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EIN LINEUP MIT GEWICHT

Vorschau aufs New Colours Festival 2023

Gelsenkirchen, 18.05.2023

Vom 7. bis 10. September bespielt das zweite New Colours Festival das nördliche Ruhrgebiet und zeigt an zahlreichen besonderen Spielorten die ganze Vielfalt des europäischen Jazz der Gegenwart.

Kann man sich in Zeiten globaler Krisen einfach so von Musik beglücken lassen? Die Philosophie dieses noch jungen Festivals bejaht diese Frage. Für eine schöpferische Gestaltung der Zukunft gilt es, ausgetretene Pfade zu verlassen und sich auf Neues einzulassen. Die Kunst - also auch die Musik - ist dafür das ausdrucksstärkste Mittel. Sie öffnet Sinne und regt zu kreativem Denken an. Die Premiere unseres Festivals im krisengebeutelten Gelsenkirchen wurde vom heimischen und auswärtigen Publikum sowie von der lokalen, nationalen und internationalen Presse begeistert aufgenommen. Nach einem solchen Debut ist die zweite Ausgabe im Jahr 2023 eine besondere Herausforderung, der wir uns gerne stellen. Mit 15 Konzerten an elf Spielstätten, von denen einige neu dazu gekommen sind.

Architektonische Kleinode warten auf ihre Erkundung

Viele Klischees vom Ruhrgebiet können schon an der nächsten Straßenecke über den Haufen geworfen werden. Das Schloss Horst, eine der größten vierflügeligen Renaissance-Schlossanlagen nördlich der Alpen steht – in Gelsenkirchens Innenstadt. Ein anderer Spielort ist das Hans-Sachs-Haus aus dem Jahr 1927 mit seiner einzigartigen expressionistischen Fassade. Viele industrielle Bauten verkörpern den Ausbruchsgeist der Industrialisierung. Feingliedrige Anklänge an Jugendstil und Neugotik bietet etwa der „Stadt.Bau.Raum“ eine ehemaligen Zechen-Maschinenhalle. Die Schauburg in Gelsenkirchen ist einer der letzten prunkvollen Filmpaläste Deutschlands und mit seinem dekadent-stylischen Ambiente genau das richtige für Live-Jazz. Das ehrwürdige Leibnitz-Gymnasium in Gelsenkirchen-Buer aus dem Jahr 1908 wartet mit einer prunkvollen, farbigen Fensterkunst wie in einer Kathedrale auf. Die Stadt Marl am äußersten Nordrand des Ruhrgebiets verfügt über einen hervorragenden Konzertsaal, der vom Stararchitekten Hans Scharoun nach dem Vorbild der Berliner Philharmonie erbaut worden ist. Eine ehemalige Zechen-Waschkaue in Herten kann mit ihrem rauhen postindustriellen Ambiente jeder Off-Location in Berlin oder Detroit das Wasser reichen. Last but noch least: Als „höchste Konzertbühne im Ruhrgebiet“ steht auch bei der zweiten Festivalausgabe wieder der Nordsternturm, ein ehemaliger Förderturm bereit. Livemusik ist kein Selbstzweck beim New Colours Festival. In diesem Sinne laden die vier Festivaltage zur lebendigen Erkundungsreise in die kulturelle und historische Diversität des nördlichen Ruhrgebiets ein. Viele architektonische Kleinode warten auf ihre Entdeckung.

Jazz ist gelebte Toleranz

Im Jazz funktioniert vieles besser als in der Weltpolitik: Kulturen und Nationalitäten schöpfen leichtfüßig aus dem Nährboden einer gelebten Toleranz. So klingt auch das Trio des frankovietnamesischen Weltklasse-Gitarristen Nguyen Lé. Ebenso lässt der iranische Perkussionsspieler Afra Mussawisade mit zwei Musikern aus NRW eine Welt erklingen, die sich über kulturelle Grenzen hinaus ein facettenreiches Universum schafft.

Der Pianist Joachim Kühn wurde gerade für sein Lebenswerk mit dem Deutschen Jazzpreis ausgezeichnet. Sein Soloauftritt gehörte zu den Höhepunkten beim New Colours Festival 2022. Der Schlagzeuger Daniel Humair spielte über viele Jahrzehnte im Trio von Joachim Kühn. Beim zweiten New Colours Festival bereichert Humair die aktuelle Band des luxemburgischen Ausnahmesaxofonisten Maxime Bender.

Jazz hat mit Emanzipation zu tun. Das kann auch bedeuten, bestimmte Instrumente aus ihren bisherigen konventionellen Rollen heraus zu lösen. Kompromissloser als bei diesen zwei Musikern geht das wohl kaum: Dem Österreicher Matthias Loibner hat es die uralte - zugleich extrem raffiniert erdachte - Drehleier angetan. Wenn Loibner mit der Kurbel die rotierende Scheibe auf Touren bringt, wird dieses Instrument aus dem Mittelalter in die musikalische Gegenwart katapultiert. Damit kann wohl nur einer mithalten: Nämlich der schweizerische Schlagzeuger Lucas Niggli, definitiv einer der universellsten Vertreter seiner Zunft. Dieses Duo-Konzert erhebt sich nicht nur über musikalische Konventionen, sondern findet auch circa 80 Meter hoch über den Dächern des Ruhrgebiets statt, diesmal auf dem besagtem Nordsternturm.

Networking in der europäischen Live-Szene

Ein Jazzfestival programmieren hat mit Networking und ständiger Erkundung der aktuellen Live-Szene zu tun. Bernd Zimmermann und Susanne Pohlen wurden unter anderem in den Benelux-Ländern fündig für die aktuelle Festivalausgabe: Etwa bei der Brüsseler Band „Dishwasher“, die auf jede Frage, ob das Gehörte eher Jazz, Hiphop oder Heay Metal ist, am liebsten mit noch mehr Überwältigungskraft antwortet. Die luxemburgische Musikszene klingt wie dieses kleine Land: Sehr freundlich und familiär, aber zugleich einflussreich und weltoffen. Keine Ausnahme macht hier die Band „Klein 2“ des Pianisten, Keyborders und Vibrafonisten Jerome Klein. Mit Paul Belardi verfügt er über einen Seelenverwandten, um aus zahllosen Einflüssen von Jazz, Fusion bis zu Electronic Rock und Hiphop zu schöpfen.

Klavierfans werden beim New Colours Festival reich bedient durch zwei hochvirtuose Highend-Trios: Die Formation des Spaniers Daniel Garcia schöpft aus dem Erbe von Flamenco eine hochkarätige Improvisationskunst auf Weltklasse-Niveau. Freuen darf man sich auf den kubanischen Tastenmagier Ramon Vallé, der in Marls Scharon-Aula mit seinem langjährigen Trio wahre Feuerwerke der Leidenschaft abbrennen will. Aber es laden auch ruhigere Klanglandschaftenzum Eintauchen ein: Der Trompeter Marius Gjerso gehört zu den jüngeren, aktuellen Vertretern der einzigartigen norwegischen Jazzszene. Sein stimmungsvoller, weit verzweigter Kammerjazz entführt auf Anhieb in weite nordische Landschaften.

Ungebremste Kreativität

Auf eines ist in der Jazzwelt von heute Verlass, und das „New Colours“-Festival liefert vom 7. bis 10. September genug Belege dafür: Die Kreativität zahlloser Musiker*innen und Bands ist auch in schwierigen Zeiten nicht zu bremsen. Aufhorchen lässt die Bassistin Lisa Hoppe, die in ihrem deutsch-israelisch-schweizerischen Projekts „Ysop“ einen hohen Grad an intelligent umgesetzter Empfindsamkeit entfaltet. Improvisieren gehört zur musikalischen Gegenwart, aber ist musikgeschichtlich eine uralte Sache. Sie fand und findet ausgiebig auf Kirchenorgeln statt. Der Brite Kit Downes lotet auf der Schuke-Orgel in der Gelsenkirchener Matthäuskirche neue Wege für die musikalische Zukunft auf.

Die Musikwelt hat viel mehr zu bieten als den einfältigen Viervierteltakt der Unterhaltungsindustrie. Umso wertvoller ist es, schon ganz junge Menschen für die ganze Freiheit, die in Musik möglich ist, zu sensibilisieren. Dieser Aufgabe nimmt beim „New Colours Festival“ der österreichische Multiinstrumentalist Christoph Pepe Auer auf spielerisch leichtfüßige Weise an - bei einem Kinderkonzert zusammen mit dem Gitarristen Manfred „Speedy“ Temmel.

„Destination Future Jazz“ könnte ein passendes Motto für dieses Festival sein – dieser Slogan fiel aber schon vor 25 Jahren einer deutschen Kultband ein, die daraus den Bandnamen „De-Phazz“ kreiierte. Der Name war Programm,mit dem die deutsche Band die Clubkultur zu erobern, in der die Türen für Jazzelemente seitdem weit offen stehen. „De-Phazz“ spielen zum Finale des New Colours-Festival in ihrer Lieblingsbesetzung, zu der auch die Sängerin Pat Appleton mit ihrer souligen Stimme gehört.

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