Bild für Beitrag: Die Zeit steht nicht still | Gespräch mit dem jungen Gitarristen David Riter
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Die Zeit steht nicht still

Gespräch mit dem jungen Gitarristen David Riter

Hürth, 21.05.2020
TEXT: Dr. Michael Vogt | 

Der junge Jazz-Gitarrist David Riter studiert seit dem Wintersemester 2019 an der Hochschule für Musik und Tanz Köln. David Riter hatte seinen ersten Konzert-Auftritt mit 17 beim Jazzclub Hürth. In letzter Zeit lässt er den Gypsy-Swing zunehmend hinter sich und integriert eine Vielzahl an neuen Einflüssen in sein Spiel. Derzeit steht der 21-Jährige wie viele junge Kollegen vor der Herausforderung, seinen Studienalltag trotz der Corona-Beschränkungen zu meistern. Ein Gespräch über den Umgang mit der Krise, finanzielle Sicherheit, Musik per Videokonferenz, die Zukunft des Gypsy Swings und die Förderung junger Musiker.

David, du hast im Sommer 2019 deine Aufnahmeprüfung bestanden und im Wintersemester an der Musikhochschule Köln dein Studium begonnen. Jetzt hält das Corona-Virus die Welt im Atem. Wie wirkt sich das auf dich als Student aus?

Einen normalen Studienalltag gibt es derzeit nicht. Die Musikhochschule ist für jeden gesperrt. Das, was möglich ist, wurde ins Internet verlegt, da agiert aber jeder Dozent zurzeit etwas anders. Der Dozent für Gehörbildung hat uns etwa per Mail Aufgaben geschickt, die wir zu Hause bearbeiten sollen. Das Fach Musikgeschichte findet morgen über «Zoom» statt. Mit der Hilfe dieser Video-Konferenz-Software habe ich auch schon Stunden bei meiner Gesangslehrerin und zusammen mit meinem Gitarrenlehrer gehabt.

Funktioniert das gut?

Wir fangen ja gerade damit an, ich glaube aber, dass diese Konzepte klare Grenzen haben. Ein Thema wie Gehörbildung ist über eine Videokonferenz wohl kaum mit 40 Teilnehmern zu leisten. Andere Dinge funktionieren besser: in der Musikgeschichte etwa hat der Dozent seinen Beitrag vorbereitet und diesen dann auf dem Bildschirm als Präsentation laufen lassen. Die Studierenden sitzen dann jeweils zu Hause vor ihren Rechner und können, wenn sie Fragen haben, über das entsprechende Meldezeichen auf sich aufmerksam machen.

Wie ist deine persönliche Einstellung diesen technischen Hilfsmitteln gegenüber?

Einige meiner Kommilitonen sind sehr offen und finden es fast cooler, über so ein Medium zu studieren, als persönlich anwesend sein zu müssen. Ich sehe das differenzierter. Eine Laufbahnberatung, in der man im Einzeltermin über sein Studium spricht, kann man wirklich online machen. Der musikalische Einzelunterricht ist online aber viel zu unpersönlich. Man kann auch kaum effektiv zusammen spielen, da fehlt mir einfach zu viel. Ich habe auch schon mit Freunden ausprobiert, über Zoom zusammen Musik zu machen. Das funktioniert nicht richtig, weil es stets minimale Verzögerungen und kurze Aussetzer gibt. Gut, ich lasse das Programm auf meinem Handy laufen und vielleicht könnte man da über veränderte Einstellungen etwas verbessern, aber es ist hochkomplex und nicht einfach hinzubekommen.

Es geht beim Zusammenspiel nicht nur um die Akustik. Was ist mit den optischen Signalen?

Die fehlen natürlich. Denn beim Zusammenspiel, ob in der Probe oder beim Konzert, fasst man alles auf, jede Kleinigkeit. Wenn einer im Ensemble mit dem Handballen auf die Gitarre schlägt oder mit dem Fuß aufstampft, ist das eine wichtige Information für die anderen Musiker. Über das Internet ist das ziemlich schwierig.

Nicht nur Studierende sind von den Maßnahmen gegen die Corona-Ausbreitung betroffen. Gerade Musiker leiden, weil sie ihren Beruf durch die verhängten Verbote nicht ausüben können. Wie sieht das für Dich aus?

Wegen Corona sind auch für mich Konzerttermine ausgefallen. Ich wollte etwa mit einem Freund zusammen eine Konzertreihe in München spielen. Das fällt nun flach. Viele Künstler versuchen, das Verbot von Konzerten im Netz wettzumachen.

Das tun fast alle. Ich sehe es auf Facebook, wo die Leute Online-Konzerte ankündigen und um Spenden bitten. Das liegt vor allem daran, dass die meisten von der Musik wirklich abhängig sind und derzeit praktisch gar keine Einnahmen mehr haben. Bei ihnen geht es um die Existenz. Ich habe das Glück, dass meine Haupteinnahmequelle der Musikunterricht ist. Ich spiele zwar sehr gerne Konzerte und arbeite auch daran, dass ich in Zukunft mehr Konzerte geben kann. Es ist für mich aber nicht das einzige Standbein. In der Corona-Pandemie hat sich das wirklich bewährt, denn ich habe faktisch keine finanziellen Einbußen. Gerade in der Krise ist für mich klar, dass es über Konzerte allein nicht geht. Ich will finanziell abgesichert sein und da ist meine Anstellung als Gitarrenlehrer ideal. Du unterrichtest bei der Kinder- und Jugendeinrichtung «Die Villa», eine in Trägerschaft des SKM unterhaltene «Offene Tür» in Köln-Volkhoven. Diese Einrichtung hat auch eine wichtige Rolle für deine Karriere gespielt.

Die Villa ist eine sogenannte «Offene Tür», also ein Jugendzentrum, wo Jugendliche hingehen können, um ganz unterschiedlichen Aktivitäten nachzugehen. Sie können Kicker oder «Mensch ärger Dich nicht» spielen, zur Hausaufgabenbetreuung gehen oder ein Mittagessen bekommen. Wie kam der Kontakt zwischen der Villa und dir zustande?

2014 war ich mit einem Kumpel und meiner Gitarre in Volkhoven unterwegs und setzte mich vor «Die Villa», um ein wenig zu spielen, ohne dass ich gewusst hätte, dass es sich um einen Ort handelt, an dem auch Musik gemacht wird. Daraufhin kam Gregor Mink, Leiter der Einrichtung, heraus, hörte mir zu und lud mich ein, in der nächsten Woche wiederzukommen, um auf jemanden zu treffen, der professionell Gypsy Swing spielt. So lernte ich José Díaz de León kennen, der im Projekt Zukunftsmusik mein Lehrer wurde. Dazu schrieb Gregor verschiedene Stiftungen an. Zwei Stiftungen – die Engels-Schuster-Stiftung für starke Kinder sowie die Liselotte und Dr. Helmut Müller Stiftung unter dem Dach der Caritas Stiftung des Kölner Erzbistums – haben mich dann auch mit dem Ziel gefördert, mich auf die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Musik und Tanz Köln vorzubereiten. Ich habe dazu intensiv mit Frank Haunschild zusammengearbeitet.

Und das hat ja auch geklappt! Wie lange unterrichtest du schon an der Villa?

Seit circa zwei Jahren unterrichte ich Kinder und Jugendliche von elf bis 16 Jahren. Die Älteren sind also ungefähr in dem Alter, als ich an der Villa aufgeschlagen bin. Anders als meine Schüler war ich damals aber kein Anfänger, sondern spielte bereits Gipsy Swing.

Nicht unbedingt das Repertoire, das Fünfzehnjährige gemeinhin interessiert...

Das stimmt (lacht). Ich bin mit dieser Musik aufgewachsen. Ich stamme aus einer Kölner Sinti-Familie. Mein Vater und mein Onkel spielen Gitarre und als ich zwölfeinhalb Jahre alt war, drückte mir mein Vater eine Gitarre in die Hand. Ich will nicht sagen, dass ich in eine sehr musikalische Familie geboren wurde. Mein Vater hat aber Wert darauf gelegt, dass ich spiele. Und mein Onkel war musikalisch mein großes Vorbild. Später hat mir der Cousin meines Vaters, der sehr gut spielt, die ersten Gypsy-Licks gezeigt. Damals habe ich auch angefangen, mich mit den großen Namen des Gypsy Swings zu beschäftigen – Musiker wie Stochelo Rosenberg oder Biréli Lagrène haben mich damals sehr beeindruckt.Gypsy Swing ist in deiner Familie also identitätsstiftend?Die Musik wurde bei uns zu Hause definitiv gehört. Ich kannte Django Reinhardts vom Namen her und Stücke wie «Minor Swing» bereits im Alter von acht Jahren. Ich hatte die Musik also im Ohr und konnte mich mit ihr identifizieren. Ein wichtiger Schritt war es dann für mich, auf José Díaz de León zu treffen. Als professioneller Musiker brachte José mich theoretisch auf ein völlig anderes Level. Ich wusste vorher gerade einmal, wie die Akkorde hießen, die ich spielte. José zeigte mir, wie man Noten liest und wie Harmonielehre mit all ihren Feinheiten funktioniert.

Dein erstes Konzert hattest du beim Jazzclub in Hürth.

Das Engagement von gemeinnützigen Vereinen wie dem Jazzclub Hürth ist für junge Künstler wie mich von unschätzbarem Wert. Der Kontakt zum Jazzclub kam über José Díaz de León zustande. Zusammen mit ihm und dem chilenischen Akkordeonisten Joaquin Muños Donoso spielte ich mein erstes Konzert 2017 im Jazzkeller, der Spielstätte des Jazzclubs. Inzwischen bin ich schon mehrfach im Jazzkeller aufgetreten. Günter Reiners, der Vorsitzende des Jazzclubs, ist jemand, der das Engagement für junge Künstler großschreibt und weiß, dass Auftritte vor Publikum für junge Künstler zu den wichtigsten Erfahrungen gehören. Ich habe es auch schon einmal an andere Stelle gesagt, Günter kam nach meinem ersten Auftritt zu mir auf die Bühne und sagte: „David, aus dir wird was!“ Das war ein ganz wichtiger Satz für mich, denn es ist für Musiker wichtig, dass Menschen an sie glauben und sie unterstützen. Entsprechend ist der Jazzclub, auch wenn er nicht in meiner Heimatstadt Köln ist, der Club, in dem ich mich bisher am wohlsten gefühlt habe.

Wie geht es musikalisch für dich weiter?

Seit längerer Zeit habe ich nun schon keinen Gypsy Swing mehr gespielt. Das liegt nicht daran, dass ich die Musik nicht mehr gut fände. Aber ich interessiere mich für die moderneren Sachen und fühle mich im Jazzbereich mehr zu Hause. Es ist super, dass ich die Gypsy-Technik kenne und das weiter bedienen kann. Ich werde daran sicher mein Leben lang festhalten, will mich aber erst einmal mit anderen Sachen auseinandersetzen – mit Jazz, Fusion, Funk und vielem mehr. Dazu kommen auch poppige Harmonien und musikalische Einflüsse, die mich sonst umgeben, wenn ich etwa mit Kindern und Jugendlichen im Jugendzentrum «Die Villa» zusammen arbeite. Viele von ihnen singen und beschäftigen sich beispielsweise mit Hip-Hop. Hat das auch etwas von Befreiung?Django Reinhardt hat in den 1930er Jahren sehr modern gespielt und sich nach dem Krieg radikal weiterentwickelt. Wenn man sich etwa sein Stück «Anouman» anhört, merkt man, wie sehr er sich in der Zwischenzeit weiterentwickelt hatte und wie modern sein Stil klang. Damals begann er auch, sich mit Bebop auseinanderzusetzen. Er hätte sich bestimmt in diesem Stil weiterentwickelt. Und das muss auch so sein. Reinhardts Sohn Babik zeigte in den 1980er genau diesen Ansatz, als er sich auf der E-Gitarre mit Fusion und anderen Stilen auseinandergesetzte. Und Reinhardts Urenkel Lévis spielt ungeheuer moderne und spannende Sachen, wird aber auf dem Gypsy-Festival in Samois-sur-Seine deswegen schief angesehen. Ich halte das für falsch, die Zeit steht ja nicht still.

Traditioneller Gypsy Swing ist andererseits bekannt und garantiert für volle Konzerthäuser.

Gypsy Swing ist großartige Musik! Und es ist wichtig, nicht zu vergessen, was Django gemacht hat, weil er eine fantastische Grundlage gelegt hat. Es ist die beste Art anzufangen, um zu verstehen, wie man selbst klingt, wie der perfekte Anschlag, wie die richtige Linie gelingt und wie man Betonung und Phrasierung einsetzt. Man kann sich dann am traditionellen Gpysy Swing messen und all das trainieren. Ich persönlich finde es aber wichtig, mich auf diesem Weg weiterzugehen und nicht einfach immer und immer wieder die x-te Interpretation von Stücken wie «Minor Swing» zum Besten zu geben.

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