#22 Druckerschwärze Treibholz und die Farbe Rot
Peter Brötzmann, Graphic Works
TEXT: Karl Lippegaus | FOTO: Ingo Marmulla (Archiv)
„Writing about music is like dancing about architecture.“ – Thelonious Monk
Jazz und die abstrakte Wahrheit. Jackson Pollock zählte die afroamerikanische Musik zu den wenigen anderen kreativen Dingen in den USA. Der Maler hörte seine Platten von Jelly Roll Morton, Count Basie und Duke Ellington beim Arbeiten so laut, dass das ganze Haus bebte. Nachdem er 1956 mit nur 44 Jahren gestorben war, erschien ein Album des Ornette Coleman Double Quartets auf Atlantic, das auf dem Frontcover sein Bild White Heat zeigte, eines der letzten Werke, die er vor seinem Tod noch gemalt hatte. Die radikalen Umwälzungen im Jazz damals hat Jackson Pollock nicht mehr erlebt, er lauschte einem viel älteren Jazz, aber dass ihn diese Musik bei der Suche nach neuen Techniken maßgeblich inspirierte steht außer Zweifel. 1950 hatte er sich Sätze notiert, die auch von Evan Parker stammen könnten: „Technics is the result of a need – new needs demand new technics – total control – denial of the accident – States of order – organic intensity – energy and motion made visible – memories arrested in space, human needs and motives – acceptance –.”
„Ecstasies of cultures combined…“ – Jean-Michel Basquiat
Wer kennt noch ihre Namen? David Stone Martin, Reid Miles, Burt Goldblatt, Marvin Israel, Josef Albers… Und ja, Andy Warhol war auch dabei; noch ganz jung gestaltete er ein halbes Dutzend Plattencovers für Blue Note. All diese Künstler waren Meister ihres Faches, wie die Musiker, auf deren Aufnahmen sie optisch antworteten. Um auf 30 x 30 cm etwas zu Papier zu bringen, das heute bisweilen seltsam entrückt anmutet. Wie alte Postkarten von so nicht mehr existierenden Landschaften. Oder wie Skizzen aus intimen Tagebüchern. Und wie wir ja längst wissen - dafür musste nicht schon wieder eine neue Mode ausgerufen werden, die fieberhafte Suche nach den kostbaren Vinyls - hat die Compact-Disc nicht nur hörbar schlechtere Resultate gebracht als die Vinylplatte, und gottseidank lässt Brötzmann seit Jahre viele sehr gute Vinylscheiben von seiner Musik pressen; nein, sie machte natürlich auch die Cover-Kunst kaputt, jenen geheimen Garten der Jazz-Aficionados, in dem die seltsamsten Pflanzen blühten.
Plattenfirmen, die den Mut hatten, Jazz herauszubringen, taten was sie konnten. Man hat sie oft belächelt für ihre Einfälle. Gibt es irgendwo noch ein Wüstenfoto, das abdruckfrei ist, aber ohne Kamele? Kommt der Musiker aus der Schweiz? Guck‘ mal unter Alpen nach. Klingt die Musik melancholisch? Wolken und umgestürzte Bäume wären ok. Und, ach übrigens, meine Freundin malt auch, könnte man da nicht vielleicht einfach…
Nicht jeder hatte die Durchsetzungskraft eines Miles Davis, der sich bei Columbia vehement dagegen wehrte, dass auf dem Cover von „Miles Ahead“ ein weißes Model im Badeanzug und mit großem Strohhut auf einer Yacht balancierte. Sein Protest hatte Erfolg und fortan sah man seine Frauen, Frances (auf „E.S.P.“) und Cicely (auf „Nefertiti“) ihr Black is Beautiful propagieren. Das passte dann auch besser zum akustischen Inhalt.
Die Gestaltung vieler Plattenhüllen erinnert an die Art, wie man im Kinogewerbe mit der Musik umging. Wenn der Film im Kasten und fast das ganze Budget aufgezehrt waren, fiel den Regisseuren und Produzenten plötzlich ein, dass sie ja auch noch Musik für die Mischung und den Schnitt brauchten. Rasch wurde irgendjemand angeheuert, die passenden Töne zu liefern, für oft lächerlich wenig Geld und mit den entsprechenden Resultaten, Ausnahmen bestätigen die Regel.
Als Alfred Lion und Francis Wolff noch das Blue Note-Label leiteten, sah die Sache anders aus. Nicht nur gab es vor den Sessions bezahlte Proben, während Thelonious Monk, wie sein Biograf Robin D.G. Kelley herausfand, bei Columbia persönlich den Klavierstimmer und die Sandwiches für die Band bezahlen musste. Die klassischen Blue Note-Alben zeigten auch Covergestaltung auf hohem Niveau in Verbindung mit den Sessionfotos von Francis Wolff. Nachdem aber die beiden alten Herren abgetreten waren und es die frühen LPs nicht mehr gab, erschienen viele Jahre später opulent aufgemachte coffee-table books, in denen sämtliche Plattenhüllen 1:1 abgebildet waren. Now you see me, now you don’t. Ok, sehen konnte man sie jetzt also wieder – nur hören durften wir sie nicht mehr. Das Chaos bei den späteren Distributions-Firmen ließ - ähnlich wie im Falle des Impulse!-Labels oder bei ESP-Disk - ein ganzes Kulturerbe in sich zerfallen – ein bisschen so wie man baufällige Hochhäuser sprengt.
„You need to go out and see jazz musicians play. That way, you can see the beat.” – Leroy Williams, Perkussionist
Durch das kaputte Berlin vor der Wende, in eisiger Kälte und am Autostrich vorbei, lief ich jedes Jahr in der ersten Novemberwoche am späten Nachmittag bei einbrechender Dunkelheit vom Hotel zur Philharmonie, wo die Berliner Jazztage stattfanden. Das erste Mal kam ich 1972 und war ausgestattet mit einem Traumjob: für die SWF-Jazzredaktion von Joachim Ernst Berendt, dem Kurator in Berlin, konnte ich die GEMA-Listen ausfüllen. So hatte ich das Glück, als 18-jähriger backstage Jazzgrößen wie Charles Mingus, Gerry Mulligan, Ornette Coleman und andere ansprechen und musste nicht um ein Interview „betteln“. Aus nächster Nähe zu beobachten, wie Mingus beim Soundcheck einen Wutanfall bekam, den Pianisten vom Hocker schubste und ihm zeigte, wie die Akkorde gingen - unvergesslich.
Anschließend ging’s immer rüber ins Quartier Latin, wo eine Art Gegenfestival à la ‚Newport Rebels‘ stattfand. Da habe ich dann zum ersten Mal allabendlich live (und nicht von Platten) das erleben dürfen, was man idiotischerweise damals schon immer Free Jazz nannte, „kaputtes Zeug“, „Chaos-Musik“, etc.. Da waren Brötzmann mit dem Schlippenbach Trio, Hans Reichel solo, Jan Garbarek Trio, Parker/Malfatti/Lytton, Kowald, Lovens, eben der harte Kern. Und: dort fügte sich in jenen Nächten auch optisch, nicht nur akustisch alles zusammen: die völlig andere Art der Präsentation als in der Philharmonie, ein anderes Publikum, die Klamotten, das Bier, der Tabakqualm, der Papagei des Besitzers, die Handzettel, Plakate und Plattencovers, und dann natürlich der Sound, die Witze der Musiker auf der Bühne, ihre Instrumente...
Natürlich gab damals auch die Jahre in Matsch und Dauerregen vorm kleinen Zelt im Freizeitpark beim moers-festival, das Brötzmann und Kowald mit aus der Taufe gehoben hatten. Der wahnsinnige Auftritt des Yamashita-Trios, Brötzmann mit Globe Unity, Braxton am Basssaxofon. Und vorher noch Mangelsdorff mit Brötzmann auf Burg Altena sowie die wahnsinnigen Konzerte in der Balver Höhle im Sauerland (unlängst auf zwei opulenten Boxen bei Bear Family veröffentlicht). Aber die After hours-Sessions im Quartier waren das Größte: unvergesslich, unübertroffen, unerhört. The revolution will not be televised – wie Gil Scott-Heron zu Recht verkündete.
Die Plattencovers, die Brötzmann für seine Alben auf dem FMP-Label gestaltete, zeigten das optische Pendant zum akustischen Soundtrack. Dass die Bildende Kunst Brötzmanns nichts mit seiner Musik zu tun hat sehe ich so nicht – schließlich kommt beides von derselben Person. Auch dass alles grau, traurig und hoffnungslos auf seinen Bildern erscheine, wie irgendwo zu lesen ist, finde ich übertrieben; stets entdecke ich da eine Menge Humor - mag er auch versteckt um die Ecke kommen. Es herrschte viel Freiheit beim Plattenmachen in der FMP und andere durften auch ihre Plattenhüllen gestalten, meistens zusammen mit Jost Gebers und häufig mit Fotos von Dagmar Gebers. Doch die Brötzmann-Hüllen waren anders und schließlich war er ja auch von Hause aus Grafiker. Gelernt ist gelernt. A painting is a painting.
Das ist mir dann nachdrücklich wieder aufgefallen, als ich endlich eine sehr gute Auswahl seiner Konzertplakate bei der großen Ausstellung „Le Siècle du Jazz“ sah, die Daniel Soutif 2009 im Musée du Quai Branly in Paris gezeigt hat und die als Motto ein Zitat von Ernest J. Hopkins aus dem Jahr 1913 hatte, also aus Jelly Roll Mortons stürmischen Anfangsjahren. Die Frage hieß: Was bedeutet Jazz? Mr. Hopkins fand, er stehe für „life, vigor, energy, effervescence of spirit, joy, pep, magnetism, verve, virility, ebbulliency, courage, happiness.” Hatte Ernest von FMP ein Vorabexemplar von “Machine Gun” bekommen? 2017 wird dieses legendäre Album 50 Jahre alt.
Was die Farben der Covers betrifft, war der Mann an der MG in rot gedruckt, aber sonst herrschte mehr die etwas karge Wuppertaler Palette vor: schwarz, weiß, grau, mal etwas grün, braun für die handgedruckten Lettern. Ganz selten mal ein Foto wie 1979 sogar in Farbe, von jenem fantastischen Trio mit Harry Miller und Louis Moholo für die exquisit betitelte LP „The Nearer The Bone, The Sweeter The Meat“, ein Jahr später setzen sie nochmal eins drauf, „Opened, But Hardly Touched“, auch optisch ein einfaches und klares Signal: drei Männer am Strand, beschriftet (in rot) wer es ist, ein vierter bleibt ungenannt.
Zu den herausragenden Plattencovers zählt für mich „Alarm“, Hamburg 1981, für eine neunköpfige Band mit Toshinori Kondo. Die verschiedensten Skizzen zu Alarmsignalen und der Titel des Albums in rot. Bleistiftskizzen und mit Rotstift (dieses Rot bei Brötzmann!) gemalte kurvige Linien, auf die man lange blicken kann, während man der Musik lauscht. Bei den CD-Covers stechen „The März Combo live in Wuppertal“ (1992) und das jetzt auf 2 LPs wiederveröffentlichte Album „Songlines“ (1991) mit einem Objekt des Künstlers heraus: schwarzes rechteckiges Holzbrett oben mit Loch, durch das sich ein roter Holzpfeil bohrt. Andere CD-Hüllen spielen mehr mit den Buchstaben und Wörtern als dass Fotos wie bei den LPs verwendet wurden. Nur „Wolke in Hosen“ (1976) ist durch das Papierflugzeug an ferner Küste in beiden Formaten zum Abheben schön. In Anspielung auf den Schalltrichter ziert ein zerbeulter Zinkeimer die Front für „Close Up“ (1994) mit dem Die Like A Dog Quartet, die als grandiose Ayler-Tribute-Band auszog. Zwei Briefmarken mit „Papa“ Heuss zieren einen simplen Bandkarton, in dem drei LPS mit Brötzmann/van Hove/Bennink plus Mangelsdorff (inklusive Original-Poster von Brötzmann mit mysteriösen Bleistiftskizzen) stecken, adressiert an die „Abt. Jazz, J.E. Behrendt“ (sic), Südwestfunk, 757 Baden-Baden. Dreistellige Postleitzahlen – alles lange her! Was mir etwas fehlt sind die vielen hervorragenden LP-Texte, die Steve Lake geschrieben hat; da muss man sich dann leider auf die Suche nach den Vinyls machen. Mein Eindruck nach häufigem Lesen: ein solches Buch hat es von einem Jazzmusiker noch nicht gegeben. Es ist Brötzmanns visuelles Lebenswerk, das endlich auch den Fokus auf seine großen Stärken als Bildender Künstler richtet. Und dem Wolke Verlag gebührt unser großer Dank für die enorme Anstrengung, dass es zustande kam. Bei jedem Lesen enthüllen diese Arbeiten aus über fünfzig Jahren neue überraschende Facetten und stimulieren nachhaltig unsere Phantasie(n) - wie Brötzmanns unvergleichliche Musik.
Buchtipp:
Peter Brötzmann, Graphic Works, Wolke Verlag 2016, 368 S., 49.00 EUR
www.wolke-verlag.de
ps: Dies ist die gekürzte deutsche Fassung eines Essays von Karl Lippegaus zum Buch Brötzmanns.
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