Jazz war seine zweite Leidenschaft
Zum Tode von Roger Willemsen
TEXT: Dietrich Schlegel | FOTO: S. Fischer Verlage
Die Literatur war die eine Leidenschaft des am vergangenen Sonntag am Krebs gestorbenen Autors, Fernseh-/Radio-Moderators und Filmemachers Roger Willemsen. Seine zweite war der Jazz. Sie kam aber in den vielen Nachrufen in den Medien eher zu kurz, wurde oft gar nicht einmal erwähnt. Zu vielfältig, fast unübersehbar war auch das Schaffen dieses ungewöhnlichen, auch ungewöhnlich kreativen Intellektuellen. Doch die Hingabe, mit der er sich der Musik im Allgemeinen und dem Jazz im Besonderen widmete, war beeindruckend. Er verfügte über fundierte Kenntnisse der Geschichte des Jazz, seiner Stilrichtungen und seiner Interpreten. Und er war – wie das Verve-Online-Magazin „Jazz Echo“ seinen Nachruf überschrieb – „ein Advokat des Jazz“, ein unermüdlicher Werber für die heiß geliebte Musik der Improvisation. In seine Fernseh-Talkrunden lud er nicht nur Jazzmusiker wie Herbie Hancock, Chick Corea oder Quincy Jones ein. Er gewann auch Michel Petrucciani (1962 – 1999) zum „Hauspianisten“ seiner Talkshow „Willemsens Woche“ und verschaffte dem durch seine Knochenkrankheit schwer behinderten, aber ungestüm lebenshungrigen genialen Musiker in Deutschland eine über die Jazzszene hinaus reichende Bekanntheit. Die Zusammenarbeit der beiden schon so äußerlich unterschiedlichen Männer – Petrucciani war nur einen Meter, Willemsen fast zwei Meter groß – entwickelte sich zu einer wunderbaren Freundschaft. 1995 drehte Willemsen den Dokumentarfilm „Non Stop – Eine Reise mit Michel Petrucciani“. Und an Michael Radfords großem Filmporträt „Michel Petrucciani – Leben gegen die Zeit“ beteiligte sich Willemsen als Co-Produzent.
Bei NDR-Kultur lief ab 2009 bis zum Ausbruch seiner Krankheit die Sendereihe „Roger Willemsen legt auf – Klassik trifft Jazz“, ein Programm, bei dem er ausgewählte klassische Kompositionen mit bestimmten Jazzaufnahmen in Vergleich setzte und dadurch manch neue Hörerlebnisse vermittelte. Mit diesem Programm ging er auch auf Tournee. 2007 veröffentlichte Willemsen „99 mal Jazz – Das klingende Lexikon“, eine dreistündige 3-CD-Box mit einführenden Texten. Eine umfangreiche, bewusst subjektive Auswahl mit kommentierten Jazzaufnahmen gestattete sich Willemsen mit der 2011 erschienenen 2 CD-Box „My Favourite Things“ (bei Roof Music). Dass kein deutscher Musiker darin berücksichtigt wurde, dafür aber der polnische Pianist und Komponist Krzysztof Komeda und der hierzulande völlig unbekannte äthiopische Saxophonist Mulatu Astatke sollte nicht vergrämen, denn die Stücke sind allesamt des Zuhörens wert, auch wegen mancher Überraschung. Gleiches gilt auch für die ein Jahr später folgende, überwiegend den Vokalistinnen vorbehaltene Kompilation „My Favourite Things – Singer“ (ebenfalls bei Roof). Die Bühnenpräsentation dieser „Favourites“ durch den wortgewandten, mit geschliffenen und auch witzigen Formulierungen brillierenden „DJ“ Willemsen war ein Genuss für sich. So zum Beispiel auch im Dezember 2014 im ausverkauften Düsseldorfer „Kom(m)ödchen“, als er die Präsentation des „75 Jahre Blue Note“-Prachtbandes „Talkin‘ About Painted Jazz!“ mit den Jazz-Gemälden von Dietrich Rünger durch seinen Vortrag und treffende Beispiele aus seiner umfangreichen Plattensammlung bereicherte. Niemand im begeisterten Publikum und wahrscheinlich auch er selbst nicht ahnte, dass dieser leidenschaftliche Jazz-Fan Roger Willemsen im August 2015 seine Krebskrankheit und damit seinen Rückzug aus der Öffentlichkeit verkünden würde. Sein Tod stellt einen großen Verlust nicht nur für das kulturelle Leben in Deutschland, sondern auch für die Jazz Community dar.
Mit freundlicher Genehmigung der jazzzeitung.de