Bild für Beitrag: #25 Die Ästhetik der Wiederholung | Gespräch mit dem schweizerischen Pianisten Colin Vallon
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#25 Die Ästhetik der Wiederholung

Gespräch mit dem schweizerischen Pianisten Colin Vallon

Köln, 04.07.2017
TEXT: Karl Lippegaus | FOTO: Karl Lippegaus

Unter den vielen interessanten Klaviertrios im heutigen Jazz hat sich das Trio von Colin Vallon ein besonderes Terrain geschaffen. Die Wurzeln dieser Konzeption reichen zurück bis in die Anfänge des Musikers aus Lausanne. Leider ist die Band noch kaum in unseren Breiten zu hören. Ihr Konzert im wunderbaren Club „moods“ in Zürich war ein ebenso großes Erlebnis wie ihr aktuelles Album „Danse“. Mit achtzehn Jahren hatte Vallon sein Studium abgebrochen, den klassischen Unterricht verlassen und sich an einer Jazzschule eingeschrieben. Schon bald darauf gründete er ein eigenes Trio, das seine vielfältigen, genre-übergreifenden Interessen reflektiert. Statt die eigene Virtuosität ins Zentrum zu rücken arbeiten Vallon/Moret/Sartorius beharrlich an der Entwicklung von Rahmenbedingungen, um das Improvisieren im Trioformat neu zu stimulieren.

Seit dem Erscheinen des Albums „Rruga“ (2011) sind zwei weitere faszinierende Platten in jeweils zwei Jahren Abstand entstanden, die sich mit „Le Vent“ (2014) und „Danse“ (2016) zu einer eindrucksvollen Trilogie fügen. Dieser keineswegs im Verborgenen, sondern vor Publikum bei vielen Auftritten entwickelte, kollektiv geprägte Jazz lebt stark von einem für jede Musik wichtigen Element, nämlich der Wiederholung. Das klug und sensibel eingesetzte Repetieren einzelner Töne, Melodiefragmente und rhythmischer Motive hat das Colin Vallon Trio zu einer hohen Vortragskunst entwickelt. Seit 2010 macht Colin Vallon, der auf wunderbare Weise sein Instrument zum Singen bringt und ihm erstaunliche Klangmöglichkeiten entlockt, alle drei Jahre ein Trioalbum. In Pernes-les-Fontaines/F, dann in Oslo und zuletzt in Lugano entstand so eine auch vom äußeren Design her eine ungewöhnliche Trilogie: das Trio mit Patrice Moret (Bass) und Julian Sartorius (Drums) kann man getrost als einen Glücksfall unter den vielen Piano-Trios bezeichnen. Das Gespräch fand vor dem Konzert in Zürich statt.

Es gibt schon eine Trilogie, in der Tat, weil es unser drittes Album für ECM ist. Aber für mich ist es eher eine „Duologie“ - bis jetzt. Die letzten zwei Platten gehören viel mehr zusammen und bilden eine Einheit. Die beiden Platten sind für mich mehr – nicht Konzeptalben, aber es hat sich in allen Stücken eine gewisse Thematik durchgedrängt.

Bei „Le Vent“ war es ein bisschen der Gedanke an Vergänglichkeit und Tod. Durch einige Ereignisse, die mir geschehen sind. Ja, so hat sich diese Thematik einfach etabliert, und es war für mich wichtig, etwas wie eine Ergänzung zu diesem Album zu machen. Es war nicht wirklich eine bewusste Entscheidung, aber es hat sich so langsam ergeben. Und so habe ich einen roten Faden entdeckt - in meinen Kompositionen und anderen Sachen, die mich künstlerisch interessiert haben.

Bei „Danse“ ist mehr der Gedanke eine vitale Energie. Es geht um das Leben und das Kämpfen. Um das Tanzen letztendlich. Die Überlegung für den Titel war: Wenn man die Lebensenergie wie einen Widerstand zur Schwerkraft sieht, dann ist das Leben – wie soll ich sagen – wie ein verlangsamter Fall, aber man fängt sich wieder auf, und es entsteht sowas wie ein organischer Tanz. Metaphysisch war das mein Interesse und meine Überlegung. Das spürt man ein bisschen in der Musik. Gewisse Elemente von Tanz, kein klar definierter Tanz, aber mehr organische Rhythmen. Es gibt Bäume, die sich im Wind bewegen, das ist auf dem Cover, und das ist mehr so die Art von Tanz – nicht unbedingt regelmäßig oder klar spürbar, wie man das kennt, aber mehr rhythmische Elemente, die durch Wiederholung sowas wie einen Tanz etablieren.

Ihrer ersten CD „Rruga“ (Mai 2010) legte die Plattenfirma einen Text von Steve Lake bei; vielleicht fand man, die weder aus dem ‚Great American Songbook‘ noch aus Popsongs schöpfende, stets das Eigene betonende Trio-Musik könne ein paar einführende Notizen gut gebrauchen. Eine konstante Größe ist der langjährige Weggefährte Patrice Moret am Bass, aber für den Drummer Samuel Rohrer spielt seit „Le Vent“ (April 2013) sein Kollege Julian Sartorius, ein ebenso origineller Kopf und diskreter Motor der Band. Vallon hatte auf „Rruga“ trotz eingängiger Themen wie „Telepathy“ und „Iskar“ eine stark experimentelle Richtung, subtile Erforschungen an den Rändern der Stille angepeilt.

Ja, persönlich ist mir ziemlich viel passiert in diesen letzten 2-3 Jahren. Es war wie ein Bedürfnis, das auch von innen gekommen ist. Da habe ich mich auch für ganz verschiedene Sachen interessiert - viel Physik und Astrophysik, Quantenphysik und gewisse mathematische Prinzipien. Also, ich muss ehrlich sagen, ich bin gar kein Mathematiker, aber ich habe ein paar Sachen verfolgt, mit der Sinuskurve, verschiedene Sachen. Ich habe ein sehr interessantes Video gesehen, von Metronomen, die auf dem gleichen Tempo eingestellt sind, die alten Holzmetronome, analog. Wenn man sie auf ein Brett mit Rollen drauf stellt, dann synchronisieren sie sich nach einer Weile - obwohl sie am Anfang gar nicht synchron sind - durch diesen Einfluss. Ich fand’s eine interessante Analogie zum Leben: dass jeder seinen Rhythmus hat, jeder Mensch, jede Sache ist von ganz kleiner Welle getrieben und die Quantenphysik kann man eigentlich als eine Wellenfunktion beschreiben. Wie in der Sinusbewegung findet man im Tanz Rhythmusbewegungen, die vielleicht nicht regelmäßig sind… Also, verschiedene Einflüsse aus Wissenschaft eher als aus Philosophie.

Ihr Album „Le Vent“ (Der Wind) enthielt Meditationen über Vergänglichkeit und Scheitern, inspiriert vom frühen Krebstod einer Freundin und dem Suizid einer Bekannten, aber auch sehr vitale Momente, wie etwa mysteriöse Pop-Fragmente („Le Quai“), fulminante Bass-Grooves („Pixels“) und heimliche Widmungen an die sich selbst spielenden Maschinenskulpturen von Vallons Landsmann Jean Tinguely („Rouge“). Letzterer taucht auch auf Teil 3, betitelt mit „Danse“, wieder auf.

Also, das ist das Gleiche wie mit den Metronomen, die in Synch kommen: Wenn man Töne spielt ist da das temperierte System und auch die Naturtonreihe, aber wenn man das Pedal drückt, dann geschieht Sympathie - die Schwingungen passen sich an, und es kommt mehr zu einer natürlichen Schwingung. Und vom Timbre her und tonal kann man damit arbeiten. Es war in den letzten Jahren auch so: Ich arbeite sehr gerne mit präpariertem Piano, weil ich wie immer ein bisschen frustriert war von diesem temperierten System, das für mich eben zu „brav“ klang, grob gesagt. In den letzten Jahren war das für mich interessant, weil ich das eher beiseitegelassen habe. Ich habe es zwar immer gemacht bei Konzerten oder bei Aufnahmen, aber ein bisschen weniger in Richtung präpariertes Klavier und mehr mit Klängen arbeitend, direkt am Instrument, und (wir) probieren (es) auch mit verschiedenen Naturklängen. Um das Klavier zum Tönen zu bringen, dass es nicht mehr nach Klavier tönt.

Mit „Danse“, seiner fünften Platte, gelang Ihnen das bislang dichteste, zugkräftigste und spannendste Werk. Nach dem Sie den klassischen Klavierunterricht abbrachen, lehrten Sie schon mit 18-19 Jahren an einer Jazzschule und seit etlichen Jahren in Bern. So einen Musiklehrer hätte ich mir gerne gewünscht: von Radiohead und Metallica bis zu den Klavierpräparationen eines Benoît Delbecq. Allerdings arbeiten Sie nie mit Metall, sondern immer mit natürlichen Stoffen.

Oh nein, nie Metall! Metall ist verboten, eher Holz, Holzteile, die ich gemacht habe, Gummiteile, harte Plastik – genau, so was. Wenn ich Musik schreibe, dann bringe ich das mit in die Probe, und dann finden wir wirklich – besonders für eine Aufnahme – einen Klang, einen gesamten Klang, wir sehen schon jedes Stück als Einheit, und die Arbeit der Gruppe ist natürlich sehr wichtig in dem Prozess, um den Klang zu finden, für jedes Stück.

Ein frühes Idol war der südafrikanische Pianist Abdullah Ibrahim. Von diesem bestens eingespielten Trio wird all dies und vieles mehr mit Phantasie und Leichtigkeit in fesselnde Vortragskunst überführt. Wobei die Konzerte ja nochmal ganz anders sind als die Schallplatten. Zweimal im Monat probt Ihr Trio Neues vor Publikum.

Dadurch, dass wir uns immer neu erfinden wollten, haben wir neue musikalische Seiten aneinander entdeckt. Wir haben viel vor der Aufnahme in Lugano geprobt. Da gibt‘s auch eine Konzertreihe, wo wir alle zwei Wochen spielen. Und in Thun, im Café Mocca, das ist ein sehr spezieller Ort, da spielen wir immer akustisch und es ist auch eine Gelegenheit, die Stücke auszuprobieren und anders zu probieren. Konzepte auszuprobieren, Risiken auf sich zu nehmen, eben andere Strukturen. Im Studio war es eine neue Erfahrung für mich, das ich ohne Kopfhörer aufgenommen habe, in diesem wunderschönen Auditorium. Und da haben wir uns einfach so aufgestellt wie in einem Konzert. Vielleicht ein bisschen weiter weg auseinander, aber ganz akustisch, ohne Trennwände und ohne Verstärkung vom Bass.

So haben wir einfach gespielt und vielleicht nach dem zweiten Stück, es war gut, wir waren im Klang. Und dann haben wir einfach die Stücke gespielt. Es ist ziemlich lustig, denn aus elf Stücken sind sieben ‚first takes‘. Für mich war der Prozess so natürlich und es war das erste Mal, dass… wir haben gespielt und dann hatten wir ein gutes Gefühl, wir haben das gehört, und es hat gestimmt. Manchmal mit Kopfhörer hat man das Gefühl: nein, es war schlecht oder das war sehr gut – und dann hört man das in der Regie und es tönt ganz anders.

Dann ist es ziemlich schnell gegangen. In anderthalb Tagen haben wir alles gemacht. Und dann grad gemixt und gemastert.

Mit elf Jahren nahmen Sie klassischen Klavierunterricht, es gab ein frühes Interesse an Jazz und Improvisieren, besonders Blues, und Sie nahmen dann den abgebrochenen Unterricht wieder auf. Es folgte die Swiss Jazz School, Sie gewinnen erste Preise und experimentieren mit dem Quartett der aus Albanien stammenden Sängerin Elina Duni. Ihre fünfte Platte, die neue CD «Danse», ist keine Aufforderung zu tanzen, sondern französisch „Danse“ mit s statt mit c heisst einfach nur Tanz...

Wir sind so daran gewöhnt akustisch zu spielen. Und Patrice hat einen so fantastischen, einen starken Ton, der sich auch in dem Raum sehr schön entfaltet. Nachher haben wir die Takes gehört. Es war wirklich die Überlegung, vielleicht können wir das besser machen? Aber die Energie stimmt und die Frische und Intention ist eigentlich klar. Für uns war es gar nicht nötig, noch etwas anderes Neues auszuprobieren. Und da ist die Arbeit mit (dem Produzenten) Manfred Eicher sehr wertvoll. Da hat er wirklich eine so unglaubliche Erfahrung und es ist immer sehr beeindruckend, das zu sehen, wenn die Mischung anfängt. Am Anfang sind alle Signale ziemlich klar lanciert. Und dann, dann macht er seinen Zauber. Und plötzlich entsteht eine Dreidimensionalität.

Es ist immer ein schöner Moment bei einer Aufnahme, wenn wir wissen: Ok, das ganze Material ist aufgenommen, und jetzt können wir einfach genießen, dass der Klang diese Tiefe bekommt. Das ist schön. Und dann natürlich, welche(s) Element im Vordergrund steht ist ja auch ein Teil der Entscheidung der Komposition. Da hat Manfred ein unglaubliches Flair, für das richtige Element, das zu verstärken oder im Vordergrund zu haben, damit die Dramaturgie stimmt oder dass es der Intention der Stücke dient.

Jetzt in diesem Kontext in Lugano, mit dieser „akustischen“ Aufnahme - das ist noch viel extremer geworden für mich. Der Klang mischt sich tatsächlich im Raum. Da ist man sich als Musiker viel bewusster, wie sich die Timbres mischen. Wie die Klänge der verschiedenen Instrumente zusammen schmelzen. Das ist so ein Aha-Moment, ich glaube ich will nie mehr mit Kopfhörer aufnehmen - da verliert man diese Interaktion in einem ganz feinen Bereich, im klanglichen Bereich.

Die Abfolge der Tracks, das haben wir auch zusammen gemacht. So wie einen Masterplan hatte er schon ziemlich schnell eine Idee, wie die Dramaturgie entstehen könnte. Und dann diskutieren wir im Studio. Das finde ich auch ein Markenzeichen des Labels: die Dramaturgie von jedem Album ist immer extrem durchgedacht, und intelligent, und es bildet immer so eine Geschichte. Für das ist es extrem interessant, mit Manfred zu arbeiten.

Ja, es war eigentlich im Zug, noch nicht ganz im Bahnhof. Das Stück „Le Vent“ habe ich im Zug geschrieben. Und es war für mich wie, es war ein sehr windiger Tag und es hat irgendwie Sinn gemacht. Dass man die Vergänglichkeit am besten durch ein Naturphänomen beschreiben muss. „Le Vent“ ist etwas Neutrales, ohne große Beurteilung - das ist einfach so eine Tatsache. Ich wollte, dass es nicht unbedingt romantisch wird. Und „Le Vent“ hat mir gefallen – es war etwas Simples. Schon in diesem Moment, nachdem ich dieses Stück geschrieben habe, wurde mir klar, dass es ein guter Titel sein könnte.

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Hörtipps:

Colin Vallon Trio : Danse, Le Vent, Rruga (alle ECM)

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