Schieflage der Festivalkultur
Eine neue Studie legt strukturelle Benachteiligungen offen
Die deutsche Festivallandschaft ist ein Spiegel gesellschaftlicher Ungleichheiten. Was die neue Festivalstudie 2025 über 1.764 deutsche Festivals offenlegt, ist mehr als nur Kulturstatistik – es ist ein Zeugnis struktureller Benachteiligung, die sich quer durch die Musikszene zieht.
Drei Viertel aller Festivals arbeiten ohne Gewinnabsicht, so das zentrale Ergebnis der gemeinsam von Initiative Musik, Bundesstiftung Livekultur und Deutschem Musikinformationszentrum (miz) erstellten Studie. Doch was zunächst nach kulturellem Idealismus klingt, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als ökonomische Notwendigkeit: Nur 15 Prozent der Veranstaltungen schreiben schwarze Zahlen, 30 Prozent fahren Verluste ein.
Das Klassik-Privileg und die Jazz-Blindheit
Besonders augenfällig wird die Schieflage beim Blick auf die Förderstrukturen. Während nahezu alle Klassikfestivals (98 Prozent) staatliche Unterstützung erhalten, sind es bei Popularmusikfestivals nur 78 Prozent. Die Konsequenzen sind dramatisch: 82 Prozent der Klassikfestivals sehen ihre Zukunft gesichert, bei Pop-Formaten sind es nur 62 Prozent.
Symptomatisch für die strukturelle Vernachlässigung bestimmter Genres ist dabei, was die Studie nicht erfasst: Jazz wird zwar als Kategorie erwähnt – immerhin 32 Prozent der Festivals programmieren Jazz und improvisierte Musik –, verschwindet aber komplett aus der differenzierten Analyse. Mal wieder rangiert Jazz zwischen den Stühlen der Kulturpolitik: zu elitär für die Pop-Förderung, zu populär für die Klassik-Privilegien. Diese systematische Blindheit gegenüber einer der innovativsten Musikformen spiegelt die generelle Ratlosigkeit deutscher Kulturpolitik wider, wenn es um Genres geht, die sich nicht in die binäre Logik von "E" und "U" pressen lassen.
Diese Disparität zeigt sich auch in den Finanzierungsstrukturen. Klassikfestivals beziehen 40 Prozent ihrer Einnahmen aus öffentlichen Zuschüssen, bei Popularmusik sind es nur 20 Prozent. Während Pop-Festivals auf Ticketverkäufe (39 Prozent) und Gastronomieumsätze (21 Prozent) angewiesen sind, können sich Klassikveranstalter auf institutionelle Förderung verlassen.
Preisspirale nach oben
Die Folgen dieser ungleichen Behandlung werden beim Ticketpreis sichtbar. Mehr als die Hälfte aller Festivals musste die Eintrittspreise erhöhen – im Durchschnitt um 29 Prozent. Popularmusikfestivals traf es mit 33 Prozent Steigerung besonders hart, während Klassikfestivals nur 13 Prozent aufschlagen mussten. Ein direktes Resultat der unterschiedlichen Förderpraxis.
Diese Entwicklung ist nicht nur kulturpolitisch fragwürdig, sondern auch gesellschaftlich bedenklich. Während sich das bildungsbürgerliche Publikum weiterhin subventionierte Klassikkonzerte leisten kann, werden Popfestivals – traditionell Orte der Jugend- und Subkultur – zunehmend zu einem Luxusgut.
Künstlerhonorare: Klassik zahlt besser
Selbst bei der Vergütung der Künstler*innen zeigen sich die strukturellen Unterschiede. Newcomer im Klassikbereich erhalten durchschnittlich 879 Euro pro Auftritt, Pop-Nachwuchs muss sich mit 393 Euro begnügen. Erst bei den Headlinern kehrt sich das Verhältnis um: Pop-Stars kassieren 7.852 Euro, Klassik-Solisten 4.676 Euro.
Diese Zahlen spiegeln nicht nur Marktmechanismen wider, sondern auch kulturpolitische Prioritäten. Während etablierte Strukturen der Hochkultur systematisch gestützt werden, müssen sich Popularmusikfestivals den harten Gesetzen des Marktes stellen. Auch beim Thema Nachhaltigkeit offenbaren sich Klassengrenzen. Über die Hälfte der Festivals verfügt zwar über ein Nachhaltigkeitskonzept, doch die Umsetzung scheitert oft an fehlenden Mitteln und Kapazitäten. Ausgerechnet die finanziell schwächeren Pop-Festivals sind dabei ambitionierter als ihre klassischen Pendants – ein Paradox, das die Ressourcenknappheit der Szene unterstreicht.
Aufschlussreich trotz blinder Flecken
Trotz dieser analytischen Schwächen liefert die Festivalstudie 2025 wichtige Einblicke in eine kulturell und ökonomisch bedeutsame Szene. Die erfassten Dimensionen sind beeindruckend: 1.764 Festivals, 16 Millionen Besuche bundesweit, 313.000 Euro durchschnittliche Einnahmen pro Festival. Diese Zahlen belegen die gesellschaftliche Relevanz einer Branche, die weit mehr leistet als nur Unterhaltung. Die Festivalstudie legt den Finger in eine offene Wunde der deutschen Kulturpolitik. Die systematische Benachteiligung der Popularmusik – und die komplette Ausblendung von Zwischentönen wie Jazz – ist nicht nur unfair, sondern kulturell kurzsichtig. Festivals sind mehr als Entertainment – sie sind Orte gesellschaftlicher Teilhabe, künstlerischer Innovation und kultureller Vielfalt.
72 Prozent der gefährdeten Festivals nennen den Wegfall von Förderungen als größtes Risiko. Es ist höchste Zeit, dass die Politik ihre Verantwortung für die gesamte Festivallandschaft erkennt – nicht nur für den elitären Teil. Sonst droht Deutschland eine Kulturlandschaft zu verlieren, die weit über die Musik hinaus gesellschaftlichen Zusammenhalt stiftet.
Die Zeit drängt: Ein Viertel der Festivals verzeichnet bereits rückläufige Besucherzahlen. Wer jetzt nicht handelt, wird bald nur noch Klassikfestivals fördern – und eine ganze Generation kulturell abhängen.
Quellen: Festivalstudie 2025, Initiative Musik/Bundesstiftung Livekultur/Deutsches Musikinformationszentrum (miz) in Zusammenarbeit mit dem Institut für Demoskopie Allensbach. Die Studie basiert auf Daten von 638 teilnehmenden Festivals aus insgesamt 1.764 identifizierten deutschen Musikfestivals.