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Zur großen Familie vereint!

Open excess und ganz viel Jazz

Köln, 29.11.2023
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Annette Etges

Das Kölner King Georg, nahe dem Hansaring gelegen, ist ein lebendiger, aber auch enger Raum, der bei gedämpftem Licht und leckerem Bier etwas sehr Einladendes verströmt. Und - anders als an vielen Jazzlocations zum Beispiel im Münsterland oder im Ruhrgebiet - hat der Laden auch spürbar mehr junges Publikum. Kurzum: Das King Georg macht anscheinend in Köln einen guten Job, damit der Jazz dorthin kommt, wo er gebraucht wird.

Wir haben hier schon viel über Jazz als Praxis der Integration und der gelebten Toleranz geschrieben. An diesem Abend vollzieht sich so etwas hier in der jazz-typischen Selbstverständlichkeit: Die Band auf der Bühne zentriert sich um den Pianisten Lucca Keller, so viel ist spürbar. Der ist voll in seinem Element und spielt sich in Fahrt. Die meisten Stücke für die Combo kommen aus seiner Feder. Hier auf dieser Bühne lässt dieser Kölner Musiker los in ungehemmter Spielfreude und einer gewissen Portion Exzentrik. So soll es sein, wenn Jazz live auf der Bühne stattfindet. Lucca Keller leidet an einer spastischen Beeinträchtigung. Aber sobald es um Musik geht, fühlt er sich wie ein Fisch im Wasser. Und auch sonst sein eigenes Ding im Leben gefunden. Hauptberuflich arbeitet er als Techniker beim WDR, möchte aber Profi-Musiker werden und studiert deshalb aktuell bei Martin Sasse im Vorstudium an der JazzHaus-Schule. Auch eine Solo-CD hat er bereits vorgelegt, mit dem Titel "Mood of Regrowing".

Auch die Sängerin Anna Reizbikh ist ein Beispiel dafür, wie sich mit Musik alle Barrieren überwinden lassen. Ja, sie sitzt im Rollstuhl. Aber was macht das schon, wenn sie hier im King Georg mit ihrer rauchigen und dunklen Stimme Bühnenpräsenz entfaltet und damit alle Brücken zum Publikum schlägt. Ebenso dass im King Georg ihre Version von "Summertime" bis in die hinterste Reihe jedes triste Novembergefühl wegbläst. Jazzgesang ist nur eines von vielen Betätigungsfeldern der 1996 in Georgien geborenen Künstlerin. So ist sie zum Beispiel auch festes Mitglied im Musiktheater-Ensembles "I Can Be Your Translator".

Es geht nicht ohne Jazz und dessen Offenheit

Auch Torben Schug (Bass), Till Menzer (Schlagzeug), der Berliner Peter Ehwald (Saxofon) sowie Max Schweder aus Köln, ebenfalls am Saxofon (sax) komplettierten die (Unlabel-Jazz-)Band dieses Abends. Zwischendurch packte auch Cellistin Elisabeth Coudoux ihr Cello aus, um mit Torben Schug ein Duett auf den tiefen Saiten hinzulegen. Das alles wirkte so, als wäre hier, zusammen mit dem lautstark applaudierenden Publikum, eine große Familie miteinander vereint.

Fazit: Wenn die Initiative Un-Label Künstlerinnen und Künstler mit und ohne Behinderung zusammenbringt, kommt sie um Jazz in seiner Offenheit in alle Richtungen nicht herum. Un-Label engagiert darüber hinaus in vielen Kultursegmenten von Musik, über Tanz und Theater, schafft zeitgenössische Bühnenstücke und engagiert sich in Wissenschaft und Forschung. Lisette Reuter und Nils Rottgardt, die Gründer vom Un-Label, haben sich vor allem die Professionalisierung von integrativer Arbeit auf die Fahnen geschrieben. Denn erst dadurch werden echte Veränderungen möglich, worauf Lisette Reuter im Pausengespräch zwischen den beide Live-Sets hinwies. Genug Erfahrungshorizont im internationalen Kulturmanagement ist bei ihr und dem ganzen Team allemal vorhanden. Vor allem komme es, so Lisette Reuter, auf eine gesunde Portion unternehmerischen Denkens und Handelns an – eben um über viele gut gemeinte, aber nicht wirklich umsetzungsstarke Aktivitäten innerhalb der freien Soziokultur hinauszukommen und auch politischen Einfluss wachsen zu lassen.

Engagement für die Gesellschaft braucht coole Ausstrahlung

Unlabel beweist dabei eine gute Spürnase für Ausstrahlung. Das fängt schon bei den Namensgebungen an: „unlabel“ und „open excess“, das klingt hip und innovativ und gar nicht nach Wohltägigkeitsveranstaltung. So war auch im Sommer das Robolab-Festival (auf welchem übrigens Lucca Kellers Band gegründet wurde) in erster Linie ein megacooles Event im surrealen Ambiente des Odonien-Areals. Und ein Jazzclub wie das King Georg ist ohnehin ein Ort für alle gelebte Praxis, in der Menschen verschiedenster Hintergründe und Fähigkeiten sich in Musik und geteilter Emotion miteinander verbinden.



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