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Das Unangepasste wagen

Die Band "Rose Hip"

Marl, 26.05.2014
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Peter Kücking

Musikalisch hat sich die Band Rose Hip selbstbewusst über Genreschubladen emanzipiert: „Das ist nicht reiner Jazz, auch wenn es Jazzmusiker sind, die das spielen. Das sind Popsongs im Jazz oder Pop am äußersten jazzigen Rand. Mal mehr oder mal weniger“ lautet Christiane Hagedorns Versuch einer Einordnung. Die Sängerin, die in Münster lebt, hat sich Zeit gelassen mit einem eigenen musikalischen Statement: “Nach vielen Jahren Bühnen- u. Musikerfahrung kam eines Tages der erste Song zu mir und ich dachte, den muss ich mir jetzt merken.” Von da ab gab es kein Zurück mehr für die Sängerin Christiane Hagedorn. Herausgekommen ist das erstaunliche Debutalbum der Band „Rose Hip“. „Appetite“ lautet der vielsagende Titel. Und damit konzertiert sie und ihre Band am kommenden Sonntag beim Hildener Jazzfestival.

Es war ein Reifeprozess, der Christiane Hagedorn dazu ermutigt hatte, der Musik in ihrem Kopf immer aufmerksamer zuzuhören. Musikalische Ideen wurden aufgeschrieben, Texte kamen hinzu und alles wurde schließlich arrangiert und aufgenommen.

Im Gespräch betont Christiane Hagedorn, was für eine „gemeinsame Geschichte“ all dem zu Grunde liegt. „Rose Hip“ ist nicht etwa ein Pseudonym der in Münster und Potsdam lebenden Sängerin, sondern steht für eine ganze Band. An diesem Album mitgewirkt haben Alex Morsey (Bass, Sousaphone, Baritonhorn, Gesang), Christian Hammer (Gitarre) Robert Kretzschmar (Saxofone, Flöte, Akkordeon, E-Piano, Orgel), Martin Scholz (Orgel, E-Piano, Cornet, Gesang) und Christian Schoenfeld (Drums, Percussion). Christiane Hagedorn: „Ich könnte das alles nicht alleine. Die bringen so viel rein, wenn sie erstmal los spielen.“

Vor allem der Essener Alex Morsey hat die Fäden gezogen, um alles stimmig zusammen zu bringen. Sein gelassenes Statement in Bezug auf die langjährige Zusammenarbeit: „Ich weiß, was die Kollegen gut spielen können und ich sag einfach: Macht mal. Es findet aber auch eine ständige Auseinandersetzung darüber statt, was für die Songs richtig ist“.

Christiane Hagedorns Gesangsstimme hat Größe: Sie beherrscht dunkle Register und helle Nuancen, ebenso dynamische Gefühlsausbrüche und ganz viel farbenreiche Sinnlichkeit. Die Sprache ist ein Bestandteil der Musik oder auch umgekehrt. Oder, in Christiane Hagedorns eigener Diktion: „Die Sprache IST eine Form von Musik. Und ich kann das auf englisch auf jeden besser als auf deutsch.“

Die Songs des neuen Albums sind vor allem eins: aufrichtig. Die Texte, die sich zu den musikalischen Ideen fügten, wiederspiegeln eine tiefgreifende Innenschau. Da beschreibt der Opener „Lonely“ mit großer Geste das Warten auf eine geliebte Person, die nicht kommt. Man kann ja auch auf der eigenen Party sehr einsam sein. „Solche Erlebnisse waren vor allem in der Studentenzeit prägend“ verrät Christiane Hagedorn augenzwinkernd. Der Song „Stalking You“ stimmt ein fröhliches Reggae-Thema an, dann singt sie leicht selbstironisch vom Zustand des kopflosen Hinterherlaufens hinter einer begehrten Person. „Verliebtheit macht ganz schön unzurechnungsfähig manchmal. Wer das nicht kennt, hat wohl noch nicht wirklich geliebt” bekundet sie. Und so humorvoll dies im Nachhinein betrachtet werden kann, so wenig lustig ist es, wenn man in so etwas drinsteckt.

Der Song „Straight Ahead“ markiert Befreiungsschläge aus emotionalen Verstrickungen. Es ist eine Ballade im Sechsachteltakt, die kraftvoll wirkt, den Blues hat und schließlich in rockigem Crescendo auftrumpft. Wahre Schönheit erwächst aus dem Unangepassten und aus der Gabe, Träume zuzulassen und zu leben. Nur wenige Zeilen, freche Bläserfanfaren, ein funkiger Groove und ein rauchig-erdiger Gesang reichen dem Song „This Girl“, um diese Einsicht auf den Punkt zu bringen. Das Wunder des Frühlings, aber auch dessen morbide Vergänglichkeit ist das Thema einer straight nach vorne losgehenden Rocknummer namens „Die in Spring“. Und vor allem ist da die Ballade „Raining“, die den Schlüssel zu intensiven, manchmal bedrängenden Gefühlszuständen darstellt. Dieser Song war die allererste Schöpfung, der in einer entrückten Urlaubsstimmung vor circa drei Jahren zu Christiane Hagedorn fand.

In der Anfangsphase der Produktion war es vor allem Christianes langjähriger Weggefährte Robert Kretzschmar, der sie stark ermuntert, weiter auf die innere Stimme zu hören: „Ich habe Robert erzählt, dass ich fünf eigene Songs habe und bat ihn, diese zu notieren. Dann hat er sie gespielt und sagte: Ja, das ist so, dass ich denke, das müsstest du weiter machen. Das war die Initialzündung für die Gründung von Rose Hip. Wir waren so vertraut, Robert war mein wichtigstes Gegenüber, ein Wahlverwandter“. Dass diese Platte ein tief berührendes Vermächtnis werden würde, hatte noch niemand geahnt, als Robert Kretzschmar am 17.8.2012 völlig überraschend verstarb. Der Wille zum Weitermachen ist geblieben.

Musikalisch hat sich diese Band selbstbewusst über Genreschubladen emanzipiert: „Das ist nicht reiner Jazz, auch wenn es Jazzmusiker sind, die das spielen. Das sind Popsongs im Jazz oder Pop am äußersten jazzigen Rand. Mal mehr oder mal weniger“ lautet Christiane Hagedorns Versuch einer Einordnung. Dieses Spannungsfeld zwischen der Spontaneität zwischen Jazzimprovisation und den Produktionsverfahren von Pop-Arrangements im Studio macht das Ergebnis so lebendig. Und hat nicht nur bei Christiane Hagedorn einen großen Appetit auf mehr gemacht, auch in der Zukunft. Ihr Fazit: „Die Musik atmet, weil wir alle improvisieren können. Die Arbeit im Studio erlebe ich als eine ganz neue Kunstform. Man leckt Blut, bekommt eine Ahnung, was man noch alles machen kann.“

Jetzt möchten Christiane Hagedorn und ihre Band möglichst viel auftreten, herumkommen. Es ist auch ein gutes Stück Arbeit, an Auftrittsmöglichkeiten zu kommen. Ob sie meine, dass da noch eine bessere Vernetzung von Musikern und Veranstaltungsstätten denkbar wäre? „Oh ja, das käme mir sehr entgegen, sowas brauche ich dringend. Man kann nicht genug Kontakte und Vernetzungsfäden haben.“

CD: Rose Hip: Appetite (Ajazz 2014)

 

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