Es geht nicht um Stille allein
Moers-Festival-Programm wurde in luftiger Höhe vorgestellt
FOTO: Kurt Rade, Elmar Petzold
In einer Zeit, in der unser Blick oft gesenkt ist – auf Bildschirme, auf Probleme, auf Krisen – wagt das moers festival einen radikalen Perspektivwechsel: Bei der diesjährigen Programmpräsentation schwebten die Veranstalter in 30 Metern Höhe über den Dingen und gaben von dort oben einen Ausblick auf das Festival, das vom 6. bis 9. Juni 2025 stattfinden wird.
"Wir möchten neue Hör- und Sehperspektiven einnehmen, verschiedene Formen von Stille erleben und wieder lernen, die Ohren zu spitzen", erklärte Festivalleiter Tim Isfort , während Medienvertreter und Veranstalter gemeinsam in einer Hub-Arbeitsbühne in die Höhe stiegen, die übrigens der neue Festivalsponsor, die Firma Gerken, zur Verfügung stellte. Diese luftige Pressekonferenz wird beim Festival selbst eine poetische Fortsetzung finden: Unter dem Titel "Mit Gerken bis zum Mond (und zurück)" können mutige Besucher für fünf Euro selbst 60 Meter in die Höhe fahren – eine Spendenaktion, deren Erlöse vollständig an Klartext für Kinder e.V. fließen, die sich gegen Kinderarmut in der Region engagiert. Die Elevation wird so zum doppelten Symbol: für den künstlerischen Höhenflug und für die soziale Verantwortung, die das Festival übernimmt.
Stille als Festivalmotto
"Stille" ist als Festivalmotto ein ambitionierter Begriff, gerade für ein Ereignis, das wie kaum sonst eines, sich der Vielfalt frei und wil wuchernder Klänge verschreibt. Aber das Programm für die kommende Festivalausgabe will das Prinzip Stille von einem abstrakten Konzept in ein vielschichtiges Erlebnis transformieren.
Spektakulär wird der Auftakt: Terry Wey und Ulfried Staber werden in einem achtstündigen Konzert Thomas Tallis' 40-stimmiges "Spem in Alium" zu zweit aufführen – eine musikalische Zeitreise ins 16. Jahrhundert, die Grenzen von Stimme, Klang und Wahrnehmung neu definiert.
Mit den Auftragskompositionen von Will Northlich-Redmond, Koshiro Hino und Maya Dunietz schafft das Festival drei völlig unterschiedliche künstlerische Annäherungen an das Thema Stille. Die israelische Klangkünstlerin Dunietz wird dabei besonders die Grenzen zwischen Klang, Raum und Absenz erkunden – eine Meditation über das, was zwischen den Tönen liegt. Die beliebte Gesprächsreihe "discussions" vertieft die thematische Auseinandersetzung mit der Stille aus interdisziplinärer Perspektive. Expertaus Akustik, Philosophie, Spiritualität und Stadtplanung werden das Phänomen der Stille in seinen kulturellen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Dimensionen beleuchten – ein intellektueller Kontrapunkt zum sinnlichen Erleben der Musik.
Globale Dialoge: China und Ruanda im Fokus
Globale Dialoge gehören zur DNA des Moers-Festivals und werden durch Tim Isfort s internationale Kooperationen auf der Höhe der Zeit gehalten: Vor allem der diesjährige chinesische ThemenSchwerpunkt öffnet ein Fenster in eine faszinierende Szene zwischen Tradition und Avantgarde. Mit Künstlern wie Mamer, Lao Dan & Li Daiguo und dem Duo Zhu Wenbo & Zhao Cong präsentiert das Festival Positionen, in denen sich taoistische Stille-Konzeptionen mit elektronischen Experimenten und Free Jazz verbinden.
Die Fortführung der "?Afrika"-Reihe mit Fokus auf Ruanda bringt mit URWEREKA ein außergewöhnliches Ensemble in die Festivalhalle. Bobo Elvis, dessen virtuoser Hip-Hop- und Bone-Breaking-Tanz bereits im gefeierten Film "Neptune Frost" zu sehen war, wird gemeinsam mit Binghi, Manzi Mbaya und Natacha "Miziguruka" Muziramakenga die Grenzen zwischen Tanz, Musik und Bewegung neu definieren – ein körperlicher Dialog über Stille und Ausdruck.
Ein besonderer Moment des Festivals wird am Sonntag, den 8. Juni, zu erleben sein, wenn das Projekt "...plötzlich still im Unimoersum!?" zur Aufführung kommt. Was einst als "composer kids!" begann, hat sich zu einem ambitionierten Kompositionsprojekt entwickelt, bei dem Kinder und Jugendliche gemeinsam mit professionellen Musiker ihre eigene künstlerische Interpretation des Festival-Themas "Stille" erarbeiten.
Unter der Leitung von Lukas Döhler und Leticia Carrera – selbst einst als composer kids auf der Bühne – und dem Dirigenten Leh-Qiao Liao entsteht ein generationenübergreifender Dialog über die Bedeutung und musikalische Umsetzung von Stille. Ein berührendes Zeugnis dafür, dass die Fähigkeit zum bewussten Hören und kreativen Gestalten von Klang bereits in jungen Jahren kultiviert werden kann.
Räumliche Verdichtung für die klangliche Intensivierung
Das Festivalgelände wird 2025 konzentrierter gestaltet: Die Festivalhalle bildet das pulsierende Zentrum, umgeben vom kostenfreien Festivaldorf mit Händler. Der angrenzende Campingbereich im Freibad beherbergt eine Open-Air-Bühne und die Workshop-Wiese "Wo die wilden Kinder wohnen" – ein Ort des gemeinsamen Experimentierens und Lernens.
Die sechs Bühnen – zwei Hauptbühnen und vier weitere im kostenfreien Bereich – werden ergänzt durch die "moersify"-Spielorte in der Innenstadt. In der evangelischen Kirche, dem Bollwerk 107, der Röhre, der Barbara Buchhandlung und dem Café Mondrian entstehen intime Klangräume, die kostenlos zugänglich sind und die gesamte Stadt in eine Festival-Landschaft verwandeln.
Als visuelle und performative Intervention wandelt ein 16 Meter hoher Kasper mit riesiger Fliegenklatsche über den Festivalmarkt: "Der Kasper schlägt die Fliegen tot" – inszeniert von Snuff Puppets und Stefanie Oberhoff – wird zum gigantischen Totentanz über Widerstand und Diversität, der die surreale Atmosphäre des Festivals verstärkt. Diese erstmals in NRW zu sehende Installation schafft einen visuellen Kontrapunkt zur Stille und erinnert an die "karnevaleske" Tradition des Festivals, die seit jeher das Absurde, Groteske und Überdimensionierte zelebriert.
Die ungewöhnliche Programmpräsentation aus luftiger Höhe spiegelt eine künstlerische Strategie wider, die das gesamte Festival durchzieht: Distanz gewinnen, um Zusammenhänge zu erkennen; aufsteigen, um neue Perspektiven zu entdecken; über den Dingen stehen, ohne den Bodenkontakt zu verlieren. In einer Welt, die von akustischer Überreizung und ständiger Beschleunigung geprägt ist, wird das moers festival 2025 zur Insel der bewussten Wahrnehmung, des aufmerksamen Hörens und der bedeutungsvollen Stille – eine Einladung, innezuhalten und den Klang der Welt mit neuen Ohren zu hören.
Praktische Informationen
Termin: 6. bis 9. Juni 2025 (Pfingsten)
Ort: Festivalhalle Moers und verschiedene Spielorte in der Innenstadt
Tickets: "Pay What You Want"-Modell mit fünf Preiskategorien:
- 40 € | 80 € | 120 € | 160 € | 300 € ("Stille Held*innen" mit Extras)
- Alle Kategorien beinhalten vier Festivaltage und Camping im Solimare
- "Stille Held*innen"-Ticket (300 €) bietet zusätzlich: Platzgarantie in der Festivalhalle, ein Geheimkonzert, Backstage-Zugang mit Catering und das Festivalshirt
Freier Eintritt: Alle Konzerte auf dem Festivalmarkt und an den "moersify"-Spielorten in der Innenstadt sind kostenfrei zugänglich
Campingmöglichkeiten: Im abgegrenzten Campingbereich im Solimare (mit Festival-Ticket); separate Camper- und Wohnmobilstellplätze (Details folgen)
Weitere Informationen: www.moers-festival.de | Telefon: 02841-367 367 5