Aterballetto & Johan Inger
Keith Jarretts Köln Concert kehrt in die Oper Köln zurück
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Nadir Bonazzi
Solokonzert von Keith Jarrett 1975 in der Oper Köln
Am 24. Januar 1975 spielte der 29 jährige Keith Jarrett ein Solokonzert in der Oper Köln. Dieses Konzert ist unter dem Titel The Köln Concert zu einem Meilenstein des modernen Jazz geworden. Über 3 ½ Millionen verkaufter Schallplatten und CDs machen das Konzert zum meistverkauften Werk Jarretts, zur meistverkauften Jazz Soloplatte und zur meistverkauften Klavier Soloplatte. Keith Jarrett wird mit The Köln Concert so stark identifiziert, das er in einem Spiegelinterview 1992 vorschlug, alle Exemplare der Platte einzustampfen, damit die Hörer nicht an Vergangenem hängenbleiben.
Die Platten wurden nicht eingestampft, das Köln Concert erlebte stattdessen viele weitere Neuauflagen. Und nun hat der schwedische Choreograph Johan Inger zur Musik aus dem Köln Concert die Choreographie Bliss entwickelt, mit der er im letzten Jahr den Danza & Danza Award in Italien gewann.
Das Aterballetto bringt das Köln Concert zurück in die Oper Köln
Als bekannt wurde, dass die Kompanie Aterballetto aus Reggio Emilia, das Aushängeschild des modernen Tanzes in Italien, mit Bliss in Deutschland touren wollte, stand für die Oper Köln fest, das Stück muss unbedingt nach Köln kommen. Ein Homecoming des Köln Concert an seine Geburtsstätte.
Johan Inger und das Aterballetto haben in der Vergangenheit schon öfter zusammengearbeitet. Nun wollte Inger einen ganzen Abend für das Aterballetto gestalten. So verband Johan Inger, sein Werk Raindogs von 2013 zu Songs von Tom Waits mit dem Stück Bliss.. Als Übergang von Raindogs zu Bliss entwickelte Inger das kurze Solotanzstück Birdland, zu dem gleichnamigen Song von Patti Smith aus ihrem legendären Debütalbum Horses.
Diese Gesamtproduktion nannte Inger Golden Days. Er sagt dazu: „Während wir älter werden, blicken wir oft auf unseren Lebensweg zurück. Ich selbst tue dies mit einem Lächeln und sehe eine Zeit, die strahlend und sorglos war. Das waren die goldenen Zeiten.“
Am 4. und 5. November tanzten die 16 Tänzer*innen des Aterballettos Golden Days in Köln.
Golden Days in Köln
Die Stimme von Tom Waits erklingt mit jazziger, bluesiger Rockmusik, Nebel wallt über die leere Bühne, alles ist in schwarz, bis auf eine Collage aus Lautsprechern und Radios im Hintergrund. Die Tänzer*innen sind in leichter Sommerkleidung. Ein Mann trägt ein Kofferradio über die Bühne, die anderen Tänzer*innen sind in einer Chorusline. Vier Männer, vier Frauen, die Formation wird gebrochen, immer jede*r Zweite tanzt aus der Reihe. Leichte weiche Bewegungen kontrastieren zur rauen Stimme von Tom Waits. Raindogs. Ein Hund verlässt sein Revier, Regen setzt ein, die Spuren verwaschen, der Hund findet nicht mehr zurück. Menschen suchen ihren Weg. Raindogs
Immer neue Paarkonstellationen entstehen und zeigen Zuwendung, Abneigung, Werbung um Partner, Ablehnung, Hinwendung oder Wechsel der Partner*innen. Geschmeidige Übergänge, eine Figur geht in die nächste über. Menschliches Mit- und Gegeneinander in allen möglichen Schattierungen. Die Betonung liegt hier auf Bewegung und Veränderung als Lauf der Dinge und nicht auf Konflikt und Krise.
Der Tom Waits Song The Piano has been drinking (not me) ist ein Heimspiel in Köln. Gerd Köster hat diesen Song ins Kölsche übersetzt: Dat Klavier dat hät jesoffe.
Die Rollenmuster der Paare münden nun in ein Crossdressing. Nach und nach kommen die Männer in Frauenkleidern und die Frauen in Männerkleidung auf die Bühne und stellen so das Geschlechterverhalten in Frage und auf den Kopf.
Es folgt der Solotanz Birdland nach dem Song von Patti Smith. Die Tänzerin tanzt während die Bühnenarbeiter, den Boden reinigen und mit Folie einen neuen Belag in weißer Farbe aufkleben. Immer wieder stellt die Tänzerin sich den Arbeitern in den Weg. Inger will damit die Rebellion gegen Veränderung ausdrücken. Am Ende tragen die Arbeiter die zappelnde Tänzerin heraus.
Jetzt erklingt Keith Jarretts Köln Concert. Der Raum ist hell erleuchtet, der Boden weiß. Bliss (Glückseligkeit). Heiter und leicht, auch die Männer haben nun ihren weißen Hemden gegen bunte getauscht. Fließende Bewegungen, Gruppen, Paare, vierer Gruppen, immer neue Bilder, die Frühlingsassoziationen heraufbeschwören. Und wenn Hanna Köller von der Oper Köln in ihrer Einführung einen heiteren Tanzabend an einem grauen Novembertag versprach, so hat sie nicht zuviel versprochen. Johan Inger hat die Musik von Keith Jarrett in fließende und weiche Körperbewegungen übersetzt und das Aterballetto führte die Choreographie mit großer Leichtigkeit aus. Wenn das Tempo der Musik anzieht, wird die Dynamik der Bewegungen erhöht, es wird viel gelaufen, alles bei gleichbleibender Leichtigkeit.
Traumhafte Paarszenen entstehen, auf dem weißen Bühnenboden erinnern sie an Eiskunstlauf. Aus dem Paartanz entsteht eine Dreiergruppe, dann füllt sich die Bühne langsam. Die hinzukommenden Tänzer*innen tanzen erst allein auf Spitze, leicht groteske Bewegungen und fügen sich dann in die Gruppe ein. Eine wunderbare Synthese aus Musik und Bewegung, die mit großer Einfachheit leichtfüssig daherkommt und doch voller komplexer und kreativer Momente steckt.
Mit dem Tanzstück Bliss wird auch noch einmal sehr deutlich, wie tänzerisch die Musik einzelner Passagen des Köln Concert ist. Golden Days ist nicht nur ein herausragender Tanzabend, sondern das Publikum erlebt auch die Musik von Tom Waits, Patti Smith und Keith Jarrett besonders intensiv. Dem Stück Golden Days und den großartigen Tänzer*innen des Aterballetto wird stürmischer Beifall gespendet.
Achtzehnjährige veranstaltet Keith Jarrett Konzert in der Oper Köln
Den wenigsten Höer*innen des Köln Concerts ist klar, dass dieses Live Konzert 1975 in der Oper Köln unter Bedingungen gespielt wurde, die ein normales Konzert nahezu unmöglich machen.
Keith Jarrett hatte am Abend zuvor in der Schweiz gespielt und hatte deshalb ein Flugticket für den Weg nach Köln gefordert. Dieses Ticket benutzte er aber nicht, sondern tauschte es gegen Geld ein. Stattdessen fuhr er mit Manfred Eicher von ECM im kleinen R4 von Zürich nach Köln und kam entsprechend erschöpft in der Oper an.
Die Bühnenarbeiter fanden den geforderten Bösendorfer Imperial Konzertflügel nicht und stellten Jarrett einen Bösendorfer Stutzflügel auf die Bühne, dessen Tasten in den oberen und unteren Oktaven klemmten, bzw. nicht spielbar waren, außerdem funktionierte die Pedale nicht richtig. Als Jarrett beim Soundcheck den Flügel sah, wollte er das Konzert nicht spielen.
Trotz guter Arbeit des Klavierstimmers blieb der Flügel in einem eigentlich unspielbaren Zustand. Nur auf die dringliche Bitte der damals 18 jährigen Veranstalterin Vera Brandes, die zu der Zeit noch Schülerin war, erklärte Keith Jarrett sich bereit das Konzert in der ausverkauften Oper Köln vor nahezu 14000 Zuhörer*innen zu spielen. “I play only für you.“
Vera Brandes hat ihre ersten Konzerte schon als 15 jährige organisiert. In der Oper veranstaltete sie 1974/75 die Konzertreihe Jazz in der Oper, deren fünftes Konzert Keith Jarrett Solo war.
Das Klavierspiel war für Keith Jarrett, unter diesen Bedingungen, echte Schwerarbeit.
Das Solokonzert war reine Improvisation. Jarrett war es wichtig aus dem Moment, aus der Situation zu spielen. Wenn für ihn die ersten vier Noten stimmten, dann wusste er, dass ihm ein Konzert gelingen würde. Der Beginn des Köln Concert ist eine Verarbeitung des Pausengongs der Oper Köln. Ein humorvolle Idee, die das Publikum zum Lachen brachte.
Im weiteren Verlauf des Konzerts entstand dann eine sehr dichte Atmosphäre mit einer hohen Konzentration. Keith Jarrett wollte unter diesen schlechten Bedingungen keine Tonaufnahme. Die Techniker konnten ihn davon überzeugen, dass das Konzert zum internen Gebrauch aufgenommen wurde.
Der Rest ist Jazzgeschichte und befindet sich in Millionen Plattenschränken.