Klavierfestival Ruhr |

Themenschwerpunkt '1923: Musik im Zeitalter der Extreme'

Essen, 30.04.2023 | Themenschwerpunkt des gegenwärtigen Klavierfestivals Ruhr ist - neben Schubert - die vielschichtige Musik des Jahres 1923.
In New York tanzt man Charleston, in Wien vollendet Arnold Schönberg seine ersten zwölftönigen Klavierstücke, in Paris schockiert Igor Strawinsky die Avantgarde mit seiner klassizistischen Wende und arbeitet an einem Konzert für Klavier und Blasorchester, in Budapest setzt Béla Bartók mit seiner Tanz-Suite ein musikalisches Zeichen gegen den Nationalismus, in der krisengeschüttelten Weimarer Republik steigt der Konzertkartenpreis im Jahresverlauf auf sagenhafte 200 Milliarden Mark, auf dem stetig wachsenden Schallplattenmarkt debütieren die Cembalistin Wanda Landowska, die Jazz-Pianistin Lillian Hardin und ihr späterer Mann Louis Armstrong, in deutschen Kinos feiert man Charlie Chaplins Sozialdrama The Kid, zu dem Stummfilmpianisten den Soundtrack liefern, und in Berlin wird mit der Ausstrahlung der ersten Funkstunde das Zeitalter des öffentlichen Rundfunks eingeläutet.

Für die Deutschen ist 1923 zugleich ein Jahr extremer Verunsicherung, großer politischer und ökonomischer Instabilität und tiefgreifender Krisen. Anfang Januar besetzen französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet, um ausstehende deutsche Reparationsleistungen einzutreiben, die im Rahmen des Versailler Vertrags vereinbart worden waren. In den folgenden Monaten laufen die Notenpressen heiß, um den passiven Widerstand gegen die Besatzungsmächte zu finanzieren.
Die besorgniserregende Geldentwertung der Nachkriegsjahre wird zur Hyperinflation, für Lebensmittel zahlt man bereits im Sommer astronomische Preise, die gesellschaftliche Ordnung wird erschüttert und es kommt zu einer politischen Radikalisierung, die Anfang November im gescheiterten Hitler-Putsch mündet.

Zum Themenschwerpunkt '1923: Musik im Zeitalter der Extreme' finden vier eigens konzipierte Veranstaltungen statt mit Musik aus dem Jahr 1923. Sie beleuchten in unterschiedlichen Formaten die Einbettung im kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Leben der damaligen Zeit. Das Spektrum reicht dabei von einem Konzertabend mit Tamara Stefanovich und den Bochumer Symphonikern über interdisziplinäre Veranstaltungen im Museum Folkwang und im Ruhr Museum mit Yaara Tal bzw. Frank Chastenier und Experten wie dem Musikwissenschaftler und Leiter unsere Education-Abteilung Tobias Bleek oder dem Autor Harald Jähner bis zu einer Vorführung von Charlie Chaplins 'The Kid' in der 1928 eröffneten Essener Lichtburg mit Helge Schneider am Klavier. Dabei geht es auch darum, Bezüge zu unserer heutigen Welt sichtbar zu machen.

  • Konzert am 6. Mai

Im Bereich JazzLine des Klavierfestivals findet dazu ein Konzert unter dem Titel "When I see twenty-three” statt mit dem Frank Chastenier Trio mit Frank Chastenier (Piano, s. Foto), Christian von Kaphengst (Bass) und Hans Dekker (Schlagzeug).
Samstag, 6. Mai 2023 um 20 Uhr
im Essen UNESCO-Welterbe Zollverein – Halle 5.
Passend zum Schwerpunktthema hat Chastenier für seinen neunten Auftritt beim Klavier-Festival Ruhr ein Programm aus Songs zusammengestellt, die alle von 1923, aber völlig unterschiedlicher Herkunft sind, von frühem Jazz über Operette, Schlager und Tango bis zum Gassenhauer.

https://www.klavierfestival.de/konzerte/chastenier-2023/

Zum Schwerpunktthema ist beim Bärenreiter Verlag gerade das von Tobias Bleek verfasste Buch „Im Taumel der Zwanziger. Musik in einem Jahr der Extreme“ erschienen. Wir werden demnächst darüber berichten.