“Ich mag die Diversität“
Interview mit Nils Petter Molvaer
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Uwe Bräutigam
Nils Petter Molvaer war auf dem Punkt Festival Artist in Residence. Uwe Bräutigam hat mit ihm über das Festival, den Trompeter John Hassel, das Album Khmer und die Zusammenarbeit mit Musiker*innen verschiedener Genres gesprochen
Hallo Nils, du bist Musiker in Residence auf dem diesjährigen 20. PUNKT Festival hier in Kristiansand. Wir haben das große Vergnügen, dich jeden Abend hier zu hören. Was ist für dich das Besondere am PUNKT Festival ?
Ich denke, es gibt viel Besonderes. Erstens ist es sehr intim, es ist nicht so groß aufgezogen, es ist sehr fokussiert auf die Musik. Und diese Mischung aus Elektroakustik und improvisierter Musik ist sehr speziell. Zweitens sind es meine Freunde. Und auch diese Live-Remixes. Ich glaube, niemand hat das bisher gemacht. Man sitzt da und bekommt ein paar Soundfiles. So wie ich es heute mit Sohail Shayesteh machen werde. Und das Punkt Festival ist nicht sehr kommerziell. Der Fokus liegt ganz auf der Musik. Es geht nicht darum, einen großen Star zu haben. Ich mag das. Und dann mag ich auch Musik hier zu spielen.
Ich habe das Memorial-Konzert für John Hassel in Oslo [23.3.22] gehört. Und du hast dort auch gespielt. In welcher Art und Weise ist John Hassel eine Inspiration für dich?
Als ich ihn zum ersten Mal hörte, es war in den 70ern oder 80ern.Ich habe in einer Band gespielt und war mehr im Jazz. Aber ich war ein bisschen müde von diesem Düdeldüdeldü im Jazz. Ich hatte das Gefühl, das war nicht ich. Und dann habe ich viele andere Instrumente gehört. Wie die Nay Flöte, die Duduk, die Qawal und auch die Shakuhachi-Flöte. Und ich mochte den Sound sehr. Und dann habe ich mich gefragt, wie ich mein Instrument benutzen kann, um diese Qualitäten zu bekommen. Dann habe ich John Hassel gehört. Und er hatte es definitiv geschafft. Er hatte einen Lehrer aus Indien. Er spielt meistens Ragas. Das hat Don Cherry mir mal gesagt. Aber bei Jon Hassel ging es um die Stille und den Sound der Instrumente. Und wie er die Instrumente benutzte, was wirklich niemand anderes so tat. Für mich war das eine große Inspiration neben vielen weiteren Dingen. Aber er war definitiv wichtig Es ist so, dass jeder von jemandem inspiriert wird. Es ist nicht so, dass man etwas komplett Neues macht. Es kommt immer von irgendwo. Und dann kann man daraus etwas Neues entwickeln. Aber etwas komplett Neues, das existiert in meinem Leben nicht.
Ich glaube, John Hassel hat auch einiges von Miles Davis.
Absolut. Natürlich hat er seine eigene Stimme entwickelt über die Jahre. Aber er war sehr in der Musik von Miles. Und er war auch inspiriert von Musik aus dem Nahen Osten und aus Asien. Er spielte auch afrikanische Musik. Er war sehr interessiert. Und auch ein bisschen zeitgenössische Musik spielte mit hinein. Ich habe ihn ein paar Mal getroffen, bevor er gestorben ist. Er war eine Persönlichkeit. Das kann man sagen.
Ich habe von dir viele tolle Konzerte gehört. Aber eines war besonders beeindruckend. Es war Open Air in Schweden. Du hast frühmorgens gespielt, in den Sonnenaufgang, bei Ales Stenar, einer Wikinger Steinsetzung an der Küste nahe Ystad.
Das war ein Solo-Konzert.
Genau. Ist die Natur für dich eine sehr wichtige Quelle der Inspiration?
Ja, natürlich, aber ich versuche nicht, wie die Natur zu klingen. Natürlich ist die Natur eine Inspiration. Sie sollte für jeden eine Inspiration sein. Man sollte sie bewundern, und sie nicht umbringen, sie nicht zerstören. Wie wir es heute in hoher Geschwindigkeit machen. Ich mag es auch da draußen zu spielen. Ich erinnere mich daran. Es war am Morgen viel Wind. Wir mussten Glaswände aufbauen für das Mikrofon. Ich habe das einige Male gemacht. Ich habe es auch zweimal in Norwegen gemacht. Einmal habe ich es auf dem Molde Jazz Festival gemacht. Das war ein Duo. Ich mag es, verschiedene Dinge zu machen. Wie gestern, sehr interaktiv mit Alva Noto (Carsten Nikolai), der ein unglaublicher Klangkünstler ist. Und dann spiele ich manchmal Solo oder dann mit einer größeren Band, wie bei Khmer. Oder auch mit meinem Quartett oder Trio. Also, ich mag die Diversität, ja.
Du hast das Stichwort Khmer genannt. Ein Album das 1998 herauskam und du spielst es am Samstag hier auf dem Festival. Was waren die Ideen hinter diesem Album, als du es gemacht hast?
Nun, ich spielte in dieser Jazzband. Und dann spielte ich mit vielen Musiker*innen während dieser Zeit, als das begann, habe ich viel mit der wunderbaren Sängerin Sidsel Endresen gespielt. Ich habe auch mit einer Rockband gespielt, mit einer Sängerin, die auch wunderbar ist, Anne Grete Preus. Und dann habe ich Projekte gemacht in England mit Django Bates. Ja, viele Dinge. Und dann dachte ich, ich sollte vielleicht ein Album machen mit all den Dingen, die ich höre. Ich bin immer neugierig, neue Dinge zu hören. Björk kam raus und Massive Attack. Und diese andere wunderschöne Band aus England, mit einer Sängerin, [Portishead]. Es waren all diese langsamen Dinge. Ich war auch in Oslo oft draußen in Clubs zusammen mit Bugge Wesseltoft. Ich dachte, ich möchte etwas machen, um all diese Dinge zu etwas Organischem zu verbinden. Das war meine Idee. Und dann habe ich lange daran gearbeitet. Ich arbeitete zwischen Sessions mit einem norwegischen Soundingenieur, weil ich nicht so viel Geld hatte. Und dann war es fertig und Manfred Eicher [von ECM] wollte es herausbringen. Ich dachte, wenn ich ein paar Tausend verkaufe, bin ich wirklich glücklich. Und dann hat es durchgeschlagen [Das Album Khmer wurde bisher über 250 000 mal verkauft]. Ich war sehr glücklich. Es hat die Welt für mich geöffnet. Plötzlich sind wir dabei und haben überall gespielt. Es war eine gute Sache. Es ist wirklich eine Mischung aus dieser Trip-Hop-Zeit und vielleicht Jazz. Ja, Improvisation, grundsätzlich. Ich denke, Improvisation existierte wahrscheinlich schon 30.000 Jahre zuvor im Jazz. Dass die Leute improvisierten und das sie Geräusche und Musik gemacht haben. Ja, es geht mehr um Interaktion mit Klängen und anderen Musiker*innen. Das ist eine sehr wichtige Sache. So habe ich auch Alva Noto getroffen. Ich habe ein Projekt namens Be Quiet, wo ich mit vielen verschiedenen Künstler*innen aus sehr unterschiedlichen Genres spiele und etwas zusammen mit ihnen gemacht habe. Mit Anja Lechner aus München, mit der wunderbaren Miki Yui, sie lebt in Düsseldorf. Sie ist eine unglaublich nette Frau und eine sehr gute Musikerin und Künstlerin. Sie arbeitet mit Elektronik. Und dann mit John Paul Jones [Ex Bassist von Led Zeppelin] aus England und Imogen Heap und mit Sohail Shayesteh mit dem ich heute spielen werde. Er war der Erste mit dem ich zusammengearbeitet habe. Also einfach ein Treffen und gemeinsam Musik machen. Ich habe mit Marilyn Mazur und Vladislav Delay gespielt. Ich spiele noch mit einem Guzeng-Spieler aus China und einem Koto-Spieler aus Japan. Wir werden sehen, wie viel Zeit ich habe und wie viel Geld ich habe. Ich mag diese Art Musik, das Kommunizieren zwischen Genres. Man kann mit einem Mann spielen, der nur Swahili spricht und kann wunderschöne Dinge zusammen erstellen. Aber man kann nicht zusammen sprechen. Ich denke, das sind die Kraft und die Schönheit von Musik. In vielen Fällen geht sie über Sprache hinaus.
Das ist ein guter Schlusspunkt. Danke, Nils. Ich freue mich auf deine zwei Konzerte, heute Abend und morgen auf Khmer. Alles Gute für dich. Danke, dass du dir Zeit genommen hast.
Es war mir ein Vergnügen. Bis später.