360-Grad-Projektion trifft Improvisation
Außergewöhnliche Installation im Wuppertaler Visiodrom
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Heinrich Brinkmöller Becker, Künsterwebsites
Ein jahrhundertealter Industriekoloss wird zur Bühne für ein außergewöhnliches Zusammenspiel aus Fotokunst und Live-Musik: Am 4. Juli eröffnet Heinrich Brinkmöller-Becker mit seiner immersiven Installation "Nichts als Treibholz!?! – NaturSkulpturen" die neue Programmreihe "BeSides" im Visiodrom. Begleitet wird die spektakuläre Bilderprojektion von den renommierten Improvisationsmusikern Gunda Gottschalk (Violine, Viola), Eckard Koltermann (Saxophone, Klarinetten) und Martin Blume (Drums, Percussion) – ein bekanntes und erfahrenes Trio in der musikalischen Begleitung von Film, Video und Performances. Was auf den ersten Blick wie eine ungewöhnliche Paarung wirkt, entpuppt sich als perfekte Symbiose zwischen einem Ort der industriellen Vergangenheit und neuen Wegen einer innovativen Kunstpräsentation.
Wenn Wasser, Wind und Zeit zu Künstlern werden
Heinrich Brinkmöller-Becker hat über Jahre hinweg Material für sein neuestes Projekt gesammelt – allerdings nicht im klassischen Sinne. "Wenn du einmal so eine Idee hast, kann ich nicht mehr normal an einem Strand entlang gehen. Ich sehe überall Treibhölzer und in den Treibhölzern bestimmte Figuren", beschreibt der Fotokünstler seine besondere Art der Motivsuche.
Das Treibholzprojekt ist Teil einer größeren Werkserie, die der Künstler kontinuierlich entwickelt: Nach Projekten mit Weinstöcken, Bäumen und Steinen rückt nun das vom Meer geformte Holz in den Fokus. "Mit dem Makroobjektiv gehe ich ganz nah ran und suche dann die Motive so aus. Normalerweise würdest du sie so gar nicht wahrnehmen", erklärt der Bochumer seine Herangehensweise.
Die Installation zeigt Bildsequenzen, bei denen man sich fragt: Sind das wirklich Treibhölzer, die man da sieht? Oder eher Gesichter, Augen, merkwürdige Tier- oder Fabelwesen? So wie Heinrich Brinkmöller-Becker die Natur mit seiner Kamera festhält und in seinen Fotosequenzen zeigt, erkennt man eher völlig andere Dinge als Hölzer. Die Naturskulpturen entstehen durch die Bearbeitung der Naturkräfte: Wasser und Wind, Sand, Salz und Sonne formen an den Meeresstränden das angeschwemmte Treibholz. Baumrinde und Holzfaser werden so ausgesprochen kunstvoll und variantenreich verändert, es entstehen Skulpturen, die aussehen wie Gesichter, tierähnliche Märchenwesen. Zu erkennen ist eine verblüffende Vielfalt an Texturen, ein Panoptikum von skurrilen Formen, die die Natur geschaffen hat.
Die Technik als kreativer Partner
Für Brinkmöller-Becker eröffnet das Visiodrom völlig neue künstlerische Dimensionen: "Ich bin völlig angetan von den Möglichkeiten. Ich finde es toll, Fotografie da zu zeigen – nicht bewegte Bilder, sondern animierte Bilder, meine Fotosequenzprojekte zu übertragen. Die verschiedenen Ebenen mit Projektionen zu belegen und damit zu spielen, eine Bildmontage zu machen, das ist faszinierend." Die Naturskulpturen mit ihrer feinen Struktur wirken besonders eindrucksvoll in der animierten Projektion der Makro-Fotografien auf die riesigen Flächen des Gaskessels – das Kleine wird so riesengroß. Fotografische Mittel wie geringe Tiefenschärfe und das abstrakte Schwarz-Weiß der Bilder verstärken den suggestiven Kunstcharakter der Installation.
Von der Energieversorgung zur kreativen Energie
Das Visiodrom selbst ist bereits ein Kunstwerk des industriellen Strukturwandels der Region. Jahrzehntelang versorgte der 1998 unter Denkmalschutz gestellte Scheibengasbehälter die Stadt mit Energie in Form von Kilojoule und Kubikmetern. Heute fließt hier kreative Energie – durch faszinierende Shows und Ausstellungen, die überregionales Publikum aus ganz Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus anziehen.
Das Visiodrom bietet in der Region die einzigartige Gelegenheit eines sinnlichen immersiven Erlebnisses: Die riesigen Ausmaße des Gaskessels gepaart mit multimedialer Projektionstechnik lassen das Publikum eintauchen in eine ganz besondere Erlebniswelt. Das bildästhetisch faszinierende Potenzial der animierten Projektion auf den Boden, den Kubus, die 360°-Leinwand (die größte Europas) und die Decke des Gaskessels überzeugt bei allen Kunstprojekten. Der Medienkünstler Heinrich Brinkmöller-Becker hat nach einem erfolgreichen Projekt im letzten Jahr über den 'Mural Harbor' eine eigene Programmreihe entwickelt. Für die zweite Jahreshälfte 2025 sind jeweils an Freitagen vier unterschiedliche Projekte vorgesehen – den Anfang macht diese außergewöhnliche Installation.
Ein Blick in die Zukunft
Mit "Nichts als Treibholz!?!" startet nicht nur eine neue Veranstaltungsreihe, sondern auch eine längerfristige Zusammenarbeit. Bereits für das kommende Jahr ist ein weiteres Projekt geplant, diesmal mit dem Chorwerk Ruhr, bei dem Brinkmöller Becker seine Fotografien der italienischen Sacri Monti – lebensechte Figurengruppen aus dem 16. und 17. Jahrhundert – zeigen wird. "Das sind lebensgroße, lebensechte Figuren, die damals bei den Betrachtern einen Schock der Realitätsnähe ausgelöst haben", erklärt der Künstler die historische Bedeutung seiner Motive.
Eintauchen in eine andere Welt
Das Visiodrom verspricht seinen Besuchern, "zum Teil der eigenen einzigartigen Erfahrung" zu werden. Die "faszinierenden Welten aus Licht, Sound und Größe" sollen die Gäste emotional berühren und "Inhalte jenseits des Verstands direkt in die Herzen bringen". Bei Heinrich Brinkmöller Beckers Treibholz-Skulpturen dürfte genau das gelingen: Die Verwandlung von Strandgut in Kunstwerke, von Industrie-Architektur in Erlebnisraum, von statischen Fotografien in lebendige Visionen. Wer am 4. Juli dabei sein möchte, wenn im ehemaligen Gaskessel neue kreative Energien freigesetzt werden, sollte sich diesen besonderen Auftakt nicht entgehen lassen. Denn hier wird nicht nur Kunst gezeigt – hier wird sie erlebt.
"Nichts als Treibholz!?! – NaturSkulpturen"
Immersive Installation mit Live-Musik
Freitag, 4. Juli 2025, 20.00 Uhr
Visiodrom im ehemaligen Gaskessel Wuppertal
Weitere Informationen zur Veranstaltungsreihe "BeSides" und Tickets unter www.visiodrom.de