Der Jazz wird formatiert
WDR3 Programmreform
TEXT: Stefan Pieper, Bernd Zimmermann |
Laut vertraulicher Informationen, die dem nrwjazz e.V. vorliegen, will der WDR zum 1. April gleich zwanzig (!) freie JournalistInnen kurzfristig vor die Tür setzen, weil ein reformiertes Abendprogramm in der Sendeschiene „Jazz and World“ vermeintlich auch ohne sie auskommt. Diese Aussage hat auch ein alarmierender Textbeitrag des bisherigen WDR-Jazzexperten Michael Rüsenberg, der die radikalen Umgestaltungspläne bei den WDR Jazzprogrammen bestätigt. Kein Aprilscherz: zum 1. April gehören sämtliche Autorensendungen zu jazzrelevanten Themen der Vergangenheit an – stattdessen soll ein Formatradio mit moderierter Playlist einen „ausgehend vom Jazz – genreübergreifenden Musikmix“ erklingen lassen.
Der Westdeutsche Rundfunk ist eine öffentlich-rechtliche Einrichtung, bei der das Wort „öffentlich“ im Moment wie eine Farce erscheint. In Funk und Netz gibt es bislang kein offiziell verlautbartes Sterbenswörtchen darüber. Hat der WDR selbst Angst vor dem, was er seinen Zuhörern und seinen langjährigen MitarbeiterInnen zumutet?
Die aktuelle „Personalie“ beim WDR wirkt in ihrem Hochmut schwer erträglich: Per lapidarer E-Mail, die dem Verein nrwjazz e.V. vorliegt, wurde Ende Februar sämtlichen 20 freiberuflichen AutorInnen mitgeteilt, dass sie ab dem 1. April ihrer Aufgaben als eigenverantwortliche Autoren beim WDR enthoben sind. Nicht zuletzt die Kurzfristigkeit dieser Mitteilung macht fassungslos. Freie Mitarbeiter sind anscheinend auch bei einer Sendeanstalt, die sich demokratischer Ideale und öffentlicher Bildungsaufträge lobt, vogelfrei.
Kern der Reformen ist die Aufkündigung der letzten eigenverantwortlichen Autorensendungen auf WDR 3. Für den Jazz in NRW, sowie für einen „Jazz-Diskurs im Ganzen“ wirkt dies wie der letzte Grabstein in der Aufkündigung einer qualifizierten Hör-Kultur. Was ist Zuhören? Sich bewusst für eine Sendung entscheiden, diese konzentriert anhören oder auch aufnehmen, sich mit dem ästhetischen Urteil eines Autoren identifizieren oder auch nicht – das war einmal! Die freien Autoren der abendfüllenden Sendungen, sind erfahrene Kenner mit großem Wissenshorizont, einem Gespür fürZusammenhänge und neuen Trends, aber auch für das Widerborstige, wodurch Kultur erst lebendig wird. Oft sind jahrelange, gar jahrzehntelange Vertrauensverhältnisse bei den Hörern entstanden: Man fühlte sich kompetent an die Hand genommen, um den eigenen großen Hör-Horizont zu entwickeln. Ebenso sind diese Autorinnen und Autoren hellhörig in der Szene bei Musikern und Veranstaltern unterwegs und machen so die reiche Jazzszene von NRW für das Publikum entdeckbar. Diese Mischung aus Qualifikation und Leidenschaft macht die 20 freien JazzjournalistInnen zu viel mehr als nur „Moderatoren.“ Diese werden laut WDR gerade neu „gecastet“, um im neuen Formatradioeine „kuratierte Playlist“ zu betreuen.
Kulturelle Wirklichkeit und deren qualitativ hochwertige Abbildung ist aber mehr als der gefällige Formatradio-Mix frei nach dem Prinzip: Mal reinhören, nebenbei hören, weghören und wieder abschalten wenn es nervt.
Und wenn, wie vom WDR verlautbart, von einer Ausweitung der „Musikfarbe“ des Jazz auf genre-übergreifende Musik die Rede ist, dürfte damit wohl kaum eine dezidiertere Fokussierung auf progressive, aufregende Randbereiche, in denen sich Jazz beständig erneuern darf, gemeint sein.
Der WDR ist eine öffentlich-rechtliche Anstalt in unserem demokratischen Gemeinwesen und wird durch die Gebühren der Allgemeinheit finanziert. Deswegen müssen sich die Verantwortlichen einige Fragen gefallen lassen:
Wie soll mit dem Imageverlust umgegangen werden, den der kaltschnäuzige Umgang der angesehen Rundfunkanstalt mit seinen verdienten Mitarbeitern unweigerlich bedeutet?
Wie ist der inhaltliche Verlust zu kompensieren, der durch den Wegfall dieser hochqualifizierten, über Jahre bzw. Jahrzehnte erfahrenen Journalistinnen und Journalisten unweigerlich bevorsteht? Ist den Programmdirektoren Qualität egal, weil es hier ja „nur“ um die Kultur geht? Wie verträgt es sich mit demokratischem Verständnis, die aktuellen Veränderungen zur Geheimsache zu erklären?
Was müssen Radiohörer, aber mehr noch Musiker, Konzertveranstalter, Festivals in der Zukunft noch befürchten? Ist schon jetzt Alarmstimmung geboten, wo bereits bei diversen Festivals die Konzertmitschnitte spürbar reduziert werden? Stehen schon andere etablierte und vielleicht auch kostenaufwändige Programmschienen auf der „Abschussliste“? Zum Beispiel zweistündige Konzertübertragungen mit der WDR Bigband etc., wenn künftig nur noch kleinformatige, kurzweilig moderierte „Appetithäppchen“ im Rundfunk gefragt sind? Braucht eine Sendeanstalt vor diesem Hintergrund eigentlich über kurz oder lang noch eine eigene Bigband? Was wird aus dem WDR Jazzfest und -preis?
Von vielen bislang begeisterten WDR-Jazz-Hörerinnen und -hörern möchten wir eins wissen: Wie hört und fühlt es sich an, wenn plötzlich etliche vertraute, kompetente Stimmen in den Jazzprogrammen ohne Vorahnung verstummen?
Die vom Rauswurf betroffenen Autorinnen und Autoren haben sich jahrelang als unverzichtbare Akteure für die Jazzszene in NRW verdient gemacht. Ihnen gilt daher alle Solidarität! Wir können nur an sie appellieren: Solidarisiert euch untereinander und artikuliert euch öffentlich. Ihr werdet gebraucht!
Solidarität gilt ebenso der neuen Jazzredakteurin Tinka Koch, die eine gute Nachfolge für den langjährigen Jazzchef, den Ende des Jahres in Pension gegangenen Bernd Hoffmann darstellt. Tinka Koch engagiert sich schon seit Jahren mit viel Herzblut für die Jazzszene in NRW. Man darf zuversichtlich sein, dass sie auch unter wenig guten neuen Vorgaben ihr Bestes geben wird. Die bevorstehenden strukturellen Veränderungenbei den WDR3-Abendprogrammen kommen bei der prominenten ARD-Anstalt vermutlich von ganz oben und gehen - so wie in jedem anderen Medienkonzern, der sich einer Monopolstellung rühmt von einer – fast unwilligen Pflichtprogrammgestaltung ohne nennenswerte Auswirkungen auf die Einschaltquoten aus.
Der Verein nrwjazz e.V. sieht sich als Sprachrohr der Jazzszene in Nordrhein-Westfalen und will im Einklang mit anderen Medien, also auch dem WDR, die Potenziale einer freien Kultur entdeckbar machen helfen. Bereits 2016 hat der Verein in seiner Studie„jazz we can – zur Situation des Jazz in NRW“ die Wichtigkeit einer Radiopräsenz des Jazz auf attraktiven Programmplätzen und in hochwertigen Formaten herausgestellt. Vor allem zur Begeisterung neuer, jüngerer Hörerschichten sind Veränderungen der Jazzprogramme im WDR zweifellos überfällig. Um diese Musikrichtung aus ihrem viel beschworenen „Nischendasein“ heraus zu lösen, wäre eine zeitliche Flexibilisierung von Jazzprogrammen wünschenswert! Einfach auf mehr Gefälligkeit, mehr Quote, mehr Mix und mehr Masse zu setzen ist aber das Gegenteil davon und kommt einem Totalausverkauf von Qualität gleich – und damit wird Jazz als solcher abgeschafft, denn der ist viel mehr als eine playlistkompatible Musikschublade!