Farewell Wolfgang Rihm
Ein Leben in und für die Musik
FOTO: Hans Peter Schaefer
Die Musikwelt trauert um Wolfgang Rihm, einen der bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten, der im Alter von 72 Jahren in der Nähe seiner Heimatstadt Karlsruhe verstarb. Rihm hinterlässt eine beeindruckende künstlerische Hinterlassenschaft, die die Musikwelt nachhaltig geprägt hat. Wolfgang Rihm, geboren am 13. März 1952 in Karlsruhe, war eine prägende Figur in der zeitgenössischen Musikszene. Neben Karlsruhe, wo er bis zuletzt lebte und arbeitete, hatte Rihm auch in Berlin einen Zweitwohnsitz. Seine musikalische Ausbildung begann früh, und bereits als Jugendlicher zeigte sich sein außerordentliches Talent. Er studierte zunächst bei Eugen Werner Velte an der Hochschule für Musik Karlsruhe und setzte seine Ausbildung später bei Karlheinz Stockhausen und Klaus Huber fort. Diese prägenden Einflüsse formten seine einzigartige musikalische Stimme und ebneten den Weg für seine beeindruckende Karriere.
Sein künstlerischer Durchbruch erfolgte bereits in seinen Zwanzigern, als seine Orchesterwerke "Sektor IV aus Morphonie" und "Sub-Kontur" bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt wurden und für Aufsehen sorgten. Diese Werke, die keiner damals erwartbaren kompositorischen Richtung folgten, machten ihn schnell zu einem herausragenden Namen in der modernen Musik. Rihms Schaffen war gekennzeichnet durch eine außergewöhnliche Vielfalt und eine ständige Suche nach neuen Ausdrucksformen. Sein Werkverzeichnis umfasst über 500 Kompositionen, darunter Kammermusik, Lieder, Solokonzerte, großformatige Orchesterwerke und Musiktheater. Zu seinen bekanntesten Werken zählen "Die Hamletmaschine" und "Jakob Lenz". Für die Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie im Jahr 2017 schrieb er eine besondere Auftragskomposition, die seine anhaltende Relevanz und Kreativität unter Beweis stellte.
Menschen aufrütteln und dabei zugänglich bleiben
Rihms Musik war oft düster, manchmal machtvoll rhythmisch und manchmal durchscheinend zerbrechlich. Seine Werke rüttelten auch Menschen auf, die mit neuer Musik weniger vertraut waren. Er verstand es, komplexe und tiefgründige Musik zu schaffen, die dennoch zugänglich und eindringlich blieb. Für ihn war Musik niemals elitär, sondern eine universelle Sprache. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter 2003 den Ernst von Siemens Musikpreis, eine der höchsten Ehrungen in der Musik. Trotzdem ließ er sich von solchen Ehrungen nicht von seiner Arbeit ablenken. Seine Reaktion auf die Preisverleihung war charakteristisch: „Wunderbar! Aber es stört bei der Arbeit.“ Er beherrschte die kompositorischen Mittel der Avantgarde ebenso virtuos wie traditionelle Techniken. Für ihn war "Crossover" ein Gräuel – ein „Verbindungsgematsche“. Stattdessen verschmolz er in seinen Werken verschiedene Stile zu einem einzigartigen Ausdruck. Er schrieb für nahezu jede musikalische Gattung: vom Streichquartett über Oper, Lied, Sakralmusik, Sinfonie bis hin zum Ballett. Seine Werke reichen von Orchesterstücken wie "Dunkles Spiel" bis zu Klavierstücken wie "Mehrere kurze Walzer", die spielerische Eleganz mit wilden Ausbrüchen verbinden.
Als Komponist und Musikschriftsteller vertrat Rihm eine Ästhetik, die das subjektive Ausdrucksbedürfnis in den Mittelpunkt stellte. Beeinflusst von Künstlern wie Hans Werner Henze, Karlheinz Stockhausen und Luigi Nono sowie literarischen Impulsen von Paul Celan, Friedrich Nietzsche, Antonin Artaud und Heiner Müller, betrachtete er seine Stücke oft als „work in progress“. Die Idee, seine Werke durch Erweiterung und Verflechtung ständig zu korrigieren und zu ergänzen, spiegelte seine Vorstellung von einem großen Musikblock wider, in den jede Komposition zugleich ein Teil und eine in ihn gemeißelte Physiognomie war.
Wolfgang Rihms Bedeutung für die Musik der Gegenwart kann kaum überschätzt werden. Er war nicht nur ein produktiver Komponist, sondern auch ein innovativer Denker, der die Grenzen der Musik ständig erweiterte und neu definierte. Seine Werke bieten eine unvergleichliche Bandbreite an Emotionen und Ausdrucksformen, die von tiefer Dunkelheit bis zu lebhafter Vitalität reichen. Diese Vielseitigkeit machte ihn zu einer zentralen Figur der zeitgenössischen Musik.
Ein Lehrender und Mentor
Sein Einfluss reicht weit über seine eigenen Kompositionen hinaus. Ein wichtiger Bestandteil seines Lebens war seine Lehrtätigkeit an der Hochschule für Musik Karlsruhe. Dort bildete er zahlreiche Komponistinnen und Komponisten aus, die heute selbst erfolgreiche Musiker sind. Die Studierenden der Hochschule ehren ihn durch regelmäßige Konzerte im „Wolfgang Rihm Forum“, einem Konzertsaal im Neubau der Hochschule, der seinen Namen trägt. Als Lehrer und Mentor prägte er eine neue Generation von Komponistinnen und Komponisten, die seine Leidenschaft für Musik und seine innovative Herangehensweise weitertragen. Sein Engagement für die Ausbildung junger Musiker und seine Fähigkeit, traditionelle Techniken mit avantgardistischen Elementen zu verbinden, haben das musikalische Erbe Europas nachhaltig beeinflusst.