Die Streaming-Ilusion
Sichtbarkeit ohne Wertschätzung
Eine vom Bundeskulturministerium geförderte Studie zu Musikstreaming in Deutschland zeigt, dass viele Musikerinnen und Musiker in Deutschland für Streams kaum bis gar keine Vergütung erhalten. Neben Forderungen für mehr Transparenz und Förderprogramme gibt es auch Vorschläge für ein alternatives Vergütungssystem.
Die vom Bundeskulturministerium geförderte Studie deckt eine schmerzhafte Realität des deutschen Musikstreamings auf. Während Digitalisierung oft als Chance für alle Künstler gepriesen wird, zeigen die Zahlen ein anderes Bild: Von 3.000 befragten Musikschaffenden sind 74 Prozent mit ihrer Streaming-Vergütung unzufrieden. Nur 9 Prozent geben an, zufrieden zu sein. Diese Unzufriedenheit ist verständlich, wenn man bedenkt, dass 68 Prozent der Befragten weniger als einen Euro pro Jahr durch Streaming verdienen. Viele Musiker sind daher gezwungen, ihren Lebensunterhalt hauptsächlich durch Live-Auftritte zu bestreiten.
Das Problem liegt im Vergütungssystem selbst. Das aktuelle Pro-Rata-Modell berechnet die Vergütung nicht nach der absoluten Anzahl der Streams eines Künstlers, sondern nach dem Anteil an der Gesamtzahl aller Streams. Zusätzlich müssen Künstler auf Spotify erst mindestens 1.000 Streams von 50 verschiedenen Nutzern erreichen, um überhaupt vergütet zu werden. Diese Hürde benachteiligt systematisch Newcomer und kleine Künstler. Die Intransparenz der Lizenzierungs- und Vergütungsstrukturen verschärft das Problem noch, da Künstler kaum nachvollziehen können, wie ihre Einnahmen zustande kommen.
75% der Umsätze entfallen auf 01,% der Künstlerinnen und Künstler
Kulturstaatsministerin Claudia Roth bringt es auf den Punkt: Wenn 75 Prozent der Umsätze auf nur 0,1 Prozent der Künstlerinnen und Künstler entfallen, besteht eindeutig Handlungsbedarf. Die Studie identifiziert drei wesentliche Bereiche für Verbesserungen: Transparenz, Förderung und Vergütungsmodelle.
Eine zentrale Streaming-Transparenzstelle könnte Daten von Plattformen und Rechteinhabern sammeln und Künstlern klare Einblicke in ihre Abrechnungen ermöglichen. Auch die Offenlegung der Empfehlungsalgorithmen könnte dafür sorgen, dass auch die Musik kleinerer Künstler den Nutzern vorgeschlagen wird. Gezielte Förderprogramme könnten Newcomer und kleine Künstler strukturell stärken, die unter dem aktuellen System besonders leiden.
Viele Befragte wünschen sich ein alternatives, nutzerorientiertes Vergütungsmodell. In diesem würden die monatlichen Abo-Gebühren nicht in einen gemeinsamen Pool fließen, sondern direkt anteilig an die von jedem Nutzer tatsächlich gehörten Künstler verteilt werden. Frühere Studien legen nahe, dass sich durch ein solches Modell für fast jeden fünften Künstler die Streaming-Einnahmen verdoppeln könnten.
Die Diskrepanz zwischen kulturellem Wert und wirtschaftlicher Entlohnung im Musikstreaming zeigt ein grundlegendes Problem unserer digitalisierten Kulturlandschaft: Künstlerisches Schaffen wird zwar konsumiert, aber nicht angemessen vergütet. Es bedarf einer grundlegenden Neugestaltung der digitalen Wertschöpfungsketten, um eine Kulturökonomie zu schaffen, die kreatives Schaffen nicht nur symbolisch, sondern auch materiell würdigt und allen Musikschaffenden faire Teilhabechancen ermöglicht.