Algorithmen treffen auf Emotionen
Das Blaue Rauschen hat begonnen
FOTO: Bildquelle: WDR, Website Blaues Rauschen
Am Wochenende hat das Festival Blaues Rauschen begonnen und verwandelt noch bis zum 7. Juni das Ruhrgebiet in ein klingendes Labor. Sieben Städte, zehn Tage, unzählige Experimente zwischen Mensch und Maschine – das Festival geht in die siebte Runde, ist dabei aktueller denn je und findet seinen großen Abschluss am Samstag in der Essener Philharmonie.
Es rauscht wieder im Pott. Nicht das gewohnte Industriegeräusch, sondern ein ganz anderes Rauschen: blaues Rauschen. Das gleichnamige Festival hat sich seit 2017 zu einem der spannendsten Experimente der deutschen Musiklandschaft entwickelt. Unter der künstlerischen Leitung von Karl-Heinz Blomann erforscht das Festival seit 2017 die Schnittstellen zwischen „Mensch und Maschine, Realität und Fiktion, Klang und Stille" – und macht dabei aus dem Ruhrgebiet ein großes Versuchslabor.
Zwischen Karotten-Synthesizer und KI-Beats
Was zunächst nach akademischem Überbau klingt, entpuppt sich als durchaus handfeste Sache: Das Berliner Kollektiv „Playtronica" verwandelt mit ihrem Instrument „Orbita" alles Leitfähige – Obst, Pflanzen, den eigenen Arm – in MIDI-Controller. Während Robert Henke, Mitentwickler der Musiksoftware „Ableton Live", mit „Dust" eine neue 6-kanalige Soundperformance präsentiert, erforscht die griechische Komponistin Artemi-Maria Gioti, wie KI und Robotik mit menschlichen Musikern interagieren können.
Besonders spannend: der Workshop „Data Ethics in Creative Practice", bei dem Künstler verschiedener Sparten drei Tage lang gemeinsam eine Performance entwickeln, die beim großen Finale in der Essener Philharmonie uraufgeführt wird. Das ist das Faszinierende am Blaues Rauschen: Es verbindet das Bodenständige mit dem Visionären, macht das Abstrakte anfassbar.
Sieben Städte, ein Experiment
Von Duisburg bis Dortmund, von Essen bis Gelsenkirchen – sieben Städte werden zu Schauplätzen eines großangelegten Experiments. Erstmals sind auch Duisburg und Mülheim mit dabei. Die Locations selbst spiegeln diese Vielfalt wider: Vom prestigeträchtigen RWE-Pavillon der Essener Philharmonie über das experimentelle Rabbit Hole Theater bis hin zum Makroscope in Mülheim – einem Zentrum für Kunst und Technik, das auch ein Museum für Fotokopie beherbergt. Oder das "Hier Ist Nicht Da" in Gelsenkirchen, ein Kulturort, der organisch aus einer Community heraus gewachsen ist.
Jede Stadt wird zur Bühne für verschiedene Aspekte der digitalen Transformation. Mal geht es um Klangtopografien im Spannungsfeld von Widerstand und Erinnerung, mal um ganz praktische KI-Tools in der Musikproduktion. Zwischen Workshop-Labor, Lecture-Talk und Nachtprogramm liegen oft nur ein paar Schritte – oder die kurze Regiofahrt zur nächsten Stadt.
Mehr als nur Musik
Hier wird nicht nur zugehört, sondern mitgedacht und ausprobiert. Die argentinische Musikerin Yamila verbindet barocke Harmonik mit spanischem Folk und digitalem Rauschen – bewusst konfrontativ, ohne die Kanten zu glätten. Das iranische Duo MahaVoice lässt selbstgebaute Synthesizer mit Sitar-Klängen verschmelzen. Und Moritz Wesp aus Köln dehnt das Konzept der Posaune in den digitalen Raum aus – seine Spielbewegungen werden per Sensorik erfasst, der physische Klangkörper existiert nur noch als Geste.
Das Festival stellt die großen Fragen unserer Zeit: Wer kontrolliert die Algorithmen? Was bedeutet Autorschaft im Zeitalter der Maschinenkreativität? Während KI-generierte Musik neue Welten eröffnet, setzen Künstler verstärkt auf den physischen, analogen Moment – die Schallplatte als Symbol einer bewussten Erfahrung jenseits des algorithmischen Streams.Finanzierung gesichert, Zukunft offenDas Programm NEUE KÜNSTE RUHR, ein neu etabliertes Förderprogramm, das vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen ins Leben gerufen wurde, ermöglicht auch im kommenden Jahr die Durchführung. Gute Nachrichten in Zeiten knapper Kulturbudgets – auch wenn die langfristige Finanzierung noch nicht gesichert ist.