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Bilder in meinem Kopf

Gespräch mit Britta Shulamit Jacobi über Bojan Vuletic

Köln, 03.04.2015
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Uwe Bräutigam

Die jüdische Schauspielerin Britta Shulamit Jacobi war Sprecherin der konzertanten Lesung „Atemwende und Herzzeit“, bei der Nate Wooley und das Mivos Quartett die Musik von Bojan Vuletic aufführten (siehe unter Reviews). Im Rahmen der Jüdischen Kulturtage im Rheinland fanden vier Aufführungen statt. Ich hatte die Gelegenheit Frau Jacobi In Köln nach den Veranstaltungen zu ihren persönlichen Eindrücken zu befragen.

Wie haben sie die Interaktion der gelesenen Texte mit der Musik von Bojan Vuletic als Sprecherin erlebt?

Mir ist bei den konzertanten Lesungen erst klar geworden wie dicht dieses ganze Manuskript geworden ist. Ich habe gestaunt, wie gut Text und Musik zusammen gekommen sind. Die Musik war mir zwar präsent, während wir die Texte aussuchten, aber wir sind vom Briefwechsel Paul Celan und Ingeborg Bachmann ausgegangen. Dann versuchten wir passende Teilabschnitte zu finden, in die wir die Gedichte eingefügten. Ich war bei jeder Aufführung total begeistert. Die Musik hatte so eine Ausstrahlung. Verbunden mit unseren Texten kamen diese konzertanten Lesungen in einen richtigen Flow.

Bei dieser Musik entstehen Bilder in meinem Kopf, Filmbilder oder Theaterszenen.

Ich tanze auch sehr gerne und habe bei dieser Musik das Gefühl, dass ich als eine Darstellerin auf diese Musik eingehen könnte. So stark empfinde ich diese Musik.

Wie wurden die Texte zusammengestellt?

Das Manuskript entstand aus einer Lesefassung von Suhrkamp. Diese gliederten wir in Teilabschnitte und fügten darin die Gedichte und die Musik ein. Es war unser Konzept, dass die Musik und der Text gleiche Anteile haben sollten. Oft ist es so, dass man Musik zu einer Lesung hinzunimmt. Aufgrund der thematischen Umsetzung war es uns wichtig, dass die Komposition „Atemwende“ vollständig gespielt werden sollte und nicht nur einzelne Stücke daraus.

Um die Dynamik zu erhöhen, haben wir eine immer gleiche Reihenfolge von Briefen, Musik und Gedichten, vermieden. So haben wir beim letzten Stück, sogar den Text in den Anfang der Musik gesprochen. Die Trompete hat an dieser Stelle etwas positiv Elegisches und die Worte strömen dann mit dem Trompetenklang zusammen.

Die Musik von Bojan Vuletic lässt den MusikerInnen Raum für Improvisation, von daher sind nicht alle Konzerte gleich. War das für sie spürbar?

Ja, unbedingt. Jeder Abend hatte etwas ganz Eigenes. Am ersten Abend waren wir alle darauf konzentriert für unseren jeweiligen Bereich das Beste zu geben. Dann haben wir aber sehr schnell gespürt, dass wir auch Impulse an die anderen geben können, die dann übernommen werden. Auch wenn ich als Sprecherin nicht direkt an der Musik beteiligt war, so war dieses Ineinandergreifen von Text und Musik sehr intensiv zu spüren. Nicht nur für mich, auch meinen Kollegen ging es so. Wir Sprecher waren sehr begeistert und das ist nicht immer der Fall. Bei der Aufführung im WDR gab es natürlich noch einmal eine andere Anspannung, weil wir wussten, dass für den Rundfunk aufgezeichnet wird.

Die Musiker sind alle englischsprachig, wie konnten sie auf die deutschen Texte eingehen, gab es einen Austausch?

Es ist so, dass Olivia de Prato, die erste Geige im Mivos Quartett gut Deutsch versteht. Die Musiker haben sich Stichworte notiert, die für sie ganz präsent waren. Dann lief sehr viel über Blickkontakt. Die Musiker untereinander müssen ja auch eine Kommunikation haben, denn sie arbeiten ohne einen Dirigenten. Es funktioniert vieles über einen gemeinsamen Atem. Der Atem in der Musik ganz allgemein, nicht auf die Komposition „Atemwende „ bezogen. Ich habe die Musiker auch mit anderen Stücken erlebt, auf dem “Asphalt Festival“ in Düsseldorf, auch dort war diese Gemeinsamkeit, sie sind in der komplexen Musik ganz aufeinander bezogen.

Bojan Vuletic möchte Grenzen in der Kunst aufheben, in der Musik den Unterschied zwischen Jazz, Klassik und Neuer Musik, aber auch zwischen den Künsten, wie Theater, Musik, Dichtung, Malerei usw. Wie haben sie diese Grenzüberschreitung, die ja auch in dieser konzertanten Lesung steckt, erlebt?

Ich kenne solche Momente auch aus meiner Arbeit als Sprecherin beim WDR, z.B. bei einem Hörspiel. Oder wenn ich ein Voice over einspreche, über eine fremde Sprache, die ich nicht verstehe. Dann ist es auch ein interagieren von Sprache, Melodie, Ton und der Diktion eines Textes.

Der Dramaturg, die Regisseurin, Herr Vuletic als Komponist und ich haben im Vorfeld der Produktion viel miteinander diskutiert. Wir haben viel über Paul Celan und über seine Beziehung zu Ingeborg Bachmann gesprochen. Wir haben uns über alles miteinander verständigt. Herr Vuletic hatte z.B. die Idee, es müsse nicht soviel Text sein, es reiche nur ein Satz. Mit einer prägnanten Aussage könne die Interaktion zur Musik hergestellt werden. Wir konnten ihn dann davon überzeugen, dass es auch schön sein kann, wenn es mehrere Sätze sind. Am Ende hat er es auch für gut befunden. Es gab intensive Gespräche und dabei auch echte Begegnung. Standpunkte wurden neu überprüft und verändert.

Hatte dieses Projekt für sie als Jüdin eine besondere Bedeutung?

Auf jeden Fall. Paul Celan ist mir als Künstler, als Literat nahe und besonders auch als jüdischer Dichter. Er hat Themen aufgegriffen und in eine künstlerische Form gebracht, die für alle Generationen präsent und wichtig sind und auch immer wichtig bleiben müssen. Da gilt das Wort: Erinnern, um nicht zu vergessen. Für die kommenden Generationen, bei denen die unmittelbare Erfahrung fehlt, braucht es Formen des Erinnerns, die über die üblichen hinausgehen, wie Kranzniederlegung oder Rede. Ich glaube, dass Celan mit seiner Sprache zeitlos ist. Ich habe in das Programm Daniel Anderssons „Paul Celans Todesfuge 2014“ aufgenommen. Hier wird die Todesfuge aufgegriffen und weitergeführt. Paul Celan ist in der jüdischen Welt gegenwärtig, vor allem in der intellektuellen Welt. Auf den Lesungen kamen immer wieder ältere Menschen zu uns und sagten uns, wie berührt sie seien. In Bonn erzählte mir ein Mann, dass er an der Bonner Uni studiert habe und dass sie damals Paul Celan eingeladen haben. Das hat mich sehr berührt, dass Paul Celan, in unmittelbarer Nähe zugegen war. Als Schauspielerin und Sprecherin ist es mir ein Anliegen jüdische Themen aufzugreifen, für Juden, aber auch für Nichtjuden, um eine Begegnung zu gestalten. Über Begegnung kann ein gegenseitiges Verständnis entstehen. Es soll ein Interesse und Verständnis für die andere Kultur geweckt werden.

Neben der „Atemwende“ haben sie im Rahmen der jüdischen Kulturtage auch noch eine Regiearbeit ausgeführt. Sie haben die „Scherben“ von Arthur Miller inszeniert. Können sie

etwas darüber erzählen?

Dieses Projekt ist sehr interessant geworden. Wir haben mit vier Schauspielern sechs Rollen besetzt. Die „Scherben“ von Miller haben dreieinhalb Stunden Text und wir haben sehr viel gekürzt und sind dann auf eine Stunde und zwanzig Minuten gekommen. Es hat sich als sehr fruchtbar herausgestellt, eine Geschichte konkret und prägnant darzustellen. Wir haben das mit den Schauspielern zusammen erarbeitet. Auch der Theaterleiter des Kölner Theaters Tiefrot gab sich mit ein. Sowohl bei der Schriftfassung als auch bei Fragen der Inszenierung. Ich bin ja von Hause aus Schauspielerin und keine Regisseurin. Aber ich habe mich an die Aufgabe heran gewagt.

Das Feedback der Zuschauer zeigte, dass es eine lebendige Erzählung geworden ist, mit interessanten jüdischen Charakteren. Einer der Schauspieler sagte mir, dass Miller die Personen so gut gezeichnet habe, dass man an Hand seiner Texte zu einem interessanten Rollenprofil komme, ohne selbst viele Angebote machen zu müssen. Es stimmt, dass Miller in diesem Stück, eines seiner letzten, seine ganze Lebensweisheit und seine Einsichten in das jüdische Leben eingebracht hat. Das gibt dem Publikum die Möglichkeit sich damit zu beschäftigen.

Zum Abschluss ein kurzes Wort zu den Jüdischen Kulturtagen.

Jüdische Kulturtage sind wichtig als Ort der Begegnung. Für die jüdischen Künstler ist es auch eine Suche. Nicht nur nach neuen Themen, sondern nach dem was gesagt werden muss, oder was gesagt werden will.

Der WDR sendet „Atemwende und Herzzeit“ am 31.3.15 um 20.05 Uhr und 30 Tage nach der Sendung kann die Aufführung im WDR 3 Konzertplayer gehört werden

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