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Farewell Marylin Mazur

Der ganze Körper ein Instrument

New York, 15.12.2025
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Per Morten Abrahamsen

Die Schlagzeugerin und Perkussionistin Marilyn Mazur ist am 12. Dezember im Alter von 70 Jahren gestorben. Sie spielte bei Miles Davis, leitete eigene Ensembles und ja – sie machte Rhythmus zur feministischen Praxis.

Es gibt Musikerinnen, die man hört. Und es gibt solche, bei denen das Hören nur der Anfang ist. Marilyn Mazur gehörte zur zweiten Kategorie. Wenn sie spielte, wurde das oft zu einem Ereignis, das den Raum verändert. Allein die Bühnenpräsenz dieser Musikerin: Sie saß nicht hinter dem Schlagzeug – sie bewohnte es, inmitten von Trommeln, Gongs, Becken, Klangschalen und Objekten aus aller Welt.

Viele Konzerteindrücke wirken nach

Viele erlebte Liveauftritte, alle aus jüngerer Zeit, wirken bis heute nach: Vor allem ein intensiver Abend beim Krefelder Open-Air-Festival »Jazz an einem Sommerabend« mit ihrer eigenen, traumwandlerischen Band. Oder, gerade mal zwei Jahre her, eine experimentelle Besetzung auf dem Moers Festival, wo ihre Bereitschaft, musikalische Räume zu öffnen und mit anderen, viel jüngeren kreativen Stimmen in dichten Dialog zu treten, auf ein Publikum traf, das genau das suchte.

Am 12. Dezember ist Mazur im Alter von 70 Jahren gestorben. Geboren in New York, aufgewachsen in Dänemark, war sie eine jener Künstlerinnen, die sich nationalen Zuschreibungen entzogen. Was zählte, war die Musik gepaart mit einer großen Konsequenz, um das Schlagzeug aus seiner dienenden Funktion zu befreien. Perkussion als eigene Stimme und eigene Sprache!

Dass sie damit in den 1980er Jahren in einer Band von Miles Davis landete, als eine der wenigen Frauen überhaupt, war folgerichtig: Davis suchte immer nach Leuten, die mehr wollten als ihren Job machen. Die Zusammenarbeit öffnete Türen zu weltweiten Tourneen und prägenden Begegnungen – aber Mazur brauchte keine großen Namen als Legitimation. Ihre zahllosen eigenen Projekte – allen voran die Band Future Song – waren keine Begleitbands mit Frontfrau, sondern kollektive Organismen. Verschiedene Traditionen trafen aufeinander: europäischer Jazz, afrikanische Rhythmen, skandinavische Kühle. Mazur komponierte Räume, keine Songs. Sie führte ohne zu dominieren, schuf Strukturen, die Freiräume eröffneten, und verstand es, musikalische Spannungen in kreative Energie zu verwandeln.

Ihre Aufnahmen für das ECM-Label haben Referenzcharakter – egal ob in puncto kompositorischer Tiefe, Höchstleistungen der beteiligten Musiker und auch in puncto glasklarem, druckvollem Sound. Die Ästhetik des Raums, für die ECM steht – die Stille als Klang, die Reduktion als Fülle –, so etwas atmet in Mazurs Einspielungen regelrecht.

Diese Künstlerin nahm sich Raum 

Man könnte jetzt das übliche Feuilleton-Vokabular auspacken: Grenzgängerin, Pionierin, Brückenbauerin. Stimmt alles. Aber es greift zu kurz. Was Mazur tat, war handfester: Sie nahm sich Raum. In einer Szene, die nach wie vor männlich dominiert ist, in einer Rolle – Schlagzeug –, die nach wie vor männlich konnotiert ist, etablierte sie eine Präsenz, die keine Anpassung kannte. Aber das war programmatischer Aktivismus. Sondern einfach da. In jeder Note und jeder Bewegung. Marylin Mazur spielte und das Argument war erbracht.

Über ihre eigene Karriere hinaus wirkte sie als Mentorin. Jüngere Musikerinnen und Musiker fanden in ihr eine Gesprächspartnerin, die Erfahrung teilte, ohne Wege vorzuschreiben. Ihre Offenheit gegenüber neuen Formen und Kooperationen blieb bis zuletzt ungebrochen – sie war eine gesuchte Partnerin für experimentelle Projekte, neugierig auf das, was kommt.

70 Jahre sind kein Alter, um zu sterben. Aber Mazur hinterlässt genug, um weiterzuwirken: Aufnahmen, die ihren Rang dokumentieren, Schülerinnen und Schüler, die ihre Haltung weitertragen und die Erinnerung an Liveerlebnisse von seltener Intensität. In NRW und anderswo. Musik als Befreiung.

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