"Es geht um viel mehr als um reinen Musikkonsum"
Ein Gespräch mit Kai Schumacher
TEXT: Stefan Pieper |
Zwischen industriellem Erbe und künstlerischer Avantgarde erkundet Kai Schumacher neue Wege des Hörens. In der Duisburger Mercatorhalle verwandelt der Pianist und Kurator klassische Konzertformate in pulsierende Klangerlebnisse. Seine Vision: Eine Kulturlandschaft jenseits elitärer Abgrenzung und oberflächlicher Crossover-Versuche. Ein Gespräch über musikalische Freiräume, hypnotische Klanglandschaften und die transformative Kraft der Musik.
Du bist Spezialist für repetitive, minimale Musik. Was fasziniert dich besonders an dieser Musikrichtung?
Repetitive Musik schafft es im besten Fall, Menschen in tranceartige, transzendente Zustände zu versetzen, einen Sog zu erzeugen. Dabei meine ich jetzt nicht nur die sogenannte Minimal Music, die man vielleicht mit Philip Glass, Terry Riley oder Steve Reich assoziiert – obwohl auch diese drei Komponisten ganz verschiedene Ansätze verfolgen. Sondern auch und ganz besonders in elektronischer Musik, in den verschiedenen Spielarten von Techno und House, aber auch in Genres wie Postrock, Drone oder Doom. Hier wird Repetition in Kombination mit Lautstärke ja auch zu einer total körperlichen Erfahrung mit fast katharsischer Wirkung. Und repetitive Musik hat ja auch oft eine spirituelle und rituelle Funktion, in afrikanischen Musikkulturen zum Beispiel oder in Sufi-Musik. Es geht dabei also um viel mehr als um reinen „Musikkonsum".
Wie interpretierst du das Konzept "Reduktion als Freiraum" in deiner künstlerischen Arbeit?
Wenn ich Musik schreibe oder improvisiere hilft es mir sehr, mir von vornherein ganz klare Grenzen zu setzen. Damit meine ich zum Beispiel, die zur Verfügung stehenden Mittel zu reduzieren, ob jetzt bezüglich des Tonmaterials, der Instrumentierung oder der Form. Ich merke, dass mich die Fülle an zur Verfügung stehenden Möglichkeiten eher behindert, weil ich mich schnell in Dingen verlieren kann. Meine Herangehensweise ist vereinfacht gesagt, aus einer möglichst minimalistischen Ausgangslage das Maximale an Möglichkeiten zu entwickeln.
Wie gelingt es dir, einzelnen Tönen durch Modifizierung des Anschlags, der Resonanz und des Ausschwingens individuelles Leben einzuhauchen?
Ich habe klassisches Klavier studiert, und ein Fundament dieser Ausbildung ist die Gestaltung des Klanges. Im Gegensatz zu Streich- oder Blasinstrumenten lässt sich der Klavierton nach dem Anschlag ja nicht mehr modifizieren, z.B. durch Vibrato, Bogendruck oder die Luftzirkulation. Umso wichtiger ist es, den Anschlag der Taste genau zu definieren. Da spielen ganz viele Nuancen eine Rolle: Die Geschwindigkeit des Anschlags, die Kraft beim Tastendruck, die Aktivität des Fingers, das Armgewicht, die Flexibilität des Handgelenks und einiges mehr.
Du bespielst die Mercatorhalle seit 8 Jahren. Was war deine ursprüngliche Vision für diese Konzertreihe?
Als ich damals zusammen mit dem damaligen Intendanten Alfred Wendel die Reihe entwickelt habe, stand die grundsätzliche Frage im Raum: wie schafft man es als klassische Institution, ein Publikum in Berührung mit einer Musik zu bringen, zu der es aus verschiedenen Gründen bisher wenig Zugang hatte. Vor 10 Jahren galt der klassische Konzertsaal ja noch viel mehr als heute als ein Ort für das kulturelle Establishment mit bestimmten Dress- und Verhaltenscodes, dessen Besuch eine gewisse hochkulturelle Bildung erfordert. Auf der anderen Seite haben Plattenfirmen und auch Veranstalter angefangen, klassische Musiker immer mehr als Popstars zu promoten und mit verschiedenen Crossover-Projekten zu vermarkten. Dieses Klassik-meets-Pop Ding geht aber geschmacklich leider ziemlich oft in die Hose, weil einfach die gemeinsame Basis fehlt. Ich wollte also in dieser Reihe auf keinen Fall einfach zwei Schablonen aufeinander legen in der Hoffnung, ein jüngeres Publikum in die Philharmonie zu locken. Es sollte nicht irgendwas auf irgendwas treffen, sondern die gemeinsamen ästhetischen Verbindungen gezeigt werden. Direkt in der ersten Ausgabe der Reihe habe ich z.B. zusammen mit der Postrock-Band „Kokomo" Werke von Philip Glass neu vertont, oder später dann Schubert-Lieder mit Gisbert zu Knyphausen.
Wie hat sich das Konzept der Reihe über die Jahre entwickelt?
Für die Konzeption eines neuen Programms gibt es verschiedene Herangehensweisen: zum einen die schon erwähnten ästhetischen Verbindungen, die Melancholie und die Unmittelbarkeit in den Liedern von Franz Schubert und Gisbert zu Knyphausen zum Beispiel. Oder aber das Spiel mit Assoziationen: es gibt ja diese schöne Legende um die Entstehung der Goldberg-Variationen von J.S.Bach, die ja angeblich komponiert wurden, um den Grafen Keyserlingk von seiner Schlaflosigkeit zu kurieren. Um diese Geschichte herum habe ich mit dem Signum Saxophone Quartet ein Programm kuratiert, das sich mit Schlaflosigkeit in der Musik und der Nacht im Allgemeinen auseinandersetzt. Oder es wird speziell eine Komponistin oder ein Komponist in den Fokus gerückt, die oder der auch außerhalb des rein Musikalischen eine größere kulturelle oder gesellschaftliche Relevanz besitzen sollte. Im letzten Jahr haben wir z.B. zusammen mit der wunderbaren Schlagzeugerin und Produzentin Philo Tsoungui, vier Pianist*innen und einem Ensemble der Duisburger Philharmoniker ausschließlich Musik des schwarzen Komponisten und Aktivisten Julius Eastman gespielt.
Welche Rolle spielen dabei Aspekte wie Lichtdesign, Raumkonzepte oder die Positionierung der Musiker?
Der visuelle Aspekt spielt in Konzerthäusern immer noch eine sehr untergeordnete Rolle. Das liegt denke ich vor allem in dem elitären Anspruch begründet, dass die Musik der großen Meister in all ihrer Genialität gefälligst für sich alleine sprechen soll und jede Form von Visualisierung da nur ablenkt. Interessanterweise hinkt da der Konzertbetrieb anderen klassischen Formen wie Oper oder Theater meilenweit hinterher, wo sich Videographie, Lichtdesign oder ganz allgemein technische Entwicklungen in der Produktion zu einer eigenständigen künstlerischen Ebene emanzipiert haben. Über Popkultur müssen wir in dem Kontext gar nicht sprechen. Nur über dem klassischen Konzert liegt immer noch diese puritanische Nüchternheit.
Wie reagiert das etablierte Publikum auf deine experimentellen Formate?
Als Duisburger darf ich das sagen: Wir sind in Duisburg natürlich bezogen auf das Publikumspotential bei etwas extravaganteren Formaten nicht zu vergleichen mit Köln, Hamburg oder Berlin, und auch keine traditionelle Kulturstadt. Ich weiß glaube ich mittlerweile ganz gut, wo die konzeptionellen Grenzen liegen und muss da auch nicht mit dem Kopf durch die Wand rennen. Ich will das Publikum ja nicht „erziehen" sondern ihnen eher ein Angebot machen. Aber ich hätte ehrlich gesagt nicht unbedingt damit gerechnet, dass ich die Reihe jetzt nächstes Jahr schon in die neunte Runde geht. Ich freue mich total, dass wir mittlerweile so ein treues Stammpublikum haben, das sich immer wieder überraschen lassen möchte. Und zusätzlich haben wir – je nach Programm – ein ziemlich unterschiedliches Klientel, das auch von weiter her anreist, da es die Programme die wir machen eben nicht an jeder Ecke zu sehen gibt.
Wie hat sich deine Zusammenarbeit mit der Stadt Duisburg, der Mercatorhalle und den Duisburger Philharmonikern entwickelt?
Die Zusammenarbeit mit der Duisburger Philharmonie bietet natürlich Möglichkeiten, die ich in der „freien Szene" so nicht hätte. Das ist in erster Linie Planungssicherheit: ich weiß, dass ich ein Programm das ich heute plane, in das ich viel Zeit und Arbeit investiere, das auch ein gewisses finanzielles Budget braucht und in dem oft viele andere MusikerInnen involviert sind, auch in jedem Fall in einem bis anderthalb Jahren auf die Bühne bringen kann. Das wird ja alles immer schwieriger in einem Kulturbetrieb, in dem die finanzielle Schere - wie ja auch in der Gesellschaft allgemein - immer weiter auseinander geht und Förderungen in der freien Szene mehr und mehr zusammengekürzt werden. Ich finde es auch immer schön, MusikerInnen der Philharmoniker in die Konzerte zu involvieren. Das befruchtet sich gegenseitig immer ganz gut: manche meiner Gäste die aus der Popkultur kommen haben selten die Möglichkeit, mit einem klassischen Orchester oder Ensemble zu arbeiten und umgekehrt haben viele der klassischen Musiker*Innen auch mal Lust, die eigene Komfortzone auf der Bühne zu verlassen.
Was macht für dich den besonderen Reiz des Kulturstandorts Duisburg/NRW aus?
Ich bin in einem Dorf in der Nähe von Baden-Baden aufgewachsen, einer Stadt in der Hochkultur und Tradition eine große Rolle spielen während Subkultur quasi nicht existent ist. Nach Duisburg bin ich aufgrund meines Studiums an der Folkwang-Uni gekommen, und habe mich dort sofort viel mehr zuhause gefühlt. Ich kannte das ja nicht: man steigt in eine S-Bahn und fährt innerhalb einer Stunde durch sechs verschiedene Großstädte. Es gibt ein Nachtleben, Auftrittsmöglichkeiten für Bands, Clubs, Parties, Festivals, mehrere große Orchester, auf einmal Teil der Metropole Ruhrgebiet zu sein war total inspirierend. Es war für mich erstmal ein Ort der Möglichkeiten. Allerdings habe ich dann auch schnell festgestellt, dass die Vision einer gemeinsamen Metropole oft schon wieder an den Stadtgrenzen endet, sei es aufgrund von fehlender Infrastruktur oder weil diese Idee in vielen Köpfen einfach nicht angekommen ist. Dabei könnte man hier noch so viel rausholen: vergleichsweise günstige Mieten, viel Leerstand, eine gute Anbindung innerhalb Deutschlands, eine riesiges potentielles Publikum – eigentlich ein Paradies für Kulturschaffende und Kreative. Hier müssten auch von politischer Seite viel mehr und viel unbürokratischer Freiräume geschaffen werden.
Wie siehst du die Zukunft der zeitgenössischen Musik?
Wichtig ist, dass sich die zeitgenössische Musik endlich von diesen ganzen Dogmen und Schulen verabschiedet, die vor allem in der europäischen Nachkriegsavantgarde viel zu lange vorherrschend waren. Da hat sich ein meiner Meinung nach oft weltfremder Neue-Musik-Zirkel gebildet, der sich aus einem ständigen akademischen Hochschul-Kreislauf heraus selbst erneuert, in einem intellektuellen Elfenbeinturm, meistens ohne jegliche gesellschaftliche Relevanz. Aber es gibt gerade generationsbedingt zum Glück immer mehr Komponist*Innen, für die es auch selbstverständlich ist, sich in ihrer Musik auch mit gesellschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen und popkulturellen Referenzen ironiefrei und auf Augenhöhe zu integrieren. Denn die prägendste musikalische Entwicklung der letzten 100 Jahre in ihrer ganzen Vielschichtigkeit auszuklammern, ist nichts anderes als elitär und in gewissem Sinne auch klassistisch. Zeitgenössische Musik darf niemals ein Mittel der Distinktion sein.
Lieber Kai, ich danke Dir für dieses spannende Interview!