35 Jahre Leo Records
Im Gespräch mit Leo Feigin
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Einst entdeckte der gebürtige Russe Leo Feigin den Jazz über Voice of America. Später emigrierte er nach Großbritannien und bekam dort Gelegenheit für die BBC russischsprachige Jazzsendungen zu produzieren. Und dann schließlich folgte vor nunmehr genau 35 Jahren die Gründung seines Labels „Leo Records“. Über 800 Titel vertreibt Leo Records heute. Künstler wie Sun Ra, Anthony Braxton, Ivo Perelman, Simon Nabatav oder Marylin Crispell und zahllose andere haben für den heute im britischen Devon lebenden Musikidealisten produziert. Zugleich eröffnen immer neue Namen aufregende Hörabenteuer jenseits aller Kategorisierungen. Der freie Jazz, für den Leo Records eine Lanze bricht, vereint Kompromisslosigkeit und Herzblut als Normalzustand. Denn was immer auch für dieses Label entsteht und eingespielt wird – es geht um den „forschenden Geist“ und das „leidenschaftliche Herz“. Und davon strahlt er so viel aus im Gespräch!
Was ist bei Deinem Label anders als bei vielen anderen?
Vor allem ist mir die persönliche Beziehung zu den Musikern wichtig. Ich lade erstmal alle zu mir nach Hause ein, dass sie mich kennen lernen und meine Familie, wie ich lebe. Das ist fast schon ein Ritual, aus dem oft eine Verbindung fürs Leben entsteht.
Auch nachdem Du Russland verlassen hast, hast du das Publikum dort nicht im Stich gelassen!
Ich hatte das Glück, bei der BBC unterzukommen und machte dort ein spezielles Radioprogramm für Russland über Kurzwelle. Ich wollte die Leute mit Musik versorgen, die sie sonst nicht kaufen und hören konnte. Das Programm wurde sehr populär innerhalb der Intelligenz und bekam Kultstatus.
Und aus diesem Geist heraus, hast du später ein Label gegründet?
Ja, es gab einige Aufnahmen, von denen ich so begeistert war, dass ich sie unbedingt rausbringen wollte. Um jeden Preis. Die ersten zehn Jahre waren dann erst mal eine Zeit der Verluste, vor allem beim Geld.
Was hat dir Kraft zum Weitermachen gegeben?
Ich bringe es mal mit dem Wort Integrität auf den Punkt. Oder Originalität. Ich produziere Musik, die du nirgendwo anders bekommst. Bei mir wird nichts reproduziert. Die Kombination aus Intellekt und Herz muss einfach stimmen.
Wo steht Leo Records heute?
Das Label ist so groß geworden, dass ich es selbst manchmal kaum glauben mag. Leo Records besteht aus mehreren Unterlabeln mittlerweile. Hervorzuheben ist, dass ich bei den Musikern keine Exklusivität beanspruche. Ich binde niemanden per Vertrag an mich. Nennen wir es ein Gentlemen Agreement. Aber die Musiker die zu mir kommen, bleiben bei mir normalerweise. Zum Beispiel Anthony Braxton hat bereits 30 CDS mit mir produziert. UndGebhard Ullmann mittlerweile auch schon 10 Titel und Marilyn Crispell sogar 12 Cds. Ich verbiete niemanden, auch noch für jemand anders zu produzieren. Da ist jeder ganz frei.
Was gibt’s du den Künstlern, was sie von anderen Labeln nicht bekommen?
Das kann ich mit einem einfachen Wort umschreiben: Respekt! Ich will, dass sich die Künstler frei fühlen bei mir. Ich bekomme jeden Tag eine oder zwei Aufnahmen zugeschickt. Ich muss manchmal auch nein sagen und trotzdem respektvoll bleiben dabei. Das ist die große Kunst eines Produzenten.
Das ist vermutlich nicht bei allen Labels so, oder?
Viele Musiker hassen es, wie sie von anderen, etablierten Labels behandelt werden. Aber sie fühlen sich gezwungen dort aufzunehmen, weil viel Geld fließt. Viele kommen schließlich zu mir und bleiben dort, weil sie sich freier fühlen. Zum Beispiel aktuell der Pianist Simon Nabatov.
Was ist das Kriterium, um wirklich gut genug für dich zu sein?
Originalität. Es ist völlig egal, wo die Musik herkommt. Niemand sonst soll die Musik spielen können. Denke an Wynton Marsalis: Was er macht, ist so alt. Aber er bekommt das ganze Geld für alte, rückständige Musik. Und dann sind da auf der anderen Seite die vielen jungen hungrigen Typen, die einfach spielen mit ganz viel Originalität und Leidenschaft.
Aber warum bekommt dann ein Wynton Marsalis das ganze Geld?
Weil das Publikum immer etwas hinter der Zeit zurück ist. Leider. Es gibt nur einen kleinen Prozentsatz, der wirklich für echte Originalität empfänglich ist.
Was sind deine Zukunftspläne?
Das ist eine gute Frage. Im Moment bin ich 76(?) Jahre alt und es ist zu spät, etwas neues anzufangen. Das einzige was ich kann und worüber ich Bescheid weiß, ist CDs zu produzieren. Der Wettbewerb und die Konkurrenz heutzutage sind unglaublich. Heute gibt es eine riesige Armee von fantastischen Musikern. Zugleich ist es immer schwieriger, CDs zu verkaufen. Downloads von Musik ersetzen meiner Meinung nach niemals den physischen Tonträger. Vor allem nicht für die Musiker. Sie wollen ihre Arbeit auf einer CD. Das ist wie ein Pass oder eine Visitenkarte. Und es muss ein Label dahinter stecken - dann hat es einfach viel mehr Autorität und erreicht mehr Hörer!
Damit die vielen musikalischen Kostbarkeiten von Leo Records aus ihrem Nischendasein etwas herauskommen, versorgt künftig Jürgen Czisch vom NRW-Vertrieb die hiesigen Plattensammler und Musikenthusiasten. Was erhoffst du dir durch diese Kooperation?
Dadurch findet hoffentlich noch viel mehr unglaubliche Musik neues Publikum Hörer. Ich möchte noch einmal Jürgen Czisch vom NRW-Vertrieb danken, dass er diesen neuen Aufbruch ermöglicht hat.