oder Mundstücke, das interessiert mich nur sehr bedingt, es muss halt funktionieren. Blättchen schneiden und Mundstücke feilen finde ich mühsam.

Bei den ganzen Projekten von dir, so unterschiedlich sie sind: Was ist bei ihnen typisch Dirk Raulf?

Keine Ahnung... Das müssen andere sagen. Vielleicht in gewisser Weise eine dunkle Seite, der ich zuneige, eine gewisse dysphorische Veranlagung. Es interessiert mich immer mehr, Dinge zu machen, die eine gewisse Schwere haben. Mich interessiert immer mehr der Spaß am Ernst als der Spaß am Spaß. Ich finde, es ändert sich natürlich auch. Ich finde z.B., dass die Zeit für Ironie komplett vorbei ist. Ich habe kein Verständnis mehr für Leute, die ironisch die Welt betrachten. Ich verstehe das angesichts der Weltlage nicht. Wir befinden uns in einer Situation wie Donald Duck, der über die Klippe hinausgeschossen ist und noch nicht merkt, dass er im Begriff ist abzustürzen. Noch denkt er, er läuft, er ist aber schon in der Luft, und im nächsten Augenblick geht es abwärts. In dieser Situation befinden wir uns mit der Welt. Ich finde, es gibt keine Zeit für Ironie oder solche Scherze. Es gibt eine Zeit für Humor, auch Galgenhumor, auch Sarkasmus. So eine existenzielle oder Kleistsche Ironie meine ich auch nicht. Ich meine eher die Ironie, die in den letzten zwanzig Jahren in die Gesellschaft eingedrungen ist. Was man mit und in der Welt macht, wenn man nicht gerade Terrorist oder Künstler ist. Was macht man, wie stellt man sich, wie kann man sich verbünden mit Leuten, die ein Interesse daran haben, nicht alles vor die Wand fahren zu lassen? Hoffentlich grundiert das auch in gewisser Weise meine Arbeit. Ich bemühe mich jedenfalls darum. Allerdings kann man auch nicht aus seiner Haut. Ich finde mich aber auch nicht so wichtig, ich frage mich nicht nach meiner künstlerischen Bedeutung, das wäre albern. Ich mache die Projekte mehr als Projekte, ich finde mich als Künstler nicht so wichtig. Ich mache das, weil ich es mache, nicht weil ich meine, dass die Welt die Dinge braucht, die ich auszudrücken habe.

Wie bist du zur Theatermusik gekommen?

In Bochum hatte ich mein erstes Engagement. Es war Zufall, dass ich gefragt wurde. Warum man dazu kommt, ist ja oft zufällig. Warum man dabei bleibt, warum man sich einnistet und es sich im Laufe der Jahre eine gewisse Kontinuität ergibt, ist ja eine andere Frage. Ich glaube, man merkt jemand an, ob er an Dingen ein Interesse hat, dann wirkt das auch. Es gibt ja sehr viele Musiker, die an dieser Art von Arbeit kein Interesse haben, die das auch hassen. Ich hasse das bis zu einem gewissen Grad auch, aber nicht grundsätzlich. Ich finde die Tatsache, wenn man seine Musik oder seine musikalischen Vorstellungen in den Rahmen von etwas Größerem einbringt, erst einmal interessant, Teil von etwas Größerem zu sein, von einer Inszenierung, in der Musik einen Baustein unter mehreren bildet. Allerdings muss man als Musiker nach meinen Erfahrungen aufpassen, dass es nicht Überhand nimmt, weil man anfängt, die Musik selbst zu verraten, oder ...

Sie funktional zu betrachten. ....

Ja, sie wird irgendwann einmal zum Gebrauchsgegenstand, das ist für die eigene Art, Musik zu machen, und auch für das Theater gefährlich. Entweder man beginnt die Arbeit im Theater zu verabscheuen, weil man merkt, dass man die Musik nur so benutzt. Oder aber man findet den Weg zur Musik nicht zurück. Mir ist beides schon passiert. Es kommt immer sehr darauf an, mit welchem Respekt einerseits der Musiker, oder besser: die Musik im Theater behandelt wird, aber es kommt natürlich auch aufs Stück an: Interessiert dich das Stück, das Thema? Findest du das Thema so interessant, dass du dich da einbringen möchtest? Es gibt Stücke, die mich etwas angehen, wo ich das Gefühl habe, das ist für mich auch Teil dessen, womit ich mich beschäftige. Und es gibt das Gegenteil, Hauptsache ist dann nur, die Miete kann bezahlt werden. Dann wird es für mich sehr problematisch. Ich brauche für mich schon immer eine Art von Zugang zu der Sache, eine Motivation, sonst wird’s öde.

Hast du da jeweils musikalisch-künstlerische Freiheit, oder musst du dich der Gesamtinszenierung unterordnen, so einordnen, dass du das Gefühl hast, nicht frei genug sein zu können?

Ich bin komplett unfrei. Das heißt nicht, dass ich hier und da nicht Sachen einbringe, die ich persönlich interessant finde oder die mit mir persönlich zu tun haben. Ich versuche schon sehr, mich auf die Inszenierung einzustellen. Es gab Inszenierungen, zu denen ich Musik machte, die ich privat ganz doof fand. Trotzdem hat sich die Musik in dem Zusammenhang als richtig und förderlich erwiesen. Im Extremfall könnte es auch mal sein, dass man als Musiker engagiert wird und es gibt keine Musik. Das ist mir noch nicht passiert; ich will damit nur illustrieren: Musik und Klang sind immer auch eine Verletzung von Stille, es wäre theoretisch möglich, einen Abend bewusst mit Stille ALS KLANG zu bestreiten. Auch das würde ich für eine musikalische Aufgabe halten. Ich habe z. B. auch einen Abend gestaltet mit dem Geräusch der Drehbühne, fast ohne Musik. Wir haben die Drehbühne mikrophoniert und das so laut gedreht, dass das eine eigene musikalische oder klangliche Welt darstellte. Man hatte das Gefühl, in einen rotierenden Kopf reinzuhören und -zusehen. Man muss zu jeder Inszenierung eine andere Lösung finden. Ich habe auch live im Theater Solo-Saxophon oder Bassklarinette gespielt oder Klavier. Bei meiner nächsten Aufgabe in Münster arbeite ich mit einem 20-köpfigen Männer-Laien-Sprechchor zusammen. Ich trainiere den Chor so, dass das hinterher richtig sitzt und im Stück eine große Bedeutung und Macht bekommt. Das finde ich eine interessante und auch musikalisch-rhythmische Aufgabe. Also, jede Arbeit ist immer wieder anders. In Kassel habe ich gerade zum Teil so leise Töne verwendet, dass die Lichttechnik des Hauses lauter war. Das hielt ich für völlig richtig. Das sind aber nur Beispiele. Man versucht bei neuen Produktionen immer erst, die Sache auf Null zu stellen, dann fängt man an zu überlegen, wie es klingt, wo das Leitmotiv herkommt. Was ich am Theater grundsätzlich falsch finde, ist illustrative Musik. Mann fällt um, Trommel macht Bumm. Das mache ich nie, ich versuche Motive zu finden, die für das Stück auf der akustischen Ebene ungefähr so etwas herstellen wie das Bühnenbild oder der Raum auf der visuellen Ebene, dass man das Gefühl hat, man geht in einen akustischen Raum oder kommt aus ihm wieder heraus. Streng genommen ist natürlich auch musikalische Illustration möglich oder nötig: Ich versuche nur, den Unterschied deutlich zu machen.

Du spielst im Theater - wie jetzt in Essen – auch ab und zu selber mit.

Ich habe da eine winzige Rolle, ich spiele eine Stunde Musik an dem Abend, dann spiele ich eine Minute, sag diesen Text auf.... Das war für mich auch eine neue Erfahrung. Ich mache an dem Abend leider nur Sachen, die ich eigentlich nicht kann: Ich spiele Klavier, Bassklarinette, und ich muss noch diese kleine Szene spielen. Ich habe in den zwanzig Jahren meiner Bühnenarbeit ein szenisches Verständnis entwickelt. Ich bin natürlich kein ausgebildeter Schauspieler oder Sprecher. In den Fällen, wo ich szenisch eingebunden war, war das auch nicht der Versuch, mich zu einem solchen zu machen, sondern mich als das zu nehmen, was ich dann bin, nämlich ein Musiker, der auf der Bühne präsent ist und ggfs. auch ein paar Texte aufsagen kann.

Was erwartet uns im Konzert heute Abend?

Keine Ahnung. Ich bin selber ohne Erwartung hier her gekommen. Erst einmal finde ich den Raum toll, ich war ja schon zweimal hier und fand es beide Mal toll, in dem Raum zu spielen. Ich finde es toll, von Kunst umgeben zu sein, das finde ich auch in meinem Privatleben toll, aber auch generell in meinem Leben. Kunst hat mich gerettet, nicht nur die Bildende Kunst, sondern Kunst überhaupt, Literatur, Musik. Das ist schon mein Lebenselixier. Aber ich bin gerne umgeben von Künsten, von denen ich selber nicht so viel verstehe. Und ich halte Gereon Lepper für einen hervorragenden Bildhauer. Ich werde heute Abend zu Klängen seiner Skulpturen spielen. Duette kann man nicht das nicht nennen, Maschinen reagieren ja nicht. Ich spiele zu den Maschinengeräuschen. Anschließend will ich noch Ausschnitte aus einem neuen Text von mir lesen, aus einem Hörspiel für Deutschlandradio, das ich jetzt Mitte Oktober produziere, Fremde Schönheit oder Der andere Ort. Ein längerer Text, eine Art längerer Monolog.

Gänzlich ohne Musik?

Nee, es kommen Klänge vor, die ich aufgenommen und bearbeitet habe. Das hat viele klangliche Elemente und eine klanglich-musikalische Dramaturgie und besteht nicht nur aus Wort. Es kommen auch stellenweise Solo-Musiken vor, und man hört mich sogar im Hintergrund singen.

Termin?

2. November, das ist ein kleiner Raulf-Radiotag: Zuerst kommt nachmittags eine Sendung von mir im WDR, dann abends das Hörspiel.

Ich versuche, die Hörspielarbeit im Moment ein bisschen zu entwickeln. 60 Minuten. Flussabwärts produziere ich auch für den WDR, für das Studio akustische Kunst. Das ist jetzt nicht in dem Sinne ein klassisches Hörspiel, aber etwas anderes als der Jazz-Sendeplatz. Im nächsten Jahr mache ich für den WDR ein Kinderhörspiel. Das interessiert mich, weil ich da verschiedene Erfahrungen einbringen kann. Da mache ich wirklich alles: Buch, Regie, Musik. Als Medium interessiert mich dies, weil ich unterschiedliche Dinge einbringen kann. Natürlich ist die Musik ein wichtiger Bestandteil, aber mein Lebenstraum ist auch Schreiben gewesen. Das hat mich mein Leben lang verfolgt, über Theater, aber jetzt auch über das Hörspiel kann ich das Interesse noch einmal einbringen und daran feilen, andere Sinne wachhalten.

Bild für Beitrag: Dirk Raulf | Ich reite in die Stadt - der Rest ergibt sich
Bild für Beitrag: Dirk Raulf | Ich reite in die Stadt - der Rest ergibt sich
Bild für Beitrag: Dirk Raulf | Ich reite in die Stadt - der Rest ergibt sich
Bild für Beitrag: Dirk Raulf | Ich reite in die Stadt - der Rest ergibt sich
Suche