"Sehnsucht nach dem Lockdown!"
Viele Verordnungen treffen die Falschen
TEXT: Stefan Pieper |
Viele neue Gängelungen für Kulturschaffende sind nicht mehr erträglich und auch unverhältnismäßig. Denn die Szene agiert seit Monaten so diszipliniert, dass noch keine Infektion im Umfeld einer Kulturveranstaltung nachgewiesen wurde.
Wie schön war es im März, als plötzlich nichts mehr ging. Einfach abschalten, durchatmen, sich von allem Druck und Zweifel erholen. Muße finden. Sich plötzlich nicht mehr mit behördlichen Verordnungen, Absagen, geplatzten Terminen, Verschiebungen, mit Gagenverhandlungen und Enttäuschungen herumschlagen!
Nein – eine Romantisierung der Krise ist Heuchelei. Corona ist scheiße ohne wenn und aber! Vor allem angesichts des existenziellen Leids, das der – leider in vielerlei Hinsicht wohl notwendige- politische und administrative Umgang mit der neuen, kaum erforschten Pandemie über zahllose Menschen gebracht hat. Der fatalistische Wunsch, sich endlich wieder im Lockdown zurücklehnen zu können, widerspiegelt die Stimmung vieler Kulturschaffender im Moment. Viele sind am Ende ihrer Kräfte, denn das aufreibende, ständige Hin- und Her, diese „neue Normalität“, währt schon seit gefühlten Ewigkeiten. Es reicht allmählich! Denn es wurde und wird gerade in der Konzertszene vor Ort so viel vorbildliches geleistet: Die Verantwortung der Konzertveranstalter gegenüber den auftretenden KünstlerInnen und ihrem Publikum ist ins Unermessliche gewachsen. Es geht um Hygienekonzepte und Abstandsregeln, um Einlassbeschränkungen. (Ohnehin ist jede Veranstaltung noch viel mehr als sonst schon ein wirtschaftlicher Spagat, wo jetzt nur noch mit reduziertem Publikum vergleichsweise großräumige Venues bespielt werden können. Deren Mieten ja keineswegs zwangsläufig billiger werden. Wo bleibt eigentlich hier die vielbeschworene Solidarität? Vor allem die Kommunen könnten hier mal mit gutem Beispiel voran gehen und Aufführungsorte zu günstigeren Konditionen für ALLE Kulturschaffenden anbieten – dies nur mal als kleine Randbemerkung...)
Die Existenzfrage ist zur Dauer-Grundtonart geworden. Aber alles wird von Veranstaltern, Musikern und auch vom Publikum selbst fleißig weiter gestemmt. Und es geht. Die Nachfrage, ja Sehnsucht nach Livemusik bringt viel großartige Disziplin hervor, die plötzlich Basis für alle Freiheit geworden ist. Das Publikum trägt Masken, hält Abstände. Umarmen und Händeschütteln sind längst out, dafür ist Hände desinfizieren und brav die Adressenliste zur Kontaktverfolgung ausfüllen angesagt. Natürlich erst nach vorheriger Reservierung. All dies läuft in zahllosen Spielstätten so geölt, dass bislang noch kein positives Testergebnis während einer kulturellen Veranstaltung in NRW nachgewiesen werden könnte - auch nicht jetzt, wo wir längst in der gefürchteten Indoor-Saison angekommen sind.
WARUM also wird die Szene jetzt durch noch engmaschigere, bald unzumutbare Gängelungen und Verordnungen abgestraft? Eine neue Regelung (Beispiel Köln) sieht beispielsweise vor, dass grundsätzlich und ohne Ausnahme jede Örtlichkeit zu maximal 20 % ausgelastet werden darf, das wird dann gleich für eine ganze Schar weiterer Akteure der wirtschaftliche Todesstoß sein. Eine durchgehende Maskenpflicht während des ganzen Konzertes wird bei vielen an die Zumutbarkeitsgrenze stoßen und so manche dazu bringen, nun doch zuhause zu bleiben. Das ohne irgendeine nennenswerte Vorwarnung verhängte „Beherbergungsverbot“ hat bereits seit einer Woche zahllose Tourneen und Verträge platzen lassen. Prominentestes Opfer sind wohl die Donaueschinger Musiktage - ein großes internationales Festival, das drei Tage vorm ersten Konzert abgeblasen wurde. Jetzt nimmt alles wieder seinen Lauf: Eine Konzertabsage folgt auf die andere. Der Bunker Ulmenwall in Bielefeld und die Black Box im Cuba in Münster müssen Zwangspause machen. Letzterer war ohnehin nur noch gestattet, gerade einmal 14 (!) zahlende Gäste aufzunehmen. Auch den Kulturprojekten am Niederrhein sind gerade gekippt worden. Die dadurch entstehenden Schäden sind auch gesellschaftlicher Natur. Wohlgemerkt: Bislang ist noch nie eine Infektion bei einer kulturellen Veranstaltung nachgewiesen worden.
Verwaltungsmenschen an ihren Schreibtischen können nicht einfach nichts tun, vor allem, wenn ein durch das Infektionsgesetz diktiertes Notstandsregime Handlungsdruck produziert. Und Politiker können nicht einfach zur Gelassenheit aufrufen, wenn Angst die herrschende Stimmung ist, die auch die eigene Profilierung abzusichern hilft. Die Kommunen vor Ort sind nicht zu beneiden. Ihnen wird aufgedrückt, all dies praktisch umzusetzen. Viele Auswüchse von symbolischen Aktionismus sind ein Ausdruck von Hilflosigkeit gegenüber den mutmaßlich hauptverantwortlichen Personengruppen- bei denen zurzeit laufend Neuinfektionen ermittelt werden und denen, da es sich meist ums private Umfeld handelt, nicht einfach beizukommen ist. Kleine Jazzclubs und unabhängige Theater lassen sich eben einfacher an die Kette legen und alle Normalos, für die so etwas sowieso verzichtbare Nebensache ist, stimmen zu.
Fazit: Der Mangel an Fingerspitzengefühl und Verhältnismäßigkeit in Bezug auf die Situation der Kultur zeigt einmal mehr, welchen Stellenwert dieses Segment in der politisch-medialen Aufmerksamkeitshierarchie hat.