Ein besserer Ort
Preview Moers Festival 2024
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Das Moers-Festival, ein jährliches "Großfamilientreffen für Liebhaber experimenteller Musik", findet vom 17. bis 20. Mai 2024 statt und lädt alle zu einer musikalischen Reise ein – willkommen an Bord der Moers Enterprise, die in die weiten Umlaufbahnen zwischen Avantgarde, zeitgenössischer Improvisation und dem Unklassifizierbaren abhebt. Über allem wacht die Henne Burkhard, friedlich gurrend und zuweilenn ein paar Körner aus einem Näpfchen pickend, auf einem Sideboard sitzend...
Wenn die Osterglocken in voller Blüte stehen, ist es wieder soweit: Die Programm-Pressekonferenz zum Moersfestival läutet den Vorfrühling ein. Und was unter Corona-Bedingungen von Maskierten subversiv unter einer Straßenunterführung durchgezogen wurde, konnte jetzt wieder behaglich im Festivalbüro stattfinden. Ein verstörender Moment von Dystopie funkte dennoch dazwischen: Gerade hatten Tim Isfort und die Improvisatorin in Residence, Saxofonistin Virginia Genta, zu einem brausenden Freejazz-Weckruf angesetzt, da zerriss ein (probeweise ausgeführter) Sirenen-Vollalarm das Idyll. Dies verdeutlichte umso mehr die wichtige, notwendige Intention eines Festivals, speziell dieses Festivals in dieser Zeit: Zwischen dem 17. und 20. Mai soll in Moers ein "besserer Ort entstehen". Ein Ort des künstlerischen Austauschs und der Inspiration sowieso.
Kulturpolitischer Frühling in schwieriger Zeit
Bevor es nach Begrüßung durch Geschäftsführerin Jeanne-Marie Varein ans Eingemachte ging, wurde in kulturpolitischer Hinsicht ebenfalls Frühlingslaune bekundet. Bürgermeister Christoph Fleischhauer bilanzierte zufrieden, dass unter Tim Isfort s künstlerischer Leitung das Festival endgültig in der Stadtgesellschaft angekommen ist und auch ein starker Förderverein hinter dem Festival steht.
Wolfang Thoenes, Kulturdezernet und Kämmerer der Stadt Moers plädierte für die Wichtigkeit eines solchen Festivals gerade in schwieriger, von Inflation und Preisexplosionen gebeutelten Zeit – dem trage die Stadt Moers Rechnung, in dem sie ihren Förderzuschuss nochmal erhöht habe. Freuen würde er sich, wenn das Land NRW einem solchen Beispiel stärker folgen würde und auch die freie Kultur jenseits der Leuchttprne stärker zu unterstütze.
Nichts Berauschendes?
Tim Isfort und sein Team möchten auf einer Programm-Pressekonferenz nicht einfach schnöde die gebuchten Bands verkünden, sondern vor allem einen atmosphärischen Vorgeschmack hinaus in die reale Welt tragen. Hintergründiger Humor ist sowieso Markenzeichen der Inszenierungen beim Moers-Festival. Aktueller Plakatslogan, ebenso Tim Isfort s Running Joke bei der Programmvorstellung war die Einschätzung, dass es ja „nichts besonderes“ und "keine bahnbrechenden Neuheiten" und sogar „nichts Berauschendes geben werde. Nichts Berauschendes in Moers? Wie das denn wohl gehen soll?
"Zu Pfingsten erwartet uns eine Zusammenkunft von Superhelden aus aller Welt, die mit ihren einzigartigen Fähigkeiten und Instrumenten gegen das Böse in Form von musikalischen Herausforderungen kämpfen werden" das stellte schon eindeutiger klar, dass es wieder um einiges gehen soll. Vor allem um eine breite Palette "künstlerischer Erfahrungen". Von Konzerten in der Festivalhalle über Open-Air-Auftritte am Rodelberg bis hin zu Auftritten auf der konzentrierten "Annex"-Bühne und im gesamten Stadtgebiet werden drinnen und draußen Räume entstehen für Laborsituationen, in denen experimentelle, improvisierte, komponierte oder programmierte Musik in ihrer ganzen Vielfalt erkundet werden kann.
Eines der internationalsten Moers-Festivals
Befreit ist das Moersfestival 2024 längst von allen Reisebeschränkungen, diesmal kommen Musikerinnen und Musiker aus Australien, Belgien, Brasilien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Israel, Italien, Japan, Korea, Kuba, Namibia, den Niederlanden, Österreich, Portugal, Russland, der Schweiz, Südafrika, Uganda und den USA nach Moers.
Aus NRW im Hauptprogramm dabei sind die Cellistin Emily Wittbrodt und Violinisten Julia Brüssel, die aber zurzeit in London lebt und von dort zwei Mitmusiker nach Moers bringt. Ebenso ein Trio mit dem Kölner Bassisten Sebastian Gramss und Philip Zoubek unter Beteiligung des österreichischen Schlagzeugers Erwin Ditzner. Unter den herausragenden Figuren im Labor des Moersfestivals gehört Zeena Parkins, die schon oft hier war und mit ihrer Harfe zwischen Improvisation und Klangforschung jongliert. Der deutsche Posaunist Konrad "Conny" Bauer, eine Ikone des DDR-Freejazz, wird sein Talent ebenso präsentieren wie Amirtha Kidambi's Elder Ones aus den USA, die sich mit brisanten Themen wie Macht, Unterdrückung und Kapitalismus auseinandersetzt und auch gerne über Donald Trump vom Leder zieht. Das Projekt Antumbra, hinter denen Elias Stemeseder und Christian Lillinger stehen, will ebenfalls ihre eigenwilligen Stimmen in der europäischen Jazzlandschaft erklingen lassen. Eine Freude ist es auch, die Südtiroler E-Bassistin Ruth Goller mit ihrer aktuellen Band Skylla in Moers begrüßen zu können – es wäre eigentlich überfällig, dass die umtriebige Südtirolerin vielleicht auch mal als künftige Improvisor in Residence für Moers ins Gespräch kommt.
Zwei Länderschwerpunkte
Die 53. Ausgabe dürfte eine der „internationalsten“ in der Festivalgeschichte werden. Mit zwei sorgsam ausgearbeiteten Länderschwerpunkten wird gegengesteuert, dass es nicht inflationär wird. Es gibt nicht einfach "Afrika" angesichts von circa 55 Nationen auf diesem Kontinent. Deswegen rückt in diesem Jahr Namibia in den Brennpunkt. Das Land, das durch seine Kolonialgeschichte eng mit Deutschland verbunden ist, präsentiert eine facettenreiche Auswahl von Künstlern, deren Werke sowohl dem Bereich Klassik als auch Pop zugeordnet werden können.
Die Verbindung zwischen Japan und dem Moersfestival ist so alt wie das Festival selbst - eben weil es hier so einen starken gemeinsamen Nenner in Sachen freier Musik gibt. Bei ihren Reisen in Japan haben die Festivalmacher sich in der Szene umgesehen, bekannte Künstler wie Michiyo Yagi getroffen und heiße Newcomer wie Nonoko Yoshida und Matsuya Goketsu entdeckt. Besondere Aufmerksamkeit gilt aktuell der großartigen Band GOAT und ihrem Mastermind, Hier wird experimentelle Musik noch mit Medienkunst und Visual Arts bereichert. Faszinierend ist die Arbeit von Tsuzu Eri, die Lichtobjekte in Klänge umwandelt und eine einzigartige Verbindung zwischen Kunst und Musik schafft.
Moers für die Jugend
Dem Moersfestival liegt auch die Jugendarbeit am Herzen. In diesem Jahr werden Laetizia Carrera und Lukas Döhler eingeladen, um gemeinsam mit den jungen Talenten kreative Ideen zu entwickeln und umzusetzen. Das Projekt "Captain Niederrhein im Rausch des Universums" steht im Mittelpunkt des Angebots für Kinder und Jugendliche auf der World Enterprise 2024. Dieses Ensemble-Projekt bietet jungen Teilnehmern im Alter von 9 bis 19 Jahren die Möglichkeit, auch mal als Komponistinnen oder Komponisten auf der Bühne zu stehen. Mehr noch: Die Kreativwiese im Freien ermöglicht den jungen Menschen einen niederschwelligen Zugang zur Musik, wobei das Konzept seit 2018 umgedreht wurde. Statt dass Profis den Kindern zeigen, wie es geht, sollen die Kinder den Stars zeigen, was sie sich wünschen.