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Klanglandschaften in industrieller Kulisse

Die Konzerte bei der Ruhrtriennale 2025

Bochum, 08.08.2025
FOTO: Christian Palm  victimeyes iStock Evan Dawson, OGATA, Nathan Bajar, Shin Katan, Euan Danks Aytekin Yalçın

Das Ruhrgebiet war schon immer Resonanzraum für gesellschaftliche Umbrüche. Bei der Ruhrtriennale 2025 wird diese Tradition konsequent fortgeschrieben – nur dass diesmal nicht Kohle und Stahl den Takt vorgeben, sondern elektronische Synthesizer, Kirchenorgeln und biomechanische Vokalexperimente. Die Ruhrtriennale 2025 steht unter der künstlerischen Leitung von Ivo Van Hove, der das Festival bis 2026 prägen wird. Van Hove, bekannt für seine ambitionierten und vielgestaltigen Inszenierungen, bringt seine Erfahrung als Leiter des Internationaal Theater Amsterdam mit. Das Festival findet in diesem Jahr in Bochum, Duisburg, Essen und Gladbeck statt und bietet insgesamt 35 Produktionen und Projekte mit 136 Veranstaltungen. Zwischen Turbinenhalle und Maschinenhalle entsteht ein faszinierendes Spannungsfeld aus historischen Räumen und zeitgenössischen Klangvisionen.

Elektronische Pionierarbeit trifft auf industrielle Monumentalität

Den Auftakt macht eine längst überfällige Hommage: Will Gregory, bekannt als eine Hälfte von Goldfrapp, versammelt acht Keyboard-Virtuosen zum Will Gregory Moog Ensemble in der Turbinenhalle. Ihre Mission: die revolutionäre Arbeit von Wendy Carlos zu würdigen, jener Trans-Frau, die 1968 mit „Switched on Bach" nicht nur einen Grammy gewann, sondern die elektronische Musik aus ihrem Nischenschatten befreite. Gregory, der Carlos' Bach-Transkriptionen einst im Radio hörte und davon nachhaltig geprägt wurde, lässt nun Raritäten aus dem goldenen Zeitalter der analogen Mono-Synthesizer erklingen – eine technische Archäologie, die perfekt zur Ästhetik der Jahrhunderthalle passt.

Dass elektronische Musik und Industriearchitektur eine natürliche Symbiose eingehen, beweist auch das französische Kollektiv Les Apaches ! in der Maschinenhalle Zweckel. Maurice Ravels „Boléro" – eigentlich ein Orchesterwerk von 1928 – wird zum Ur-Techno erklärt und entsprechend behandelt: Die Zeche wird zum Dancefloor, das Publikum zur performenden Masse. Ein gewagtes Experiment, das Ravels eigenen Wunsch erfüllt, seinen Superhit in einer Fabrik zu hören. Die Metamorphose vom Orchesterwerk über den Jazz-Standard bis hin zum tranceartigen Techno mit der Pariser DJ Tatyana Jane zeigt exemplarisch, wie die Ruhrtriennale Musikgeschichte nicht musealisiert, sondern lebendig hält.

Klangmeditationen und postkoloniale Reflexionen

Einen völlig anderen Zugang wählt Jonny Greenwood, Radiohead-Legende und Ausnahmekomponist, mit seiner achtstündigen Orgelmeditation in der evangelischen Kirche am Markt Katernberg. „124 Years of Reverb" – der Titel passt sich dem Alter der jeweiligen Aufführungskirche an – ist auditive Archäologie und spirituelle Praxis zugleich. Greenwoods Faszination für die Zeitschichten, die in Kirchenmauern eingesickert sind, trifft auf den „Bergmannsdom" von 1901, der einst den ins Ruhrgebiet strömenden Arbeitern geistlichen Zufluchtsort bot. Die Wilhelm-Sauer-Orgel wird zur Zeitmaschine, die Kompositionsprinzipien der karnatischen Musik Südindiens integriert – ein postkolonialer Dialog zwischen europäischer Orgeltradition und indischer Raga-Theorie.

Explizit politisch wird es mit Tyshawn Sorey, dem Pulitzer-Preisträger von 2024, der gleich zweimal auftritt. Seine Liederzyklen „Cycles of My Being" und die Countertenor-Arie „Save the Boys" verhandeln Schwarze Männlichkeit in Amerika zwischen den Zeilen von Frances Ellen Watkins Harper (1887) und Terrance Hayes (heute). Dass mehr als ein Jahrhundert zwischen den Texten liegt, aber dieselbe Realität beschrieben wird, macht die Dringlichkeit dieser Musik spürbar. Sorey, zu Hause in Neuer Musik wie im Jazz, nutzt die Intimität des Liedgenres für gesellschaftspolitische Statements – und zeigt sich wenige Tage später mit seinem Trio als Ausnahmeschlagzeuger zwischen Standards und Neukompositionen.

Experimentelle Grenzüberschreitungen

Die feministische türkische Rocksängerin Gaye Su Akyol bringt Anadolu-Rock ins 21. Jahrhundert und verbindet in der halboffenen Gießhalle Post-Punk und Grunge mit anatolischer Volksmusik. Ihre Anknüpfung an psychedelische Musik der 1970er Jahre und Folk-Ikonen wie Selda Bağcan zeigt, wie sich traditionelle Formen radikal aktualisieren lassen.

Einen weiteren experimentellen Höhepunkt markiert die Supergroup OSMIUM mit der Oscar-prämierten Komponistin Hildur Guðnadóttir (Chernobyl, Tár), James Ginzburg, Sam Slater und dem indonesischen Underground-Künstler Rully Shabara. Ihre elektroakustischen Klanglandschaften, metallischen Drones und biomechanischen Vokalisen entstehen mit selbstentwickelten Instrumenten: Guðnadóttirs „Halldrophon" spielt mit instabilen Rückkopplungsschleifen, während Shabara mit seinen Stimmbändern robotische Klänge imitiert. Ein faszinierender Versuch, die Grenze zwischen Mensch und Maschine performativ zu erkunden.

Queerer Glamour und ökologische Reflexionen

Venezolanische Extravaganz verspricht Samuel Mariño, ein seltener Sopranista, der als männlicher Sopran höher singt als ein Countertenor. Seine gendernormsprengende Performance barocker Bravourarien, begleitet vom Originalklangensemble Capella Cracoviensis, verwandelt die Gebläsehalle in einen Ort queeren Glamours und historischer Aufführungspraxis.

Den konzeptionellen Abschluss bildet David Langs „before and after nature" mit Chorwerk Ruhr und den New Yorker Bang on a Can All-Stars. Der Avantgarde-Komponist reagiert auf das Ende der „Mutter Natur" durch menschliche Eingriffe – unterstützt von Tal Rosners Videoprojektionen, die nostalgische Naturbilder dekonstruieren.

Industrielle Räume als Klangverstärker

Was alle diese Konzerte verbindet, ist die bewusste Nutzung der spezifischen Akustik und Ästhetik industrieller Räume. Die Turbinenhalle wird zum Resonanzkörper für elektronische Experimente, die Maschinenhalle zum Dancefloor, die Gießhalle zur halboffenen Konzerthalle. Diese Räume sind nicht neutrale Container, sondern aktive Partner der musikalischen Konzepte. Sie tragen die Geschichte der Arbeit in sich und werden nun zu Schauplätzen kultureller Arbeit umfunktioniert – ein Transformationsprozess, der das Ruhrgebiet seit Jahrzehnten prägt. Die Ruhrtriennale 2025 zeigt eindrucksvoll, wie zeitgenössische Musik auf historische Räume reagiert und dabei neue Bedeutungsschichten freilegt. Zwischen Wendy Carlos' Synthesizer-Pionierarbeit und David Langs ökologischen Reflexionen entsteht ein faszinierendes Panorama gegenwärtiger Musikproduktion, das weit über bloße Konzertdarbietung hinausgeht und einmal mehr zu einer kulturpolitischen Standortbestimmung wird.

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