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Ein Leben für den Jazz

Farewell Ilse Storb!

Essen, 11.11.2025
FOTO: Bildquelle: Youtube Screenshot

Die „Jazzmutter der Nation" starb am 8. November in ihrer Heimatstadt Essen. Mit ihr geht eine Ära zu Ende – und ein Stück rebellischer Kulturgeschichte des Ruhrgebiets Essen war ihr Anfang und ihr Ende. Am 18. Juni 1929 kam Ilse Storb hier zur Welt, am 8. November 2025 starb sie in derselben Stadt, 96 Jahre alt. Dazwischen liegen Jahrzehnte, in denen sie den Jazz in Deutschland nicht nur erforscht, sondern erkämpft hat – als Wissenschaftlerin, Pädagogin, Musikerin. Als eine, die keine Kompromisse machte, wenn es um die Sache ging.

Dass eine Frau, geboren im Essener Industriemilieu der späten Zwanziger, zur ersten und lange einzigen Professorin für Jazzforschung in Europa werden würde, war alles andere als vorgezeichnet. Storb studierte Schulmusik und Romanistik in Köln, forschte über Debussy an der Sorbonne, ging ans Berklee College nach Boston. Ihre Habilitation galt Dave Brubeck – dieser Bogen von französischem Impressionismus zum kalifornischen Cool Jazz war typisch für sie: neugierig, grenzüberschreitend, unorthodox.

Musik muss man erleben, nicht analysieren

1971 gründete sie mit Joe Viera das JazzLabor an der Pädagogischen Hochschule Duisburg. Was heute selbstverständlich klingt – Jazz als akademisches Fach –, war damals eine kleine Revolution. Hier wurden nicht nur Standards analysiert, hier wurde gespielt, improvisiert, geforscht im Tun. „Musik muss man erleben, nicht nur analysieren", sagte Storb einmal über ihre pädagogische Philosophie. Mit Theo Jörgensmann, Monika Linges und Helen Sachs arbeiteten hier Musiker, die selbst zu prägenden Figuren der Szene wurden. Das JazzLabor war Keimzelle für Generationen von Jazzpädagogen in NRW, ein Ort, an dem Praxis und Theorie zusammenfanden, lange bevor das zum Modewort wurde. 1982 wurde sie zur Professorin für Systematische Musikwissenschaft einschließlich Jazzforschung an der Universität Duisburg ernannt – eine Denomination, die es so kaum ein zweites Mal gab in Europa. Doch Anfang der neunziger Jahre kam das Aus: Die Folkwang-Hochschule wollte alle Stellen nach Essen ziehen, Storbs Bemühungen um eine Kooperation zwischen jazzkünstlerischer und jazzwissenschaftlicher Ausbildung scheiterten. Das JazzLabor wurde liquidiert – ein kulturpolitischer Fehler, wie sich zeigen sollte.

Weltmusik als Lebensprogramm

Storb ließ sich nicht entmutigen. Sie gründete 1989 die Uni Duisburg Big Band, 1991 die Truppe Ilse and her Satchmos, trat bundesweit auf. Ihre Energie war legendär: Über dreißig Forschungsreisen führten sie seit 1971 nach Schwarzafrika, weitere nach Nigeria, Brasilien, Japan, China, immer wieder in die USA. 1996 reanimierte sie das Jazzfestival von Tabarka in Tunesien, hielt Vorträge vor der International Association of Jazz Education, wurde mehrfach ausgezeichnet. 1998 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz für ihre interkulturelle Vermittlung und weltweite Friedensarbeit. Nach ihrer Emeritierung blieb Essen ihr Zentrum. In Zusammenarbeit mit der Folkwang-Musikschule rief sie das Labor für Weltmusik ins Leben – einmalig im Ruhrgebiet, ein Ort praktischer Forschung und künstlerischer Begegnung. Sie lebte in Bredeney, pflegte Kontakte nach Afrika, Asien, Amerika, war Schirmherrin des Vereins Karuna Deutschland. Und sie war präsent: bei DAS!, im Kölner Treff, bei Maischberger, sogar beim Promi-Dinner. Mit 85 gab sie im Deutschlandradio ein einstündiges autobiografisches Interview – hellwach, streitlustig, unversöhnt mit Kulturpolitikern, die sparen wollten. „Ich habe nie verstanden, warum man Kultur und Bildung gegeneinander ausspielen muss", schimpfte sie, wenn wieder einmal Budgets gekürzt wurden.

Was bleibt, ist ein dichtes Netz aus Schülerinnen und Schülern, aus Institutionen und Projekten, die ohne sie nicht existieren würden. Storbs Tod ist ein Verlust für das Ruhrgebiet, für die deutsche Jazzszene, für alle, die Musik als Mittel der Verständigung ernst nehmen. In Essen ist eine Stimme verstummt, die nicht zu ersetzen ist. Aber ihr Echo hallt weiter – in den Menschen, die sie geprägt hat, in der Selbstverständlichkeit, mit der Jazz heute gelehrt und gelernt wird. Ilse Storb hat Spuren hinterlassen. Tiefe.

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