Bild für Beitrag: Movimento an der Erft | Reportage einer musikalischen Radtour
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Movimento an der Erft

Reportage einer musikalischen Radtour

Neuss, 08.10.2023
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Uwe Bräutigam

Die Götter scheinen dem Projekt Movimento gewogen zu sein und schickten wie auch im letzten Jahr strahlendes Spätsommerwetter. Dieses Jahr war die Radtour Movimento bis zum letzten Platz ausgebucht. 270 TeilnehmerInnen radelten zu sieben besonderen Orten von Grevenbroich nach Neuss und besuchten unterwegs kleine Konzerte. Die Musik reichte von jiddischem Swing der 20er Jahre, über Jazz ähnliche Barockimprovisation bis zu A-Capella Gesang aus England. An jeder musikalischen Station fanden im halbstündlichen Wechsel zwischen zwei und vier Konzerte statt. Nur an der letzten Station, dem Globe Theater in Neuss, gab es dann ein Abschlusskonzert. So verteilten sich die vielen TeilnehmerInnen und jede/r konnte im Prinzip sein eigenes Tempo wählen.

Station 1   Villa Erkens

Trio Picon

Die ehemalige Industriellenvilla Villa Erckens ist ein bauliches Juwel in Grevenbroich. Sie wurde 1887 im klassizistischen Stil als Familiensitz der Familie Erckens, die eine Baumwollspinnerei- und Weberei betrieb, gebaut. Heute beherbergt sie das “Museum der niederrheinischen Seele“ und dient als Kulturzentrum mit Veranstaltungen von Musik bis Literatur. Für einen großartigen musikalischen Einstieg sorgte das Trio Picon mit mitreißendem Jiddischen Swing und Tango. Benannt hat sich das Trio nach der amerikanisch-jüdischen Sängerin Molly Picon (1898-1992), die mit ihren jiddisch-englischen Liedern die ganze Welt bereiste und die eine der ersten KünstlerInnen war, die nach dem 2. Weltkrieg in Europa vor Holocaust Überlebenden gesungen hat. Ihre Musik zauberte ihrem Publikum auch in schwierigen Zeiten ein Lächeln ins Gesicht. In dieser Tradition steht auch das Trio Picon.

Hanna Maria Heuking (Klarinette und Gesang), Ramona Kozma (Gesang und Akkordeon) und Michael Zimmermann (Tuba) spielen jiddischen Swing und jiddischen Tango mit großer Spielfreude und viel Humor. Der erste Titel “I hab di zuviel lieb“ ist ein Musiktheatersong aus New York. In New York gab es in den 20er Jahren noch über 20 jiddische Theater.

Auch das Movimento Publikum wurde mit einbezogen, in dem es mit dem Trio Scatten´durfte. Beschwingte Musik mit einem kleinen Schuss Melancholie. Bei einer Ballade tauschte Michael Zimmermann seine Tuba, gegen eine Resonator Ukulele, eine Ukulele, die wie eine Steel Guitar gebaut ist. Musik aus der Frühzeit des Jazz, die zum Tanzen ngemacht war. Ein wunderbarer Einstieg für die folgenden 32 km Radtour. Mit dieser Musik bekamen alle RadlerInnen Luft unter die Flügel.

Noch ein Hinweis: Am 20.10. spielt im Rahmen der Grevenbroicher Gitarrenwochen Dialectical Flow mit der Jazzgitarristin Christina Zurhausen in der Villa Erckens.

Station 2 – Schloss Dyck

Compagnie Macke-Bornauw

Das Schloss Dyck in Jüchen ist eines der kulturhistorisch bedeutendsten Wasserschlösser des Rheinlandes. Es erstreckt sich über vier Inseln im Kelzenberger Bach und ist von einem malerischen englischen Landschaftsgarten umgeben. In der Orangerie des Schlosses fand das zweite musikalische Event statt. Die belgische Dudelsack Spielerin Birgit Bornauw, eine der besten Dudelsackspielerinnen ihrer Generation, und der virtuose französische Akkordeonist Benjamin Macke bilden zusammen die Compagnie Macke-Bornauw. Der kraftvolle warme Klang des flämischen Dudelsacks trifft auf die flirrenden Klängen des Akkordeons. Benjamin Macke ist berühmt für sein Spiel auf dem Fußbass, ein altes Akkordeon, ein fast ausgestorbenes Instrument, mit tiefen Tönen, das mit den Füssen gespielt wird. Auch während des Konzertes spielt er gleichzeitig mit den Händen sein Akkordeon und mit den Füßen den Fußbass. Neben dem großen flämischen Dudelsack spielt Birgit Bornauw auch einen kleineren Barockdudelsack. Flämische Folklore und Barockmusik fanden zueinander. Manchmal fühlt man sich auf einem bäuerlichen Dorffest zurückversetzt, wie wir aus den Gemälden von Bruegel kennen. Auch über Händels “Einzug der Königin von Sheba“ improvisierten der/die MusikerIn, allerdings nicht ohne Humor.

Im Garten des Schlosses spielt der Glasschleifer Rogier Kappers auf seiner Glasorgel, die aus seiner Sammlung von Cognac-, Bier- und Weingläsern besteht. Es ist übrigens die einzige Glasorgel in den Niederlanden.

Station 3 – Sandbauernhof Liedberg

Duo Seidenstraße

Der Sandbauernhof dürfte vielen Jazzfans bestens bekannt sein, dort finden seit vielen Jahren Jazzkonzerte mit bekannten MusikerInnen statt. Diesmal spielte das Duo Seidenstraße improvisierte Musik mit Changyuan Zhao an Guzheng (chinesische Wölbbrettzither), Harfe und Flöte und Benjamin Leuschner Perkussin an Gongs, Stealdrums, Becken, Cajon und Rahmentrommel. Die chinesische Guzheng scheint sich wohl besonders gut für improvisierte Musik zu eignen, denn die Experimentale in Troisdorf am 22.9. wurde ebenfalls mit diesem Instrument eröffnet, allerdings dort im Duo mit Bassklarinette.

Das Duo nahm das Publikum mit auf eine Reise an der Seidenstraße entlang. Es begann mit einem sehr lyrischen Stück, bei dem Changyuan Zhao auf der Harfe spielte und sang, während Benjamin Leuschner Perkussion spielte. Es ging in die alte Kaiserstadt Xi´an.

Die Musik wurde experimenteller, die Guzheng wurde ebenso wie die Becken mit Bogenstrichen bearbeitet, Steine wurden gegeneinander geschlagen, kräftige Gongtöne erklangen, danach wurde die Guzheng sehr perkussiv gespielt und mit kehligem Obertongesang begleitet. Bei dem Stück “Nomaden“ ging es unter Einsatz der großen Rahmentrommel und einer Flöte in die Wüste. Changyuan Zhao spielte dann nur auf dem Flötenkopf, manchmal auch auf zwei Flötenköpfen gleichzeitig Triller, die den Gesang von Vögeln imitierten. Das letzte Stück führte uns auf einen chinesischen Markt mit seinem bunten Treiben.

Station 4 – Nikolauskloster Jüchen 

Lieder zur Laute

Zwischen 1715 und 1746 erhielt das Nikolauskloster seine heutige Gestalt. Nach der Säkularisierung durch Napoleon wurde es dann Anfang des 20. Jh. wieder als Kloster genutzt. Mit seinem idyllischen Parklandschaft und seiner Restauration ist es ein beliebtes Ziel für Radler und Wochenendausflügler. In dem langgestreckten Saalbau der Klosterkirche von 1860 fand das nächste kleine Konzert statt. Hannah Morrison, Sopran, sang Kunstlieder zur Laute von Sören Leupold. Die Beziehung von Natur und Musik steht im Mittelpunkt. Neben dem Gesang zitiert Hannah Morrisin auch Gedichte. Bekannte Stücke wie die traditionellen englischen und irischen Volkslieder “Scarborough Fair“ und “Down the Sally Gardens“ waren im Programm. Mit ihrer schönen Sopranstimme besang sie besonders die Rose. Es fragtv sich, ob man heute noch “Röslein auf der Heide“ singen muss, wo mittlerweile Konsens besteht, dass dort romantisch verkleidet, eine Vergewaltigung besungen wird. “Röslein ich wird dich brechen.“ nNach dem Konzert konnten die ZuhörerInnen im Klostergarten noch spazieren gehen oder einen der 45 Kuchensorten genießen.

Station 5 – Museum Insel Hombroich

Improvisationen eines Barocktrios mit Saxophon

Die Insel Hombruch ist gerade bei schönem Wetter immer einen Besuch wert. Kunst und Natur bilden hier eine Symbiose. Um so mehr lohnte sich der Besuch, wenn zur bildenden Kunst noch die Musik hinzukam. In einer Holzscheune, deren Fenster von Pflanzen überwuchert waren, spielte das Barocktrio Luise Enzian, Asya Fateyeva & Thor-Harald Johnsens.

Im 17. Jh. entwickelte sich in Italien der sogenannte Stylus Phantasticus, ein aus Improvisationen entwickeltes dramatisches Spiel, bei dem kurze teilweise dissonante Figuren, chromatische Abschnitte und schnelle Läufe miteinander verbunden werden. Über Ostinato Strukturen entwickeln die Soloinstrumente komplexe Kontrapunkte, ähnlich der Improvisationspraxis des Jazz.

Die Barockharfenistin Luisa Enzian, die Saxophonistin Asya Fateyeva und der Lautenspieler Thor-Harald Johnsens haben sich diesem freien und virtuosen Stil verschrieben. Ihre Interpretationen von Biber, Meolfi oder Barbara Strozzi, eine der ganz wenigen Barockkomponistinnen, waren ein Feuerwerk an virtuoser Improvisation. Alt- und Sopransaxophon brachten dabei noch besondere Klangfarben in ihr Spiel. Ein ganz besonderer Höhepunkt des Movimento.

Station 6 – Schloss Reuschenberg

Alon Sariel

Der israelische Musiker Alon Sariel spielte auf der Mandoline ein Soloprogramm. Leider habe ich diese Station aus zeitlichen Gründen nicht besuchen können.

Station 7 – Globe Theater Neuss

Apollo 5 

Das Globe Theater in Neuss ist ein Nachbau des Shakespeare Theaters in London. Jedes Jahr findet dort das Shakespeare Festival statt. Schon im letzten Jahr wurde im Rahmen des Festivals Alte Musik Knechtsteden das Globe zum Veranstaltungsort für eine Barocke Miniatur Oper. Jetzt wurde es zum Veranstaltungsort für das Abschlusskonzert des Movimento, das bei allem Eigenleben, auch ein Teil des Festivals Alte Musik Knechtsteden ist. Aus der Heimat von Shakespeare war eine Weltklasse A-Capella Gruppe eingeladen. Apollo5 ging 2010 aus der Gruppe Voces8 hervor. Die Gruppe besteht aus zwei Frauen, Clare Stewart und Charlotte Brosnan, und drei Männern, Greg Link, Alex Haigh und Ciarán Kelly. Das Vorbild für Apollo5 waren die Swingle Siongers. Apollo5 hat bereits zahlreiche Alben veröffentlicht und ist international erfolgreich. Das Spektrum ihrer Musik ist sehr weit, von englischer Choralmusik, über Jazz Standarts´bis zu Popsongs. Mit ihren großartigen Stimmen und ihren spannenden Arrangements haben sie das Publikum in Neuss im Sturm erobert. Ein großartiger Abschluss für eine gelungene musikalische Radtour an der Erft.

Movimento hat sich zu einem erfolgreichen Format entwickelt. Es macht eben Freude durch eine schöne Landschaft zu radeln und dabei Musik an besonderen Orten zu erleben. Zeitlich war es diesmal etwas schwieriger, so habe ich es nicht geschafft alle Stationen zu erreichen. Es sei denn ich hätte auf meine Mahlzeit verzichten müssen. Die Strecke selbst war gut gekennzeichnet, bis auf eine Irritation zu Beginn. 32 km waren eine angemessene Entfernung und sieben Stationen passten gut dazu. Die Teilnehmerzahl war so an der Grenze, mehr dürfen es nicht werden, sonst funktionieren die kleinen Konzerte nicht mehr reibungslos.

All diese organisatorischen Details sind nicht unwichtig für das Funktionieren, aber das Wichtigste ist natürlich die Musik. Die Musik war wieder spannend zusammengestellt, immer auf hohem Niveau, weit über die Grenzen Alter Musik hinaus, vielfältig, abwechslungsreich, niveauvoll und unterhaltsam. So kann es auch im nächsten Jahr weitergehen.

movimento-fahrradkonzert.de

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