Verrät der ÖRR seinen Bildungsauftrag?
Deutsche Jazzunion kritisiert Reformen
Ein Jahr nach der großen Rundfunkreform zeigt sich, was Kritiker schon lange befürchtet hatten: Unter dem wohlklingenden Deckmantel von "Effizienzsteigerung" und "Modernisierung" vollzieht sich ein schleichender Abbau kultureller Vielfalt, der seine schwächsten Opfer zuerst trifft. Die Deutsche Jazzunion lenkt in einer aktuellen Pressemitteilung den Blick auf alarmierende Zahlen, die das ganze Ausmaß dieser kulturpolitischen Fehlentwicklung verdeutlichen.
43,4 Prozent der befragten Jazzmusikerinnen und -musiker sind demnach mehr oder weniger direkt von der Reform betroffen, vor allem, wenn es um eine deutliche Reduzierung der musikalischen Sendezeit und eine geringere Berichterstattung geht. Die unmittelbaren Folgen sind für die Musikerinnen und Musiker existenziell spürbar: Die Deutsche Jazzunion dokumentiert, dass sich die geringere Sendezeit direkt auf die GEMA- und GVL-Ausschüttungen auswirkt. Für freie Jazzmusikerinnen und -musiker, die bereits in einem prekären Marktumfeld agieren, sind diese Rundfunkeinnahmen oft ein Teil des Lebensunterhalts, wo Auftrittsmöglichkeiten begrenzt, Honorare niedrig und soziale Absicherungen unzureichend sind. Wenn nun auch noch die Rundfunkpräsenz wegbricht – und mit ihr die entsprechenden Tantiemen sowie die Sichtbarkeit für weitere Engagements –, nimmt die existenzielle Bedrängnis weiter zu.
Der Verrat am Bildungsauftrag
Man vergegenwärtige sich in diesem Zusammenhang die umfassende Rolle öffentlich rechtlicher Medien, die eben nicht einfach irgendwelchen Marktgesetzen untergeordnet werden dürfen, wie auch die deutsche Jazzunion in ihrem Pressedossier argumentiert: "Das eigentliche Potenzial des ÖRR liegt ja gerade in der Nähe, Vielfalt und der Aufmerksamkeit für besondere Inhalte, die sonst wenig Beachtung finden. Wenn dieser Bereich aufgegeben wird, verliert der Rundfunk seinen Kern und verfehlt seinen Bildungsauftrag."
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wurde geschaffen, um das zu leisten, was der Markt nicht leistet – Bildung, Kultur, Vielfalt. Die faktische Verlagerung von Jazz und improvisierter Musik aus dem linearen Programm in schwer auffindbare Mediatheken ist daher nicht nur ein Verstoß gegen den ursprünglichen Auftrag, sondern führt eben auch zu einer dramatischen Verringerung der Sichtbarkeit für die Musikerinnen und Musiker, siehe oben.
Die Deutsche Jazzunion beobachtet eine systematische Entwicklung: "Von der Ausrichtung her scheint durch Einsparungen und Reformen weniger Platz für kleinere, oft unkommerzielle Themen zu sein, während der Mainstream stärker in den Vordergrund rückt." Diese Analyse trifft den Kern einer kulturpolitischen Fehlentwicklung, bei der regionale Vielfalt dem vermeintlichee "selten geworden – wenn es sie überhaupt noch gibt", dokumentiert die Deutsche Jazzunion. Dies zeigt beispielhaft, wie sich die Rundfunkanstalten von ihrer Dokumentationspflicht verabschieden.
Bigbands in gefahr
Sorge besteht auch um die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Bigbands, die laut Deutscher Jazzunion "für die Sichtbarkeit von Jazz und Improvisierter Musik essenziell sind, da sie ein wachsendes Publikum anziehen unnd immer wieder neue Impulse setzen". Diese Ensembles bieten nicht nur Vollzeitarbeitsplätze für Musikerinnen und Musiker, sondern auch Auftrittsmöglichkeiten für freie Künstler als Solisten oder Gastmusiker. Ihre Auflösung würde eine jahrzehntelang gewachsene Infrastruktur zerstöre, die weit über den Rundfunk hinaus kulturelle und wirtschaftliche Wirkung entfaltet.
Ein bewusstsein der Verantwortlichen für die Auswirkungen der Kürzungen ist überfällig
Die Deutsche Jazzunion konstatiert zur Gesamtsituation: "Die Dekonstruktion der Strukturen des ÖRR ist nicht hinnehmbar. Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Spannungen braucht es einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der Vielfalt hörbar macht und Jazz und Improvisierte Musik gehören unverzichtbar dazu."
Die Deutsche Jazzunion formuliert klare Forderungen: Bewusstsein der Verantwortlichen für die Auswirkungen der Kürzungen, Erhalt und Wiederherstellung der Programmvielfalt, Aufbau eigenständiger digitaler Jazzformate, Stärkung regionaler Vielfalt, Sicherung der jazzjournalistischen Fachexpertise, Erhalt der Bigbands. Diese Forderungen verdeutlichen, was verloren zu gehen droht: die Idee eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der Bildung vor Quote, Vielfalt vor Mainstream und kulturelle Verantwortung vor betriebswirtschaftliche Effizienz stellt.
Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Jazzunion vom 25.09.2025: "Ein Jahr Rundfunkreform zeigt erste Folgen für Jazz und Improvisierte Musik"