Bild für Beitrag: #30 „Univers-Solitude“ Philippe Mouratoglou |Gespräch über Gitarren
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#30 „Univers-Solitude“ Philippe Mouratoglou

Gespräch über Gitarren

Köln, 21.12.2018
TEXT: Karl Lippegaus | 

"Perhaps swimming was dancing in the water, he thought." (Jim Harrison)

Sein momentanes Lieblingsinstrument? „Eine klassische Gitarre von Dominique Field, Baujahr 2013. Mit der verbringe ich die meiste Zeit. Sie klang am Anfang nicht so gut wie jetzt. Ob es meine bevorzugte ist weiß ich nicht, schwer zu sagen.“ Ein Gespräch über Gitarren mit Philippe Mouratoglou in Straßburg, während neben uns mitten im Raum Fleisch und Fische gegrillt werden, Pommes frites und eine fast überirdische Selleriecrème, die wir mit einem Vaugères begießen.

„Die Idee für das Album kam, als ich an meinem Soloalbum "Exercises d'évasion" arbeitete. Beim Improvisieren fielen mir viele Dinge ein, die aber nicht zusammenpaßten. Ich brauchte eine Gruppe, um ihnen auf den Grund zu gehen. Schon lange wünschte ich mir ein Trio, jetzt schwebte mir auch eine Musik dafür vor.

Die Umsetzung hat aus zwei Gründen viel Zeit erfordert, einmal weil ich langsam Noten schreibe; und anderen fand ich keinen Schlagzeuger.

Ich wusste, dass ich wieder mit dem Bassisten Bruno Chevillon arbeiten wollte, wir hatten schon einiges zusammen realisiert. Doch während ich immer noch keinen Drummer hatte, blieb die Idee eines Trios erstmal im Standby-Modus.

Das Problem löste sich, als ich Ramon Lopéz erlebte. Es war, als wir mit Jean-Marc Foltz das Album "Legends of the Fall" aufnahmen. Ramon kam nur für einen Morgen, um ein paar Dinge mit uns zu improvisieren; es war ein sehr kurzes Treffen, aber ich wußte gleich: der wird es sein. So entstand das Trio.“

Le luthier – im französischen Wort für Instrumentenbauer steckt noch immer die Vorfahrin der Gitarre: die Laute, la luth.

„Klassische Gitarren haben ein kürzeres Leben als Violinen und sind zerbrechlicher, warum weiß ich nicht so genau. Selten spielt man auf Gitarren, die älter als 40-50 Jahre sind, allerdings werden sie mit der Zeit besser. Meine Gitarre von 2013 klingt heute besser als zur Bauzeit und wird noch wachsen. Aber diese Instrumente haben gewissermaßen eine Decke, ab der geht es abwärts mit ihnen. Das ist schwer zu erklären, es hängt mit der Zerbrechlichkeit zusammen.

Ich schreibe viel. Ich arbeite langsam. Aber ich werfe auch viel weg. - 24:22

Im Komponieren bin ich 100% Autodidakt. Ich schreibe mit der Gitarre in der Hand, nicht am Schreibtisch, ich könnte das gar nicht. Ich probiere unkonventionelle Dinge aus, ich notiere mir eine Idee und entwickle sie weiter. Aber dann ergibt sich oft sehr viel und dann redigiere ich.“

Auf seinen Alben findet sich Lautenmusik von Francesco da Milano aus dem 16. Jahrhundert. Gefolgt von einer viertelstündigen Improvisation über Jimmy Rowles' "The Peacocks" aus der unvergeßlichen Stan Getz-Platte mit Elvin Jones. Brasilianische Kompositionen von Egberto Gismonti, kubanische von Leo Brouwer und eine zeitgenössische "Perkussive Studie" Arthur Kampelas. All dies verknüpft der französische Gitarrist Philippe Mouratoglou, ein Meister der open tunings (offenen Stimmungen) zu einem fesselnden Solovertrag, zu hören auf seinem Album "Exercises d'Evasion" (Fluchtübungen) und 2018 mit seiner ersten, hervorragend gelungenen CD im Trioformat, „Univers-Solitude“.

„Im Juli und August spiele ich viel im Südwesten Frankreichs und in Spanien aus dem einfachen Grund, weil dort mein Agent lebt, es gibt also viele Kontakte. In dieser Zeit bin ich viel solo oder im Duo mit einer Sängerin, Ariane Wohlhuter, einer Sopranistin, unterwegs, auch mit Orchestern, in vielen Formationen.“

Der 1973 in Paris geborene Philippe Mouratoglou hat von Jim Hall bis zu Allan Holdsworth vielen Gitarristen genau zugehört, die kreativen Prozesse klug nutzend, auf die pure Intuition vertrauend. Viel angelerntes Wissen im passenden Moment fallen lassen gehört mit zur Gratwanderung zwischen Komposition und Improvisation. "Ich verliere gerne meine Orientierung, um auf neue Ideen zu kommen."

Mit zwei Freunden, einem Grafiker (Philippe Ghielmetti) und einem Klarinettisten (Jean-Marc Foltz) gründete Mouratoglou das Plattenlabel Vision Fugitive, das auf hohe Qualität setzt. Jede Veröffentlichung ist ein Gesamtkunstwerk, das eher unscheinbar daherkommt: keine Namen, nichts auf der Außenhülle, nur Farben und Formen. Vor allem sein Duoalbum mit dem Flamenco-Gitarristen Pedro Soler ist nicht nur musikalisch, sondern auch optisch ein Erlebnis, mit vielen historischen Fotos öffnen sich versunkene Gitarrenwelten.

Seit über zehn Jahren kooperieren Foltz und Mouratoglou zusammen, was von John Dowland bis zu Pascal Dusapin, von Robert Johnson, der Blues-Legende, bis zu den britischen Cocteau Twins gehen kann. Beide verbindet auch die Liebe zur Literatur Jim Harrison. Dem Urgetüm aus Michigan in der Nachfolge Hemingways ist die CD „Legends of the Fall“ gewidmet. In die Anden führt ihr Album „Viracochas“,wo auch die dritte aktuelle CD „Nowaten“, eine Arbeit über Shamanismus, angesiedelt ist.

Mouratoglou erklärt, er habe mehrere Gruppen. „Die jüngste ist ein Trio mit dem Bassisten Bruno Chevillon und dem Perkussionisten Ramon Lopéz. Und ein Improvisations-Duo mit dem Klarinettisten Jean-Marc Foltz.“ Chevillon und Lopéz inspirierten Mouratoglou zu „Univers-Solitude“.

„You have the idea you can actually hear color, and between hearingand smell you construct a world that is further decorated by tasting and touching the night air." (Jim Harrison)

Die Open tunings sind für Mouratoglou stilprägend, im 17. Jahrhundert Scordatura genannt, während die Musiker der Renaissance sie als "des chordes avalées" bezeichneten. Mit den "offenen Stimmungen" verläßt der Spieler die ausgetretenen Pfade bzw. Handgriffe. Im Barock konnten die Gitarristen damit in die tieferen Zonen vordringen, mit Schatteneffekten und mit höhlenartigem Echo spielen. Mit sechssaitigen Gitarren und den Bariton-Gitarren, eine Quarte tiefer gestimmt, verwendet Mouratoglou häufig open tunings. Damit folgt der in Straßburg lebende Künstler seinen Erkundungen, im nicht-konventionellen Gebrauchs des Instruments.

„Als wir für mein Soloalbum "Exercises d'èvasion" (Fluchtübungen) eine Ricardo von Francesco de Milano aufnahmen, klang es leider nicht so wie ich wollte. Eine Stunde schlug ich mich damit herum, doch die Musik kam nicht. Dann stellte ich die Gitarre neben mich. Um mich etwas abzulenken griff ich zur Baritongitarre und improvisierte. Die andere Gitarre stand aber immer noch neben uns. Von Zeit zu Zeit strich ich ihr über die Saiten, obwohl sie mich genervt hatte, so ist das Stück entstanden, es kam genau so auf der Platte, heißt "East" und gibt jenen improvisierten Moment wieder.“

"There are no truths, there are only stories."(Simon Ortiz)

„Wer begleitet hier eigentlich wen? In diesem musikalischen Fluß, wo die Perkussion singen kann und die Gitarre perkussiv tönt. Mit der langen Introduktion, dem Titelstück der Platte "Univers-Solitude", entsteht eine floating world: Eine fließende/flüssige Welt, die zwischen Binärem und Ternärem oszilliert. Etwas, das man später wiederfindet, in dem Stück "L'échelle de l'evasion" (Die Fluchtleiter).“ Schreibt Gilles Tordjman im Booklet zu „Univers-Solitude“. Philippe sagt, „Ich weiß nicht, ob sie (die Gitarre) sowas wie ein lebendiges Wesen ist, aber ich verbringe viel Zeit mit ihr, mehrere Stunden täglich, Doch ein Fetischist des Instruments bin ich nicht, für mich bleibt es ein Werkzeug. Ich sammle keine Gitarren.“

Die klassischen Gitarren wurden gebaut von dem Franzosen Dominique Field, der noch auf die traditionelle Art vorgehe, sagt Philippe. „Das sind nicht die Gitarren, die heute sehr in Mode sind, die wir les guitarres latices, à double table nennen.

Theoretisch klingen sie lauter, aber Dominique Field gilt zweifellos als einer der großen Gitarrenbauer in Frankreich und ich liebe seine Gitarren sehr. Außerdem verwende ich die Folkgitarren, Instrumente des irischen Gitarrenbauers George Lowdon, Und zwar verschiedene seiner Modelle: die eher traditionelle Folk-Gitarre, die doppelt bespannte 12-saitige, die Bariton-Gitarre usw..“ Arbeitet er mit Field und Lowdon eng zusammen? „Nein, nur die Bariton-Gitarre habe ich extra bei ihm bestellt, doch generell kaufe ich fertige Instrumente. Einmal kam George Lowdon mit acht Gitarren hier nach Straßburg, ich konnte mir was auswählen, doch auch er baut keine speziell für mich.“

„Das Trio aus Akustik-Gitarre, Kontrabass und Schlagzeug stellte die ganze Syntax und das Rollenverständnis der Gitarristen in Frage. Das wiederum war das Motto des Free Jazz und dem, was danach Improvisationsmusik genannt wurde. Wie ein Labor unter freiem Himmel. Letztlich hat es den europäischen Musikern ermöglicht, sich Gehör zu verschaffen. Diese stimulierende Geschichte, die weitergeht, wird vom Philippe Mouratoglou Trio re-aktualisiert.“ (Gilles Tordjman)

"Petite Nuage" (Scott's blues im Untertitel) ist dem Bariton des britischen Pop Scott Walker gewidmet. Für seine "kleine Wolke" ließ sich Mouratoglou inspirieren von dem Song "Dealer", aus Walkers Comeback-Album von 1984, "Climate of the Hunter". „Ich liebe meine Arbeit und die Musik, ich entdecke ständig Neues und lasse mich gerne überraschen - es ist der Motor des Ganzen. Ich gehe in viele Richtungen, achte aber sehr darauf, wohin ich meinen Fuß setze. Ich jetzt nicht anfangen, Flamenco oder Jazz-Manouche (Gypsy Jazz) zu machen. Nicht dass ich sie nicht sehr mag - aber ich forsche nach dem, was in mir selbst ist. Ich habe viel Zeit damit verbracht, Musik von anderen zu lauschen: in Jazz, Klassik, Rock, Folk. Besitze eine große Plattensammlung, aber seit ein paar Jahren habe ich so viel mit der eigenen zu tun, dass ich mir weniger Musik von anderen anhöre. Trotzdem ist die Neugier geblieben. Ich arbeite vor allem allein. Im Konzert natürlich oft mit anderen, aber im Alltag meistens allein.“

Ein faszinierendes Soloalbum Mouratoglous, der einen türkischen Namen trägt und dessen Vorfahren aus Griechenland stammen, ist „D'autres vallées“. „Es ist ein wenig eine Fortsetzung des Soloalbums, das ich davor gemacht hatte, 'Exercises d'evasion'. Dort hatte ich versuchte, Stücke des klassischen Repertoires, der klassischen Moderne, des XX. Jahrhunderts, zu kombinieren mit dem, was ich sonst so mache, aber möglichst ohne in die Crossover-Falle zu tappen. Die Dinge vermischen sich auch hier, aber es ging mir darum zu erreichen, dass sie koexistieren können. Auch die verschiedenen Gitarren, die klassische mit Nylonsaiten, und die Folkgitarre mit den Stahlsaiten – das ist ebenfalls Teil der Farbmischungen, die mich sehr interessieren. Was nun "D'autres vallées" betrifft, gibt es da zwei große Werke des XX. Jahrhunderts, die ich seit langem spiele und aufnehmen wollte: das sind "Nocturnal after John Dowland" von Benjamin Britten und die Sonate von Leo Brouwer. Die Frage war, was sich damit kombinieren ließ, Schon die Tatsache, dass Britten sich auf Dowland (den Lautenspieler) bezieht, ergab bereits einen Link.

Die Folkgitarren erinnern sehr an alte Instrumente aus der Zeit John Dowlands: l'abandare, le sistresind der Folkgitarre viel näher als der klassischen. Mit Stahlsaiten machte für mich wirklich Sinn bezogen auf John Dowland.“

"That is at bottom the only courage that is demanded of us: to have courage for the most strange, the most singular and the most inexplicable that we may encounter." (Jim Harrison zitiert Rilke)

Sind Sie ein harter Arbeiter? „Ja, das trifft es.“ Philippe lacht. „Da ich sowohl klassische Musik als auch improvisierte Musik mache – mir selbst auch kleine Sachen schreibe – befasse ich mich oft mit einem neuen Repertoire. Habe ich Zeit und bin nicht auf Tournee, geht es um die Erneuerung dieses Repertoires, egal in welchem Stil. In der Klassik heißt das: Partituren lesen. Um eventuell Dinge zu finden, die ich - für Konzerte oder Schallplatten - weiterentwickeln möchte. Oder ich schreibe Musik für mich und improvisiere.“

„Es gibt viele Arten, das Improvisieren zu betreiben. Oft ist der Ausgangspunkt ein Stück. Wenn da eins ist, wo ich improvisieren werde - über Akkorden, kann auch völlig frei sein -, dann versuche ich, Übungen für mich zu erfinden.

Um mich zu befreien von der Harmonik, das heißt nicht mehr an sie zu denken. Von Akkorden und Rhythmik sich lösen, um so frei wie möglich zu agieren, zu improvisieren. Nicht um etwas Bekanntes wiederholen, sich jedoch derart damit beschäftigen, dass wirklich improvisiert werden kann. Das ist schwer zu erklären, da es eine sehr konkrete Arbeit ist. Man kann sein Leben damit verbringen, sehr gut das klassische Repertoire zu beherrschen und sehr schlecht sein Instrument kennen. Zum Beispiel, ausgehend von einem beliebigen Akkord alle Intervalle bringen. Es gibt noch viele andere.,,“

„Ich habe eine klassische Ausbildung und bin vor allem klassischer Gitarrist. Gleichzeitig bin ich sehr von den Jazzgitarristen angezogen. Am meisten habe ich Pat Metheny gehört, Wes Montgomery, Allan Holdsworth, Egberto Gismonti, der für mich nicht nur Gitarre spielt, den ich aber sehr bewundere. Viele andere auch, Jim Hall zum Beispiel.“ Gismonti habe sich eine Welt geschaffen, die vor ihm nicht existierte.

„Müßte ich wählen zwischen Plattenmachen und den Konzerten, würde ich lieber Platten aufnehmen, das erscheint mir lohnender. Wie Glenn Gould sagte: Er liebte das Studio, weil man da immer eine Chance habe, es besser hinzukriegen und sich seinem Gegenstand anzunähern.

Im Konzert hat man nur eine Chance, was oft frustrierend ist. Heutzutage spiele ich viel live und bin daran gewöhnt. Sagen wir, das Lampenfieber, das ich vor einigen Jahren noch hatte, ist zwar noch da, aber alles ist leichter erträglich,

Eine Platte aufzunehmen fällt mir viel schwerer. Haben Sie auch Lampenfieber, wenn Sie ins Studio gehen?

PM: Noch mehr. Davor und während der Prozedur. Für die meisten Musiker ist das Studio eine Prüfung, für mich mehr als die Bühne. (...) Man ist unter Druck.

Es gibt keinen Filter, man ist wirklich konfrontiert mit dem, was man tut und wer man ist. Im Konzert gibt es das Publikum und man macht Dinge, die man nicht auf eine Platte bringen würde. Es funktioniert trotzdem und hat was mit der Alchemie des Augenblicks zu tun. Im Studio gibt es keine Verkleidung. Man schaut sich ins Gesicht und das ist hart.“

Philippe Mouratoglou Trio: „Univers-Solitude“ (Vision Fugitive)

Jean-Marc Foltz Quartet: „Nowaten“ (Vision Fugitive)

Kontakt:

http://www.philippe-mouratoglou.com

www.visionfugitive.fr

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