Charisma des Protests
Pussy Riot in Dortmund
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Diana Burkot, Marija Aljochina, Olga Borisova und Alina Petrova bildeten im domicil die aktuelle Besetzung des russischen Kunstkollektivs Pussy Riot. Inmitten brachialer Beats und dystopischer Sirenenklänge aus einer elektrischen Violine setzten sich Sprache, Musik und starke Posen gegen totalitäre Strukturen zur Wehr und rief zu einer Revolution des Geistes auf.
"Freiheit gibt es nur so lange, wie man für Freiheit kämpft", war nur einer der vielen Sätze, mit dem das Publikum klar kommen musste. Die gut einstündige, atemlose Show dokumentierte das erlebte Absterben von Bürgerrechten, zerstörte die Propagandalügen Heuchelei der Propagandalügen, rief zum Widerstand eines jeden Einzelnen auf. Natürlich gedachten Pussy Riot auch dem mutmaßlich vom russischen Regime getöteten Dissidenten Alexey Nawalny, ebenso galt das solidarische Mitgefühl den Menschen in der von Russland angegriffenen Ukraine.
Man könnte sich fragen, warum die vier Performerinnen so viele Wasserflaschen auf der Bühne stehen hatten - aber dazu später. Vom ersten Moment an liegt Entschlossenheit und Rebellion in der Luft, um die Grenzen des Sagbaren und Machbaren auch im Dortmunder domicil herauszufordern.
Aber es sind nicht nur diese krassen Beats und anklagenden Wortsalven in russischer Sprache, die den unbestuhlten Raum unter Hochspannung setzen. Ebenso protokollieren die übersetzten Slogans auf der Breitwandscreen den unaufhaltsamen wuchernden repressiven Staatsapparat und seine Wirkung auf die Gesellschaft. Das Kollektiv "Pussy Riot" gründete sich im Jahr 2012, als in Russland noch so etwas wie kulturelle Freiheit herrschte - einige frühe Happenings von Pussy Riot waren sogar preisgekrönt worden. Schon wenig später gab es die ersten Haftstrafen für deutlich weniger. Zum Wendepunkt wurde eine Aktion in einer Moskauer Kathedrale. Es folgten Inhaftierung und - viel später - die geglückte Flucht aus dem Hausarrest.
Die Flamme des Widerstands verlöscht nicht
Ein projiziertes Bild von der Superluxusjacht eines hochrangigen Kirchenführers spielt auf mafiösen Strukturen an, mit denen die sich Kirche zum Komplizen der Gewaltherrschaft macht. "Priesterinnen gibt es in Russland nicht. In Russland gibt es Pussy Riot", skandieren die Musikerinnen auf der Bühne. Aber: "Putin wird dir schon beibringen, dein Mutterland zu lieben." Der Videoscreen zeigt brutale Sicherheitskräfte, wie sie dabei vorgehen und was zwei Aktivistinnen von Pussy Riot nach ihrer Inhaftierung durchleiden mussten. Die Flamme des inneren Widerstands bringt dies nicht zum Erlöschen: "Der erste Hungerstreik ist wie die erste Liebe: sehr verwirrend. Später gewöhnt man sich daran". Marja Aljochinas Sneaker, die sie auch bei ihrem Auftritt im domicil trug, sind immer noch mit zusammen gerollten Feuchttüchern geschnürt, denn: "Im Gefängnis nehmen sie einem die Schnürsenkel weg, da muss man erfinderisch werden." Als sich die Liveshow nach einem etwas „lyrischen“ Zwischenteil wieder zu einem heißen Stakkato aus Beats, Wortsalven und herausfordernden Tanzposen steigert, ziehen sie bunte Sturmhauben über, die zum Markenzeichen feministischer Dissidenz geworden sind.
Ungemütliche Erfrischung
Und dann kommen auch die Wasserflaschen ins Spiel: Diana Burkot, Marija Aljochina, Olga Borisova und Alina Petrova öffnen sie alle nacheinander und spritzen den kalten Inhalt ins Publikum - überall hin, minutenlang. Raus aus der Komfortzone! Musik und auch sexy Popkultur sind nicht einfach nur wohlfeiles Konsumgut sind - könnte die Botschaft hinter dieser etwas ungemütlichen Publikumserfrischung lauten. "Anyone can be Pussy Riot. Freedom yours and mine. Aufstand in Russland!" Wenn in diesem nie versiegenden Strom aus Worten und Slogans auch von "Charisma des Protests" die Rede ist, trifft es genau die Sache, um die Überzeugungskraft dieser mutigen, energetischen Künstlerinnen auch an diesem besonderen Abend in Dortmund zu charakterisieren. Geflohen aus Russland sind Pussy Riot nach eigenem Bekunden vor allem deshalb, weil die Livebühnen ihre Botschaften brauchen. Wer jetzt noch mehr tun möchte, als im Nachhinein von den starken Eindrücken dieser Darbietung zu zehren, der kann jenes ukrainische Kinderkrankenhaus finanziell unterstützen, für das sich Pussy Riot selber stark machen. Denn nicht nur die gelb blaue Flagge, sondern auch der QR-Code zur Spendenaktion wurde auf der Bühne hochgehalten.