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Von Tradition bis Transformation

Kultur-Check zur Bundestagswahl

Berlin, 01.02.2025

(Kultur-)Politik ist wie Jazz - sie lebt von Improvisation, verschiedenen Stimmen und manchmal auch von produktiver Dissonanz. Die Wahlkampf-Jam-Session zur Bundestagswahl am 23. Februar wird zunehmend lauter – auch wenn es wohl dabei bleibt, dass die einflussreichen Impulse für das Überleben der Kultur weiterhin in Ländern und Kommunen gesetzt werden. Die aktuelle Analyse der Wahlprogramme durch Olaf Zimmermann und Gabriele Schulz vom Deutschen Kulturrat lässt aufhorchen: Da werden alte Standards neu interpretiert, aber zum Teil in überraschenden Arrangements vorgestellt.

In der kulturpolitischen Partitur spielen die ehemaligen Ampel-Partner SPD, Grüne und FDP trotz getrennter Wege weiterhin mit einem gemeinsamen Grundakkord: das Staatsziel Kultur im Grundgesetz. CDU/CSU und AfD hingegen schlagen andere Töne an und holen den Begriff der "Leitkultur" aus der Mottenkiste.

Sozialdemokratische Kulturpolitik: Teilhabe als Leitmotiv

Die SPD improvisiert über ihr Kernversprechen "Kultur für alle" in zeitgemäß klingenden Variationen. Ein starkes Bekenntnis zur Kunstfreiheit bildet dabei die Grundmelodie, vorangetrieben vor allem von sozialpolitischen Rhythmen: Reform der Künstlersozialversicherung, Mutterschutz für Selbstständige, einkommensabhängige Krankenkassenbeiträge. Die zukunftsgerichtete Organisation und Finanzierung von Bundeseinrichtungen steht im Fokus. In der Erinnerungskultur erklingen verschiedene Motive: NS-Aufarbeitung, SED-Geschichte und Kolonialismus, während die deutsche Einheit als hoffnungsvoller Refrain hervortritt. Die Kulturrats-Analyse lobt die klare Komposition, vermisst aber eine solide Basslinie in der Finanzierung.

CDU/CSU: Tradition und Modernisierung

Die Unionsparteien versuchen sich an einer Fusion aus Tradition und Moderne. Ihr Arrangement mischt die Betonung der "Leitkultur" und kultureller Traditionen mit progressiveren Tönen. Der Schwerpunkt liegt auf Bundesinstitutionen wie der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, ergänzt durch eine nationale Strategie zum Kulturgüterschutz und innovative Kultursponsoring-Konzepte. Zimmermann und Schulz attestieren diesem Mix eine interessante Dynamik: Die Erinnerungskultur, sonst ein Hauptthema der Union, wird zum leisen Zwischenspiel, während die SED-Aufarbeitung lauter hervortritt. Im Kampf gegen Antisemitismus sind markante Akzente zu hören - mit dem Existenzrecht Israels als Leitmotiv.

Bündnis 90/Die Grünen: Kultur als gesellschaftliches Bindemittel

Die Grünen komponieren eine komplexe Suite zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts durch Kultur. Der Ausbau der Bundeskulturinstitutionen als Stabilitätsanker bildet die Grundstruktur, dazu erklingen vielstimmige Soli zu kolonialem Erbe und Erinnerungskultur. Besonders betont wird der Einsatz gegen Diskriminierung im Kulturbereich. Die Mittlerorganisationen sollen als internationales Ensemble gestärkt werden. Die Analyse des Kulturrats würdigt diese ambitionierte Komposition, warnt aber vor den begrenzten Ressourcen für eine vollständige Aufführung.

FDP: Liberale Debattenkultur und digitalisierung

Die FDP spielt zeitgenössischen Jazz mit digitaler Begleitung. Die liberale Debattenkultur und Modernisierung des Kulturbegriffs geben den Takt vor. Als einzige Formation verwendet sie den Begriff "Kultur- und Gesellschaftspolitik". Ihr innovatives Arrangement sieht verbesserte Rahmenbedingungen für die Kreativwirtschaft vor, begleitet von einer umfassenden Digitalisierung der Kulturangebote. Die starke Betonung der wirtschaftlichen Rhythmusgruppe könnte, so die Analysten, die leiseren kulturellen Stimmen übertönen.

Die Linke: Kultur als öffentliche Aufgabe

Die Linke setzt einen staatstragenden Grundton: Kultur als Pflichtaufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge, untermalt von klaren Regelungen für die Restitution von Kulturgut. Die Öffnung der Künstlersozialversicherung und die Erhöhung des Bundeszuschusses für Kulturförderung bilden tragende Akkorde. Ein gut durchkomponiertes Werk, dem laut Kulturrat allerdings ein realistisches Budget fehlen könnte.

AfD: Nationale Kulturidentität

Die AfD lässt traditionelle Weisen markig erschallen: Der Fokus auf "deutsche Leitkultur" und Brauchtum dominiert, begleitet von einer deutlichen Begrenzung der Bundeskulturaktivitäten. Die Ablehnung von "Dekolonisierung" und die Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verstärken den rückwärtsgewandten Grundrhythmus. Besonders dissonant erscheint der Kontrast zwischen nationaler Kulturbetonung und dem Solo in der Auswärtigen Kulturpolitik zur Unterstützung deutscher Minderheiten.

BSW: Zwischen Tradition und Reform

Das BSW als Newcomer in der kulturpolitischen Szene mixt verschiedene Stilrichtungen: Kulturelle Teilhabe als staatliche Pflichtaufgabe bildet die Grundmelodie, dazu kommt ein komplett reformierter öffentlich-rechtlicher Rundfunk sozusagen unplugged - mit klarer Ablehnung von Beitragserhöhungen. Die Kulturrats-Analyse erkennt interessante Ansätze, vermisst aber noch eine eigenständige künstlerische Handschrift.

Die bunte Session der kulturpolitischen Wahlversprechen klingt wie eine spannende Kakophonie der Gegensätze. Ob daraus nach der Wahl eine harmonische Komposition oder lärmige Kakophonie entstehen, wird die Zukunft zeigen. Die Chance liegt vielleicht gerade in der Vielfalt der Stimmen und in einem produktiven Austausch - wie im besten Jazz.

Quelle: Der Artikel basiert auf der Analyse "Leitkultur oder Zusammenhalt in Vielfalt - Das wollen die Parteien in der Kulturpolitik" von Olaf Zimmermann und Gabriele Schulz, erschienen in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Politik und Kultur" (Februar 2025). Die Autoren sind Geschäftsführer bzw. Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.

Tipp für Kulturinteressierte: Die vollständige, deutlich umfangreichere Synopse der Wahlprogramme finden Sie in der Februar-Ausgabe der Zeitschrift "Politik und Kultur". Dort werden viele weitere Aspekte wie Games-Förderung, kulturelle Bildung und die Details der sozial- und steuerpolitischen Vorschläge der Parteien ausführlich beleuchtet. Die Zeitschrift ist online unter www.kulturrat.de verfügbar.























Der große Kultur-Check zur Bundestagswahl: Von Tradition bis Transformation

(Kultur-) Politik ist wie Jazz - sie lebt von Improvisation, verschiedenen Stimmen und manchmal auch von produktiver Dissonanz. Die Wahlkampf-Jam-Session zur Bundestagswahl am 23. Februar wird zunehmend lauter – auch wenn es wohl dabei bleibt, dass die einflussreichen Impulse für das Überleben der Kultur weiterhin in Ländern und Kommunen gesetzt werden. Die aktuelle Analyse der Wahlprogramme durch Olaf Zimmermann und Gabriele Schulz vom Deutschen Kulturrat lässt aufhorchen: Da werden alte Standards neu interpretiert, aber zum Teil in neuen, überraschenden Arrangements vorgestellt.

Die bunte Session der kulturpolitischen Wahlversprechen klingt wie eine spannende Kakophonie der Gegensätze. Ob daraus nach der Wahl eine harmonische Komposition oder lärmige Kakophonie entstehen, wird die Zukunft zeigen. Die Chance liegt vielleicht gerade in der Vielfalt der Stimmen und in einem produktiven Austausch - wie im besten Jazz

In der kulturpolitischen Partitur spielen die ehemaligen Ampel-Partner SPD, Grüne und FDP trotz getrennter Wege weiterhin mit einem gemeinsamen Grundakkord, es geht um das Staatsziel Kultur im Grundgesetz. CDU/CSU und AfD hingegen schlagen andere Töne an und holen den Begriff der "Leitkultur" aus der Mottenkiste.



Sozialdemokratische Kulturpolitik: Teilhabe als Leitmotiv

Die SPD improvisiert über ihr klassisches Thema "Kultur für alle" in zeitgemäß klingenden Variationen, vorangetrieben vor allem von sozialpolitischen Rhythmen bestimmt: Reform der Künstlersozialversicherung, Mutterschutz für Selbstständige, einkommensabhängige Krankenkassenbeiträge. Manchmal klingen verschiedene Motive aus der Erinnerungskultur an: NS-Aufarbeitung, SED-Geschichte und Kolonialismus, während die deutsche Einheit als hoffnungsvoller Refrain hervortritt. Die Kulturrats-Analyse lobt eine klare Komposition bei der SPD, vermisst aber eine solide Grundstruktur bei der Finanzierung.



CDU/CSU: Tradition und Modernisierung

Die Unionsparteien versuchen sich an einer Fusion aus Tradition und Moderne. Ihr Arrangement mischt den altbekannten Leitkultur-Sound mit progressiveren Tönen wie einer nationalen Strategie zum Kulturgüterschutz und innovative Kultursponsoring. Zimmermann und Schulz attestieren diesem Mix eine interessante Dynamik: Die Erinnerungskultur, sonst ein Hauptthema der Union, wird zum leisen Zwischenspiel, während die SED-Aufarbeitung lauter hervor tritt. Im Kampf gegen Antisemitismus sind mit markante Akzente zu hören - mit dem Existenzrecht Israels als Leitmotiv.



Bündnis 90/Die Grünen: Kultur als gesellschaftliches Bindemittel

Die Grünen komponieren eine ganz andere, aber sehr komplexe Mischung: Bundeskulturinstitutionen sollen gestärkt werden und es als tragende Gruppe schaffen, dazu erklingen vielstimmige Soli zu kolonialem Erbe, Antiziganismus und einer Erinnerungskultur im Zeichen der Migration. Die Analyse des Kulturrats würdigt diese ambitionierte Komposition, warnt aber vor den begrenzten Ressourcen für eine vollständige Aufführung.



FDP: Liberale Debattenkultur und Modernisierung

Die FDP spielt in sehr zeitgenössischem Tonfall auf und greift dabei auf viel digitale Begleitung zurück. Als einzige Formation verwendet sie den modernistischen Begriff "Kultur- und Gesellschaftspolitik". Ihr innovatives Arrangement eines EU-Denkmalpflege-Fonds und die Digitalisierung der Goethe-Institute zeigen Experimentierfreude. Doch die starke, etwas einseitige Betonung des Wirtschaftlichen könnte, so die Analysten des Deutschen Kulturrats, die leiseren kulturellen Stimmen übertönen.

Die Linke: Kultur als öffentliche Aufgabe

Die Linke lässt einen staatstragenden Grundton erklingen: Kultur als Pflichtaufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge, untermalt von klaren Restitutionsregeln und einer erweiterten Künstlersozialversicherung. Dahinter stehe ein gut durchkomponiertes Werk, dem - laut Kulturrat - allerdings ein realistisches Budget fehlen könnte.



AfD: Nationale Kulturidentität

Die AfD lässt traditionelle Weisen markig erschallen: Deutsche Sprache als Staatssprache, Brauchtum und Heimat als Leitmotive. Besonders dissonant erscheint der Kontrast zwischen nationaler Kulturbetonung und dem Solo in der Auswärtigen Kulturpolitik zur Unterstützung deutscher Minderheiten. Die Ablehnung des AI-Acts zugunsten nationaler Regelungen verstärkt den rückwärtsgewandten Grundrhythmus.

BSW: Zwischen Tradition und Reform

Das BSW als Newcomer in der kulturpolitischen Szene mixt verschiedene Stilrichtungen: Kultur als Pflichtaufgabe, ein komplett reformierter öffentlich-rechtlicher Rundfunk sozusagen unplugged, dazu soziale Arrangements für Kulturschaffende und Nachwuchsförderung. Die Kulturrats-Analyse erkennt interessante Ansätze, vermisst aber noch eine eigenständige künstlerische Handschrift.



Quelle: Der Artikel basiert auf der Analyse "Leitkultur oder Zusammenhalt in Vielfalt - Das wollen die Parteien in der Kulturpolitik" von Olaf Zimmermann und Gabriele Schulz, erschienen in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Politik und Kultur" (Februar 2025). Die Autoren sind Geschäftsführer bzw. Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.

Tipp für Kulturinteressierte: Die vollständige, deutlich umfangreichere Synopse der Wahlprogramme finden Sie in der Februar-Ausgabe der Zeitschrift "Politik und Kultur". Dort werden viele weitere Aspekte wie Games-Förderung, kulturelle Bildung und die Details der sozial- und steuerpolitischen Vorschläge der Parteien ausführlich beleuchtet. Die Zeitschrift ist online unter www.kulturrat.de verfügbar.

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