Angestellte first - Selbständige never
Musikverbände fordern Nachbesserung bei der "Aktivrente"
Wenn der Staat beschließt, wer im Alter seine Rente durch Arbeit aufbessern darf und wer gefälligst leer ausgehen soll: Die Bundesregierung zeigt durch die Ausgestaltung ihrer ab dem 1. Januar eingeführten Regelung zur "Aktivrente", dass sie Solidarität buchstabieren kann – aber nur für die, die ins gewünschte Raster passen. Die „Aktivrente" sieht einen Zuverdienst von 2.000 Euro monatlich steuerfrei für Menschen vor, die über die Regelaltersgrenze hinaus arbeiten. Klingt erstmal sozial. Doch halt: Diese Wohltaten gelten nur für „nichtselbstständige Arbeit". Selbstständige? Pech gehabt. Willkommen in der Bundesrepublik Deutschland, wo manche gleicher sind als andere. Die Musikverbände PRO MUSIK, Deutsche Jazzunion, FREO, unisono und der VUT schlagen zu Recht Alarm.
Eine Klavierlehrerin, 68 Jahre alt, unterrichtet seit vier Jahrzehnten. Ihre Rente aus der Künstlersozialkasse beträgt knapp 900 Euro. Um über die Runden zu kommen, gibt sie weiterhin Unterricht – 1.500 Euro im Monat, die sie als selbstständige Musiklehrerin versteuern muss. Ein Jazzmusiker, 70, spielt seit 50 Jahren. Seine Rente reicht nicht, also steht er noch regelmäßig auf der Bühne. Auch er: selbstständig, auch er: versteuert jeden Euro seiner Gagen. Beide haben ihr Leben lang in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt. Beide arbeiten im Alter weiter, weil sie müssen. 2.000 Euro monatlich steuerfrei für Menschen, die über die Regelaltersgrenze hinaus arbeiten sind eine schöne Geste der Anerkennung – könnte man meinen. Doch für die Klavierlehrerin und den Jazzmusiker gilt diese Regelung nicht?
Eine Logik der Ausgrenzung
Denn was sich hier abzeichnet, ist ein sozialpolitischer Skandal, verpackt in bürokratische Prosa und garniert mit einer Begründung, die nur als zynisch bezeichnet werden kann. Man höre und staune: Laut Gesetzentwurf benötigen selbstständig Erwerbstätige keine „Anreize zur Weiterarbeit". Diese Begründung ist ein Schlag ins Gesicht all jener Musiker*innen und Kulturschaffenden, die jahrzehntelang in die Sozialkassen eingezahlt haben – oft über die Künstlersozialkasse, also vollständig sozialversicherungspflichtig. Aber wenn es um steuerliche Erleichterungen geht, werden sie plötzlich zu Menschen zweiter Klasse degradiert. Die Botschaft ist unmissverständlich: Wer im Alter noch auf der Bühne steht oder unterrichtet, arbeitet aus „persönlicher Berufung" – aber bitte schön nicht aus finanzieller Notwendigkeit. Diese Realitätsverweigerung spottet jeder Beschreibung. Die Musikverbände formulieren es deutlich: „Viele unserer Mitglieder sind im Rentenalter weiterhin künstlerisch aktiv – aus finanzieller Notwendigkeit, gesellschaftlichem Engagement oder persönlicher Berufung." Die prekären Lebenslagen vieler Kulturschaffender sind hinlänglich dokumentiert. Aber es passt offenbar nicht ins Weltbild einer Regierung, die Erwerbsarbeit nur dann als schützenswert erachtet, wenn sie im Angestelltenverhältnis stattfindet.
Systematischer Feldzug gegen die Selbstständigkeit
Die Aktivrente reiht sich nahtlos ein in eine Serie von Entscheidungen, die Selbstständigkeit in Deutschland zunehmend unattraktiv machen. Ob verschärfte Scheinselbstständigkeits-Prüfungen, höhere bürokratische Hürden oder steuerliche Benachteiligungen – das Muster ist eindeutig: Wer nicht im klassischen Angestelltenverhältnis arbeitet, wird systematisch gegängelt und von staatlichen Förderungen ausgeschlossen. Hier wird eine willkürliche Trennlinie gezogen zwischen „guter" abhängiger Beschäftigung und „verdächtiger" Selbstständigkeit. Als wäre das aktive Einkommen einer Klavierlehrerin weniger wert als das einer angestellten Büroangestellten. Diese Ungleichbehandlung ist verfassungsrechtlich fragwürdig und offenbart eine ideologische Schlagseite: Erwerbsarbeit wird nach Beschäftigungsform sortiert. Wer selbstständig ist, gilt als privilegiert – selbst wenn er von der Hand in den Mund lebt. Dabei sind es gerade Selbstständige, die Innovation vorantreiben und Flexibilität leben. Statt diese Vielfalt zu fördern, wird ein Zweiklassensystem zementiert: hier die „schutzbedürftigen" Angestellten, dort die angeblich privilegierten Selbstständigen. Die Verbände stellen klar: „Die geplante Schlechterstellung widerspricht dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes (Art. 3 GG) und ist Ausdruck einer verfehlten Bevorzugung von Erwerbsarbeit, wenn sie in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsform stattfindet."
Prekariat statt Privilegien
Die Wirklichkeit sieht anders aus: Viele selbstständige Musiker*innen arbeiten im Alter weiter, weil ihre Rente nicht reicht. Sie unterrichten, treten auf, organisieren – nicht aus Langeweile, sondern (auch) aus existenzieller Notwendigkeit. Unter Bedingungen, die von Unsicherheit und niedrigen Einkommen geprägt sind. Die Musikverbände bringen die Auswirkungen der geplanten "Aktivrente" auf den Punkt: „Der Ausschluss von den Steuererleichterungen der Aktivrente wiegt gerade in ihrem Fall ungleich schwerer, da ihre Selbstständigkeit oft durch prekäres Einkommen und unsichere Perspektiven geprägt ist." Doch genau diese Menschen schließt die Bundesregierung aus. Eine Argumentation, die an Absurdität kaum zu überbieten ist. Wenn es um Erleichterungen geht, werden Selbstständige vergessen. Wenn es um Belastungen geht, zur Kasse gebeten. Dabei zahlen gerade KSK-Mitglieder seit Jahrzehnten verlässlich ihre Beiträge. „Sie leisten wertvolle kulturelle Arbeit und zahlen als Mitglieder der Künstlersozialkasse seit Jahrzehnten Beiträge in die gesetzliche Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung", verweisen die Musikverbände auf die Realität. Sie sind Teil des solidarischen Systems. Doch wenn es um die Früchte dieser Solidarität geht, werden sie systematisch ausgegrenzt.
Die Aktivrente muss auch für selbstständig erwerbstätige gelten!
Die Forderung der Musikverbände ist klar: Die Aktivrente muss auch für selbstständige Erwerbstätige gelten. Die steuerliche Gleichbehandlung aller aktiv Erwerbstätigen im Rentenalter ist nicht verhandelbar. Bundestag und Bundesrat sind aufgefordert, diesen sozialpolitischen Fehlgriff zu korrigieren. Alles andere wäre ein weiterer Beleg dafür, dass diese Regierung den Gleichheitsgrundsatz nur dann ernst nimmt, wenn er ihr politisch in den Kram passt. Und dass Kulturschaffende und Selbstständige auch weiterhin Bürger*innen zweiter Klasse bleiben sollen.
